Kollektiver Rechtsschutz soll nicht mal diskutiert werden

Am 11.12.2024 wird im Nationalrat über die Änderung der Schweizerischen Zivilprozessordnung (inkl. Verbandsklage und kollektiver Vergleich) abgestimmt. Bereits 2013 hat der Bundesrat in einem Bericht gesetzlichen Handlungsbedarf festgestellt, weil der Zugang zur Gerichtsbarkeit nicht immer gewährleistet ist. Nachdem die Rechtskommission des Nationalrats (RK-N) das Geschäft jahrelang verzögert hat, empfiehlt sie nun, gar nicht erst nicht auf die Vorlage einzutreten – und zwar ohne jegliche parlamentarische Diskussion. Das ist eine Ohrfeige für alle Betroffenen von Kollektivschäden und eine inakzeptable Arbeitsverweigerung des Parlaments.

Menschenrechtsverletzungen durch die Geschäftstätigkeiten globaler Konzerne – sogenannte Streu- oder Massenschäden – betreffen meist grössere Gruppen. Wenn beispielsweise eine von einem Schweizer Unternehmen betriebene Kupferschmelze die Luft und/oder das Trinkwasser eines naheliegenden Dorfes verschmutzt, sind davon mehrere Anwohner*innen betroffen. Ist eine Vielzahl von Menschen gleich oder gleichartig geschädigt, muss heute in der Schweiz grundsätzlich jede Person ihre Rechtsansprüche individuell einklagen. Deshalb verzichten Geschädigte gerade bei geringem Schaden oft auf die Rechtsdurchsetzung. 

Nach fünf Sitzungen über zwei Jahren und diversen Zusatzabklärungen hat die RK-N am 17. Oktober beschlossen, sich nicht mal auf die inhaltliche Diskussion der Vorlage zum kollektiven Rechtsschutz einzulassen und ihrem Rat mit 14 zu 10 Stimmen bei einer Enthaltung Nichteintreten beantragt. Dies rund 10 Jahre nach Einreichung der Motion, welche "Förderung und Ausbau der Instrumente der kollektiven Rechtsdurchsetzung" vom Parlament verlangte, um die Situation der Geschädigten zu verbessern. Und 5 Jahre nach der Vernehmlassung des ersten Vorschlags des Bundesrats, welche 2021 als separate Vorlage von der ZPO-Revision abgespalten wurde. Die verlangten Berichte der Kommission haben allesamt gezeigt, dass es Handlungsbedarf und Lösungen, für die von der RK aufgeworfenen Fragen geben würde. 

Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sehen neben der Pflicht von Unternehmen, Menschenrechte zu respektieren, auch ein Recht auf Wiedergutmachung vor: Wer eine Menschenrechtsverletzung durch ein Unternehmen erleidet, muss Zugang zu wirksamer Rechtsprechung haben, also zur Justiz. Dieses Recht wird auch für Opfer von Umweltschäden und den Folgen des Klimawandels immer wichtiger. Dafür braucht es umsetzbare kollektive Rechtsschutzmittel, welche die gerichtliche Erledigung von Ansprüchen vieler gleichartig geschädigter Personen in einem Verfahren ermöglichen. Dass diese in der Schweiz ungenügend sind, hat der Bundesrat bereits 2013 in seinem Bericht bestätigt.

Deshalb wäre es höchste Zeit zu handeln. In letzter Zeit haben mehrere europäische Länder ihre kollektiven Rechtsschutzinstrumente ausgebaut. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich zudem auf eine EU-weite Verbandsklagemöglichkeit im Bereich des Konsumentenschutzes geeinigt. Die unterzeichnenden Organisationen erwarten vom Nationalrat, dass er am 11.12.2024 entgegen der Empfehlung seiner Kommission auf die Vorlage eintritt und endlich die inhaltliche Diskussion zu einer Verbesserung der kollektiven Rechtsinstrumente in der Schweiz anpackt. 

Unterzeichnende Organisationen

Fastenaktion, Solidar Suisse, Gesellschaft für bedrohte Völker (GfBV), Amnesty International Schweiz und Public Eye.