Die Pharma bestellt - Bern liefert
Christa Luginbühl, 6. Oktober 2023
Am 22.9.2023 hat der Bundesrat eine Medienmitteilung verschickt und darin die Förderung des Verkaufs von Generika und ein geschätztes Einsparpotenzial von jährlich 250 Millionen Franken sowie einen rascheren Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln verkündet. Beides ist wichtig, aber bei beidem gibt es ein Problem: Es gibt zwar Einsparpotenzial bei Generika, aber diese machen nur einen Bruchteil der Medikamentenkosten aus. Für patentierte Medikamente werden hingegen rund 7 Milliarden Franken (!) ausgegeben, was 75% der gesamten Medikamentenkosten entspricht. Die wirklichen Kostentreiber werden also nicht angetastet. Und damit kommen wir zum zweiten Problem: Lebenswichtige Medikamente sind in vielen Fällen ganz grundsätzlich zu teuer und der Zugang für alle ist dadurch nicht garantiert. Der Bundesrat versucht, der Bevölkerung ein Zückerchen zu geben, damit der Prämienschock nicht ganz so bitter schmeckt. Fakt aber ist: Die Preisspirale dreht sich weiter und der Preispoker der Pharmakonzerne setzt sich ungebremst fort.
Das Kleingedruckte
Aber die prominente Verkündigung und der Fokus in der Medienmitteilung haben wohl durchaus ihren Zweck. Geschickt und offensiv umschifft der Bundesrat damit, was auch noch mitentschieden wurde: Auf Wunsch – oder Druck?! – der Pharma gibt es neu bei Medikamenten mit vertraulichem Preismodell keine Transparenz mehr über die Preisverhandlungen. In der per 1.1.2024 in Kraft tretenden Revision der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) wird in einem scheinbaren Nebensatz unter dem zynischen Titel «Veröffentlichungen» (Art. 71, 1b) – und im entsprechenden Kommentar noch zynischer unter «Erhöhung der Transparenz» – verordnet, dass sogenannte «Geheimrabatte» nicht veröffentlicht werden.
Dieses bundesrätliche Vorgehen ist demokratiepolitisch gleich dreifach stossend:
Erstens wegen der Missachtung der Gewaltentrennung und der Umgehung des Parlaments durch die Verordnung per Bundesratsentscheid vor der Verabschiedung der Gesetzesrevision im Parlament.
Zweitens wegen der Missachtung der Rechtsordnung, denn die Verordnung präzisiert jetzt Inhalte, für die es eigentlich eine gesetzliche Basis bräuchte. Auch ein im Auftrag von Public Eye erstelltes Rechtsgutachten sagt klar: Das Öffentlichkeitsgesetz kann nicht über den Verordnungsweg beschnitten werden.
Und drittens, weil auf Verordnungsstufe die Weichen für einen staatspolitischen und systemwidrigen Präzedenzfall gestellt werden, der Tür und Tor für die Aushöhlung des Öffentlichkeitsprinzips öffnet.
Staatspolitischer Kniefall vor der Pharma Royal
Das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) garantiert das Recht auf Zugang zu amtlichen Dokumenten. Die Idee dahinter: Wer mit Steuergeldern arbeitet, soll gegenüber den Steuerzahlenden rechenschaftspflichtig sein. Einschränkungen des Einsichtsrechts dürfen nur dort geschehen, wo staatliche oder private Interessen durch eine Offenlegung gefährdet sind. Dazu gehören etwa die Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz, die Beeinträchtigung aussenpolitischer Interessen und internationaler Beziehungen oder Fabrikationsgeheimnisse von Firmen. Dass bei Medikamentenpreisen nichts davon zutrifft und zwischen dem BAG und den Pharmakonzernen verhandelte Preise zugänglich sein sollen, meint auch der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte (EDÖB) in seiner Stellungnahme zu einem Schlichtungsverfahren zwischen Public Eye und dem BAG.
Das Öffentlichkeitsgesetz ist ein wichtiges Prinzip. Nicht von ungefähr stellte die staatspolitische Kommission des Nationalrat im Herbst 2022 mit einem Mitbericht klar, dass «das Interesse der Bürgerinnen und Bürger bzw. der Konsumentinnen und Konsumenten, jederzeit den tatsächlichen Preis der Arzneimittel zu kennen, höher zu gewichten [ist] als alle anderen Erwägungen.» Die Kommission lehnte darum die Ausnahmeregelung für Medikamente mit vertraulichen Preismodellen vom Öffentlichkeitsprinzip ab.
Auch eine breite Medienallianz (Öffentlichkeitsgesetz.ch, investigativ.ch, Verband Schweizer Medien, SRG SSR, Telesuisse, Medien mit Zukunft, Reporter ohne Grenzen, Schweizer Syndikat Medienschaffender SSM, Syndicom, MAZ Institut für Journalismus und Kommunikation) wehrte sich im Herbst 2023 gegen die Hinterzimmerdeals und hält fest:
«Schaffen Bundesrat und Parlament hier einen Präzedenzfall, besteht die Gefahr, dass das BGÖ künftig von verschiedenen Interessengruppen angegriffen und schrittweise abgebaut wird.»
Ein Geschenk für die Pharma
Herrn Berset lassen alle staatspolitischen Bedenken und die Sorge um die Demokratie offensichtlich unbeeindruckt. Für die Pharma ist diese Geheimhaltungsklausel wortwörtlich Gold wert: Durch «Schaufensterpreise» für hochpreisige Medikamente kann sie ihre Profite maximieren. Obwohl fiktiv, dienen diese als Grundlage für die Preisfestsetzung in verschiedenen Ländern. Bei diesen Hinterzimmer-Abkommen liegt die volle Verhandlungsmacht bei der Pharma, die jedem Staat einen vermeintlich lukrativen Deal mit Geheimrabatt verspricht. Wie hoch die Preise effektiv sind, bleibt unbekannt.
Die Profitgier hat auch eine direkte Auswirkung auf die Prämien: Gut 9,4 der total 37,7 Milliarden Franken, die via obligatorische Krankenversicherungsleistung 2022 bezahlt wurden, entfielen auf Medikamente - grösstenteils auf hochpreisige und patentierte Produkte. Wir alle bezahlen die Profitexzesse der Pharma daher via Prämien für die Grundversicherung und via Steuergelder, etwa für Krankenkassenverbilligungen.
Zu späte Einsicht des Gesundheitsministers
Klar, das Gesundheitssystem ist komplex und von vielen Interessensvertretungen umkämpft. Der Umgang damit als Gesundheitsminister ist herausfordernd. Aber die Missachtung grundlegender staatspolitischer Prinzipien lässt sich damit nicht rechtfertigen. Gerne würde ich wissen, wieso sich Herr Berset so beeilt mit der Revision der KVV. Hat er der Pharma versprochen, die Geheimdeal-Klausel noch vor seinem Amtsende in trockene Tücher zu bringen?
An der Medienkonferenz vom 26.9. 2023 zur Ankündigung des Prämienschocks fragte eine Journalistin den Gesundheitsminister, welche Massnahmen in den kommenden Jahren prioritär behandelt werden sollten. Der Magistrat antwortete:
«Was es vor allem braucht, ist mehr Transparenz.»
Sollte Herr Berset das ernst gemeint haben, kommt diese Einsicht leider deutlich zu spät.
«Hell beleuchtet tut einem die Profitgier der Pharma in den Augen weh – aber die Augen verschliessen macht die Situation nicht besser.»
Christa Luginbühl ist Mitglied der Geschäftsleitung. Ihre thematischen Schwerpunkte sind Grundrechtsfragen, Menschen-, Frauen- und Arbeitsrechte in internationalen Lieferketten sowie Konzernregulierung und handelspolitische Regulierung, insbesondere im Pharmasektor, in der Landwirtschaft und in der Konsumgüterindustrie.
Kontakt: christa.luginbuehl@publiceye.ch
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