Bermuda–Genf einfach: Agrarhändler Bunge kommt auch ohne Tonnage Tax
Silvie Lang, 13. Oktober 2023
Seit Langem schon betreibt Bunge eine Handelsniederlassung in Genf. Das Anfang des 19. Jahrhunderts gegründete, ursprünglich holländische Handelshaus hat sich wie seine Konkurrenten Cargill, COFCO und ADM in der Romandie angesiedelt. Nun plant Bunge die grosse Umsiedlung: Die Niederlassung («incorporation») des Konzerns wird von einem Steuerparadies ins andere verschoben – von den Bermudas in die Schweiz. Dies macht Bunge ab 2024 zu einer Schweizer Firma unter Schweizer Gesetz. Zugleich zügelt der operative Geschäftssitz («principal executive office») nach Genf, was die Schweizer Präsenz des auf Getreide- und Soja spezialisierten Unternehmens massiv stärkt.
Bunge will sich zudem Viterra einverleiben. Viterra war als Glencore Agriculture bis 2016 vollständig in Besitz des Zuger Rohstoffkonzerns, der aktuell noch 49.9% hält. Glencore bereinigt sein Portfolio, und so bleiben nach der Übernahme nur noch 15%. Noch 2017 hatte Glencore versucht, Bunge zu akquirieren. Nun läuft es umgekehrt und Glencore verbleibt nur noch mit einem Zeh im Agrarhandel.
Agrarhandelshub Schweiz wächst weiter
Bunge hingegen gelingt mit diesem Schachzug gemäss Reuters «ein Geschäft von beispiellosem Ausmass». Mit der Übernahme verdoppelt Bunge seinen Umsatz auf künftig USD 140 Milliarden und wird so - aus Genf heraus - zur neuen globalen Nummer 2 im Agrarhandel. Dies stärkt den hiesigen Rohstoffplatz und die ohnehin von dieser Branche dominierte Liste der umsatzstärksten Firmen der Schweiz wird um einen Trader reicher.
Umso absurder mutet der x-te Versuch der Schweiz an, die risikobehaftete Skandalbranche noch enger an sich zu binden: Die Tonnagesteuer droht in der Schweiz zum – von der Branche bestellten und politisch gewollten – Schlupfloch für Rohstoffhändler zu werden. Das international weit verbreitete «Förderinstrument für die Hochseeschifffahrt» sieht nämlich vor, dass in der Schifffahrt tätige Unternehmen nicht länger nach Gewinn, sondern pauschal nach Ladekapazität ihrer Schiffe – der Tonnage – besteuert werden. In den Ländern, die diese Steuer kennen, hat diese zu einer massiven Reduktion des Steuersubstrats geführt. Daran ändert auch die jüngst in der Schweiz angenommene OECD-Mindeststeuer nichts, denn davon ist die Schifffahrt ausgenommen.
In der Schweiz sind es vor allem Rohstoffhändler, die grosse Flotten betreiben. Alleine Cargill managt knapp 700 Schiffe. Bunge und Viterra weisen Bestände von je 200 Schiffen auf. Zusammen kommen die 10 grössten Schweizer Rohstoffhändler auf über 2600 Schiffe, wovon ein beachtlicher Teil aus unserem Binnenland gesteuert werden dürfte.
Gewinnverschiebungen vorprogrammiert
Gerade diese Händler könnten versucht sein, ihre Profite künftig als Gewinne aus der Schifffahrt zu deklarieren, um so ihre Steuerlast zu verringern. Darauf wies etwas verklausuliert sogar der Bundesrat in seiner Botschaft zum Gesetzesvorschlag 2022 hin: «Werden die unternehmerischen Aktivitäten auf den Schiffsbetrieb verlegt (Transport von Rohwaren), so ergibt sich eine Verbindung zur Tonnagesteuer, weil in deren Geltungsbereich der Transport von Gütern fällt.»
Wie gross diese Verschiebungen – und damit auch die Mindereinnahmen für den Fiskus – sein könnten, weiss keine Behörde und nicht mal der Bundesrat. Denn verlässliche Zahlen zum Schifffahrtsstandort Schweiz gibt es nicht. Die wären aber nötig, um den finanzpolitischen Blindflug zu verhindern, der sich mit der Tonnagesteuer anbahnt. Sicher ist hingegen: Es war nicht die Aussicht auf eine allfällige Tonnagesteuer, welche Bunge angelockt hat, sondern ein anderes Optimierungsvehikel: die OECD-Mindeststeuer.
Von Steuerparadies zu Steuerparadies
Bermuda, wo Bunge aktuell noch registriert ist, kennt diese Steuer nämlich (noch) nicht. Verbliebe Bunges Sitz im Inselparadies, könnten andere Länder, welche die OECD-Steuer von 15% umsetzen, die Differenz zu dem niedrigeren Steuersatz in Bermuda von Bunge geltend machen. Nach der Umsiedlung nach Genf hingegen erhebt die Schweiz diese 15%. Was zeigt, dass die OECD-Mindeststeuer nicht zu einer gerechteren globalen Verteilung von Steuern führt – schon gar nicht für die rohstoffreichen Länder. Sie begünstigt höchstens die Verlagerung von Gewinnen von einem Steuerparadies – Bermuda – ins nächste – die Schweiz.
Das Beispiel Bunge widerlegt somit die Notwendigkeit einer Tonnagesteuer und demonstriert zugleich die Schwächen der OECD-Mindeststeuer. Die Schweiz täte gut daran, auf weitere Vehikel zur Verschiebung von Gewinnen zu verzichten. Ein Engagement für mehr globale Steuergerechtigkeit würde ihr weit besser stehen.
«There is a crack, a crack in everything. That’s how the light gets in.» (Leonard Cohen)
Silvie Lang arbeitet seit 10 Jahren bei Public Eye. Wenn sie sich nicht gerade mit der Rolle des Schweizer Agrarhandelssektors beschäftigt, bäckt und isst sie leidenschaftlich gern Kekse.
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