Fichen und Fast-Food – der Geheimdienst auf Abwegen

Der Brief löste fast eine berufliche Identitätskrise bei mir aus. Denn darin wurde Public Eye mit McDonalds verglichen, ganz so, als ob unsere politische Arbeit mit Hamburger braten verwandt wäre. Und das Schreiben kam von jemandem, der es ja schliesslich wissen muss, der die geheimsten Winkel unseres Landes kennt: dem Schweizer Staatsschutz.

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB), wie der hiesige Staatsschutz heisst, ist zuständig für die Prävention von Terrorismus, Gewaltextremismus und Spionage, und soll die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie Angriffe auf kritische Infrastrukturen verhindern. All das ist geregelt in Artikel 6 des Nachrichtendienstgesetzes.

Klar, die Erstellung der dafür notwendigen Analysen ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Radikalisierung und Steigerung der Gewaltbereitschaft von Menschen oder Organisationen findet schleichend statt, ein geplanter Anschlag wird selten öffentlich angekündet. Wir wissen aber auch, was passiert, wenn die Gesamtbevölkerung aus Überwachungseifer unter Generalverdacht steht. Der Fichen-Skandal bescherte unserem Land bis Anfang 1990 eine Akten-Flut, ein politisches Erdbeben und das Versprechen, dass sich so etwas nie wiederholen werde.

Dies schlug sich auch im Nachrichtendienstgesetz (Art. 5, Abs. 5, NDG) nieder, wo es heisst, der NDB «beschafft und bearbeitet keine Informationen über die politische Betätigung und über die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit in der Schweiz». Die einzige Ausnahme wird gleich anschliessend definiert (Abs. 6), nämlich wenn «konkrete Anhaltspunkte» vorliegen, dass «terroristische, verbotene nachrichtendienstliche oder gewalttätig-extremistische Tätigkeiten» vorbereitet werden. Sollten sich diese nicht erhärten, müssen gesammelte Daten spätestens nach einem Jahr gelöscht werden (Abs. 7).

Doch zurück zum eingangs erwähnten Brief, der mir, wie gesagt, eine tiefe Sinnkrise in meiner Arbeit bescherte. Auch weil der Vergleich mit McDonalds für mich als jahrzehntelange Vegetarierin und kritische Konsumentin besonders verstörend ist. So gut sollte mich der Nachrichtendienst doch eigentlich kennen…

Der Brief ist Teil einer laufenden Beschwerde gegen den NDB. Public Eye wehrt sich vor Bundesverwaltungsgericht gegen ihre Fichierung und gegen die Weigerung des NDB, diese widerrechtlichen Einträge zu löschen. Darüber, dass der Geheimdienst trotz des Fichenskandals der 90er-Jahre und den aktuellen Gesetzesschranken weiter im grossen Stil Daten über politische Organisationen und Parteien beschafft, wurde kürzlich von den Medien breit berichtet.

In seiner Antwort an das Bundesverwaltungsgericht hält der NDB fest, es handle sich bei den Einträgen zu Public Eye um «reine Kollateraldaten, also um Angaben, die als deskriptive Elemente zwingend notwendig» seien, «um andere, nachrichtendienstlich tatsächlich relevante Sachverhalte zu beschreiben oder einzuordnen». Und dann kommt eben McDonalds: Bei Public Eye verhalte es sich ja mit diesen «Kollateraldaten» so, wie wenn «die Angabe der Filiale des McDonald's-Restaurant in der Berner Altstadt» benutzt würden, um ein Treffen in diesem Lokal zu beschreiben. «Der Begriff McDonald's und die Ortsbezeichnung» würden «durch den NDB einzig genutzt, um ein anderes, nachrichtendienstlich interessierendes Ereignis überhaupt beschreiben zu können.»

Wie gesagt: Public Eye produziert keine Happy Meals, sondern leistet grundrechtlich abgesicherte politische Arbeit. Und diese hat gemäss geltendem Gesetz in den Datenbanken des NDB nichts zu suchen.

Dass sich der NDB in seiner Antwort dermassen vergaloppiert und unsere Petitionen, Positionspapiere und Grundlagerecherchen in einem Atemzug mit Pommes-Frites und McFlurrys nennt, hat einen Grund: Würde sich der NDB nämlich wirklich ans Gesetz halten, müsste er radikal aufräumen, seine Datenspeicher bereinigen, und generell verhindern, dass Daten wie jene über Public Eye überhaupt abgespeichert werden.

In seiner Stellungnahme gegenüber SRF betonte der NDB beschwichtigend, das «Heuhaufen»-Problem sei erkannt, seit September 2021 würde man Hausputz machen und hätte dabei bereits viereinhalb Millionen Meldungen gelöscht. Die von Public Eye sind da aber offensichtlich nicht mitgemeint. Denn am 7. April 2022, also ein halbes Jahr nach der internen Löschungsanweisung, schreibt der NDB ans Bundesverwaltungsgericht: «Die Gesamtlage ist ein Mosaik von Einzelelementen - und hier versucht eine Organisation die von ihr mit Wissen und Willen in einem Mosaik platzierten Steinchen vorzeitig wieder zu entfernen. (…) Anspruch auf eine Sonderregelung hat die Beschwerdeführerin keine. (…) lm Rahmen der Nutzung von Kollateraldaten sind daher die Erwähnungen von Public Eye in den Systemen des NDB nicht zu beanstanden und nötig. Somit besteht auch kein Grund zu Löschung».

Bei der Eröffnung der Revision des Nachrichtendienstgesetzes Mitte Mai 2022 meinte der Bundesrat, der NDB brauche mehr Kompetenzen im digitalen Bereich und zur Verhinderung von Gewaltextremismus. An der Datenbearbeitungsschranke zum Schutz der politischen Betätigung und der Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit gebe es aber keine Änderungen. Dass der Bundesrat bei den offen gelegten Missständen dermassen angestrengt wegschaut, erstaunt und beunruhigt:

Eigentlich wäre eine dezidierte Antwort der Landesregierung nötig, wenn die demokratischen Grundpfeiler und Grundrechte erschüttert und NGOs und Bundesparteien fichiert werden.

Vielleicht hat der Bundesrat aber auch einfach zu viele Hamburger gegessen. Fast Food soll ja bekanntlich träge machen…

Die Vernehmlassung zum Nachrichtendienstgesetz läuft noch bis am 9. September 2022.

«Grundrechte sind wie die Gesundheit: wer sie hat, bemerkt sie gar nicht, wer sie verliert, vermisst sie schmerzlich.»  

Christa Luginbühl arbeitet seit über 10 Jahren bei Public Eye und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Ihr thematischer Schwerpunkt sind Menschen-, Frauen- und Arbeitsrechte in internationalen Lieferketten, insbesondere in der Pharmaindustrie, Landwirtschaft, im Konsum und Agrarrohstoffhandel.

Kontakt: christa.luginbuehl@publiceye.ch

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