2024: Bühne frei für Ölhandel und Korruption
Agathe Duparc, 9. Januar 2024
In der Schweizer Theaterszene findet in letzter Zeit ein brisantes Thema zunehmend Anklang: der Rohstoffhandel. Allerorts sagen sich Regisseur*innen, dass sich da eine künstlerische Goldgrube erschliessen lassen könnte. Ein Stück, in dem die kleine Schweiz als grosse Vermittlerin auftritt und den roten Teppich für Händler aus aller Welt ausrollt, die seit Jahrzehnten von Genf, Zug oder Lugano aus auf leisen Sohlen ihren Geschäften nachgehen.
Öl, Kohle, Metalle, Nickel, Palladium, Kali, Phosphat, Mais, Weizen, Kaffee, Reis, Kakao – diese Unternehmen kaufen und verkaufen alles, was unseren Planeten aufheizt, verschmutzt, verbindet, vergiftet und ernährt. Über allem thront eine kleine Schar privater Multis, die in einem steuergünstigen Umfeld und ohne staatliche Aufsicht agieren. Die üblichen Verdächtigen machen Milliardengewinne, während die Welt um sie herum aus den Fugen gerät. Kriege, Pandemien, Staatsstreiche und andere weltgeschichtliche Unwägbarkeiten? Alles hervorragende Geschäftsmöglichkeiten! Dazu kommen die Korruptionsskandale, durch die sie regelmässig von sich reden machen – definitiv Stoff für ein tolles Stück.
Kostenlose und öffentliche Vorstellungen
Wer wissen will, was sich hinter den Kulissen des Ölhandels abspielt, hat 2024 die Möglichkeit, zwei öffentlichen Gerichtsverhandlungen am Bundesstrafgericht in Bellinzona beizuwohnen (Anm. d. R.: sobald die Daten bekannt sind, wird Public Eye informieren) und dabei einigen Exponenten, die für zwei der grössten Handelsunternehmen tätig waren, persönlich zu begegnen.
Zunächst wird Bertrand G., ein ehemaliger Mitarbeiter des Genfer Handelsunternehmens Gunvor, in den Zeugenstand treten. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, «aktiv an der Bezahlung von Bestechungsgeldern an ausländische Amtsträger mitgewirkt zu haben» (Art. 322septies StGB), um an einen umfangreichen Öldeal in Kongo-Brazzaville zu kommen. Zwar ist dieser Fall teilweise bereits bekannt – in unserer exklusive Recherche «Die Abenteuer von Gunvor im Kongo» erzählen wir die Geschichte in sechs Akten, und die Ende 2011 von der Bundesanwaltschaft eingeleitete Strafuntersuchung führte im Sommer 2018 zur Verurteilung eines ehemaligen Angestellten zu 18 Monaten Gefängnis auf Bewährung. Da dieser die Bestechungsfälle nicht auf seine eigene Kappe nehmen wollte, hat er ausgepackt, und so konnte die Justiz Gunvor festnageln. Die Handelsfirma wurde 2019 wegen «Organisationsmängeln» (Art.102 Abs.2 StGB) schuldig gesprochen und zu 4 Millionen Franken Geldstrafe sowie einer Ersatzforderung von 90 Millionen Franken verurteilt.
Bisher wurden die verhängten Strafen jedoch hinter den Kulissen ausgehandelt. Sie waren das Ergebnis von Strafbefehlen und von «abgekürzten Verfahren», einer Art plea bargain à la Suisse, bei denen die Angeklagten ihre Schuld zugeben und im Gegenzug eine geringere Strafe erhalten, ohne dass es zu einem öffentlichen Prozess kommt. Nun muss man sich auf eine ganz andere Aufführung gefasst machen: die Enthüllung in aller Öffentlichkeit, mit all ihren Überraschungen.
Null Ärger und Putin als Beschützer
Bertrand G. wird das Publikum fesseln: Er soll nicht nur 2010 und 2011 die Zahlung der Bestechungsgelder, die teilweise in den Taschen des Clans um Präsident Sassou Nguesso landeten, überwacht, sondern im Frühling 2014 auch versucht haben, mit den kongolesischen Machthabern ein neues Korruptionsmodell auf die Beine zu stellen, und zwar noch während der laufenden strafrechtlichen Ermittlungen in Bern. Alles ist in einem mysteriösen Video aufgezeichnet, das der Schweizer Justiz zugespielt und von Public Eye ans Licht gebracht wurde.
Darin sieht man den unbemerkt gefilmten Gunvor-Angestellten in einem Pariser Luxushotel, wie er einem kongolesischen Amtsträger seinen Plan erklärt. Er will «Denis Christel» (dem ersten Sohn des kongolesischen Präsidenten) eine Botschaft übermitteln und versichert, dieses Mal werde es «null Ärger» geben. Er macht eine abfällige Geste gegenüber einem potenziell unbequemen Richter, hebt den Finger gen Himmel und fügt in einer Anspielung auf Putin an: «Und ausserdem, wenn es von Meister Wladimir abgesegnet ist…» Der Kremlchef galt damals als Beschützer von Gunvor, das zur Hälfte seinem engen Vertrauten, dem Oligarchen Gennadi Timtschenko, gehörte.
Auch auf der Bühne des Bundesstrafgerichts in Bellinzona dürfte es zu spannenden Debatten kommen. Werden hochrangige Zeugen geladen? «Es würde Sinn machen, Torbjörn Törnqvist in den Zeugenstand zu rufen», wagt ein Insider zu träumen, der bedauert, dass der schwedische Milliardär, Mehrheitsaktionär und CEO von Gunvor, bisher vom Skandal verschont geblieben ist.
Korruption und Autorennen
Marc Wainwright, die Nummer zwei des Riesenkonzerns Trafigura, hatte weniger Glück. Er soll 2024 in Bellinzona vor Gericht erscheinen. In der Welt des Rohstoffhandels ist es noch immer schwer zu fassen, dass dieser legendäre Trader, der bis April letzten Jahres Exekutivdirektor und operativer Leiter des Konzerns war, nun vor Gericht stehen wird. Der passionierte Formel-1-Fahrer hatte 2022 für Aufsehen gesorgt, als er sich in der Nähe von Genf ein Anwesen im Wert von rund 50 Millionen Franken kaufte. Diesmal geht es um Angola, Meisterin in Sachen Korruption und Machtkonzentration (siehe «Beste Beziehungen: Trafiguras Geschäfte in Angola», Public Eye, 2013). Laut Mitteilung der Bundesanwaltschaft hat Trafigura zwischen 2009 und 2010 acht Schiffscharterverträge und einen Vertrag für Schiffsbunkerung (Treibstoffversorgung von Schiffen) mit einer Tochtergesellschaft der staatlichen angolanischen Ölgesellschaft SONANGOL unterzeichnet. Der angolanische Direktor dieser Tochtergesellschaft soll im Gegenzug mit Wainwrights mutmasslicher Zustimmung Zahlungen in Höhe von insgesamt 4,3 Millionen Euro (via eine Genfer Bank) sowie 604’000 US-Dollar in bar erhalten haben. Die Strafverfolgungsbehörden haben festgestellt, dass ein Teil dieser vermutlich «nicht gebührenden Vorteile» über die Offshore-Firma eines ehemaligen Trafigura-Mitarbeiters abgewickelt wurde.
Neben diesen drei natürlichen Personen wird auch Trafiguras Muttergesellschaft Trafigura Beheer BV auf der Anklagebank sitzen. Es ist eine absolute Premiere in der Schweiz, dass die Machenschaften der weltweiten Nummer drei im Ölhandel öffentlich auseinandergenommen werden und am Ende des Prozesses womöglich eine Verurteilung wartet, weil der Konzern die «erforderlichen und zumutbaren» Kontroll- und Sorgfaltsmassnahmen zur Verhinderung von Korruption möglicherweise nicht ergriffen hat. Lassen Sie sich die Show nicht entgehen – sie wird bestimmt spannend und aufschlussreich.
«Die Welt ist mehr bedroht durch die, welche das Übel dulden oder ihm Vorschub leisten, als durch die Übeltäter selbst.» Albert Einstein
Agathe Duparc arbeitet seit Mai 2018 bei Public Eye und ist verantwortlich für Recherchen zu Rohstoffhandel. Als Expertin für Russland und Wirtschaftskriminalität arbeitete sie als Journalistin für verschiedene französische Medien, darunter Le Monde und Mediapart.
Kontakt: agathe.duparc@publiceye.ch
Twitter: @AgatheDuparc
Dieser Text ist eine Übersetzung des französischen Originaltextes.
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