Kinderarbeit: Kakaosektor muss endlich 20 Jahre altes Versprechen einlösen
Zürich, Lausanne, 12. Juni 2021
2021 jährt sich das Versprechen der Schokoladeindustrie, Kinderarbeit im westafrikanischen Kakaosektor zu eliminieren, zum zwanzigsten Mal. Diese Selbstverpflichtung auferlegte sich die Branche 2001 im Rahmen des Harkin Engel Protokolls. Mit dem Aktionsrahmen 2010 verlängerte sie die Frist zur Erreichung des Zieles.
20 Jahre leere Versprechen
2021 ist auch das internationale Jahr zur Abschaffung der Kinderarbeit. Dieses Jahr hätte ein Meilenstein im Kampf gegen Kinderarbeit im Kakaosektor sein sollen - stattdessen wurden die Ziele um Meilen verfehlt und es ist in der gesamten Branche auffallend ruhig um das Thema.
Kinderarbeit ist auf westafrikanischen Kakaofarmen nach wie vor bittere Realität, und immer wieder kommen auch Fälle von Zwangsarbeit ans Licht. Jüngste Berichte wie die ghanaische Erhebung zum Lebensstandard im Land (Ghana Living Standards Survey 7) und eine von der US-Regierung in Auftrag gegebene Studie der Universität Chicago (Assessing progress in Reducing Child Labor in Cocoa Production), zeigen, dass über 1,5 Millionen Kinder auf Kakaoplantagen in Ghana und der Côte d’Ivoire gefährliche Arbeiten verrichten. Fast 95% dieser Kinder sind sogar den schlimmsten Formen von Kinderarbeit ausgesetzt, wie dem Tragen schwerer Lasten, der Arbeit mit gefährlichen Werkzeugen oder gesundheitsschädlichen Agrochemikalien.
Nach zwei Jahrzehnten leerer Versprechen, freiwilliger Initiativen und Pilotprojekte ist es klarer denn je, dass es ehrgeizige, sektorweite Massnahmen und vor allem verbindliche Regulierungen braucht, um sowohl Kinderarbeit als auch die ihr zugrunde liegende Armut zu bekämpfen.
Sitzstaaten wie die Schweiz in der Verantwortung
Auch der Schweiz als Sitzstaat grosser Kakao- und Schokoladefirmen kommt eine grosse Verantwortung zu: Es braucht endlich verbindliche Regelungen, welche Unternehmen zu einer menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung verpflichten. Weiter müssen die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen die rechtlichen Möglichkeiten haben, um in den Sitzstaaten der Firmen Widergutmachung zu erlangen. Die diesbezüglichen Entwicklungen in der EU sind vielversprechend, auch wenn die vor kurzem angekündigten Verzögerungen bei der Veröffentlichung der Regulierungsvorhaben bedenklich sind. Mit Besorgnis stellen wir zudem fest, dass die USA, das Land mit dem weltweit grössten Kakaokonsum, bei den regulatorischen Entwicklungen in diesem Bereich besonders im Rückstand sind. Auch die Schweiz als einer der grössten Handelshubs für Kakao hinkt mit ihrem schwachen Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative den internationalen Bemühungen stark hinterher.
Systematische Risikoanalysen und existenzsichernde Einkommen
Unabhängig davon, inwiefern die Staaten ihren Pflichten nachkommen, umfasst die Verantwortung der Kakao- und Schokoladefirmen , dass sie ihre Lieferkette systematisch auf Risiken im Bereich Kinderarbeit überwachen und analysieren, mit dem Ziel, potentielle Fälle von Kinderarbeit zu verhindern, tatsächliche Verstösse zu beseitigen und Verletzungen wiedergutzumachen. Die Wirkung dieser Programme muss öffentlich und transparent kommuniziert werden, und zwar in einer Weise, die eine sinnvolle Partizipation und den Zugang zu Wiedergutmachung für Betroffene ermöglicht.
Parallel dazu sind Partnerschaften zwischen Produktions- und Konsumländern unerlässlich, um die notwendigen Rahmenbedingungen für einen wirklich nachhaltigen Kakaosektor zu schaffen. Diese müssen viel umfassender als bis anhin entwickelt werden und zivilgesellschaftliche Organisationen, unabhängige Gewerkschaften, Kooperativen, lokale Gemeinschaften und Kakaobäuerinnen und -bauern einbeziehen. Dies bedingt angemessene Ressourcen, damit lokale Akteure gleichberechtigt an der Entwicklung und Umsetzung von Lösungen teilnehmen können.
Kinderarbeit kann nur dann wirksam bekämpft werden, wenn auch die Ursachen angegangen werden. Daher muss der Kakaosektor ehrgeizige Strategien zur Erzielung eines existenzsichernden Einkommens für alle Kakaohaushalte verfolgen, inklusive der Zahlung eines existenzsichernden Produktionspreises «ab Hof». Die Preise, welche die Kakaobäuerinnen und Bauern bekommen, müssen ein existenzsicherndes Auskommen ermöglichen. Mittlerweile gibt es klare Berechnungen existenzsichernder Referenzpreise – diese werden jedoch in der Praxis nicht annähernd erreicht.
Wirksame Massnahmen, welche ehrgeizig genug sind, um die Gesamtheit der Herausforderungen anzugehen, sind längst überfällig. Es ist höchste Zeit, dass der Kakaosektor seine jahrzehntealten Versprechen einlöst und mit der Umsetzung sektorweiter und ehrgeiziger Massnahmen zur Bekämpfung von Kinderarbeit und Armut beginnt. Das kollektive Schweigen der Branche in diesem Jahr ist beschämend und unangebracht.