Gefährlicher Schweizer Anti-Terror-Eifer

In der Arbeit von Public Eye kennen wir das Thema bestens: Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung werden vielerorts schon heute Gewerkschaftsmitglieder eingeschüchtert und Aktivist*innen verfolgt. Jetzt will ausgerechnet die Schweiz ein Gesetz erlassen, das gegen internationale Menschenrechtsinstrumente verstösst - und damit global einen gefährlichen Präzedenzfall für Verschärfungen schafft.

In einer Weberei in Karachi, Pakistan wehrten sich die Arbeiter*innen gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Die Quittung folgte prompt: Nachdem sie ihre neue Gewerkschaft gegründet hatten, wurden zwölf Angestellte von der Fabrikleitung wegen Erpressung und Terrorismus angezeigt. Sechs Personen wurden verhaftet und schwer gefoltert.

Erst nach einem zweijährigen Verfahren mit über 100 Gerichtsverhandlungen wurden die Männer 2014 schliesslich freigesprochen, auch dank Unterstützung der Clean Clothes Campaign und der EU-Delegation in Pakistan. Der Fall illustriert, was wir in vielen Weltregionen beobachten: Die angedrohte oder effektive Repression gegen Gewerkschafts- und NGO-Kolleg*innen nimmt zu, und

viele Regierungen scheuen sich nicht (mehr), unter dem Deckmantel der Terrorismus­bekämpfung gegen ihre eigene Zivil­gesell­schaft vorzugehen.

Diese Entwicklung ist brandgefährlich, denn Meinungsäusserungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit gehören genauso wie das Folterverbot und das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren zu den Grundrechten, die in der UNO-Menschenrechtskonvention und regionalen Übereinkommen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert sind. Ausgerechnet die Schweiz sorgt mit ihrem neuen Polizeigesetz (PMT) jetzt international für negative Schlagzeilen, denn sie missachtet damit klar diese grundlegenden Menschenrechtsinstrumente.

Schwammige Terrorismusdefinition: Ein global gefährlicher Präzedenzfall

Die «Terrorismus»-Definition im PMT-Gesetz ist so schwammig, dass sie sehr viel Interpretationsspielraum enthält. Der Think Tank «foraus» schlussfolgert in seiner Analyse zum Gesetz, dass die Formulierung keine klaren Kriterien bietet und auch Gruppen kriminalisieren könnte, die sich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Auch international gab es empörte Reaktionen. Gleich fünf UNO-Sonderberichterstatter*innen haben die Schweiz öffentlich gewarnt, dass mit diesem Gesetz ein global gefährlicher Präzedenzfall geschaffen werde: «Die Ausweitung der Definition von Terrorismus auf jede gewaltfreie Kampagne, die mit der Verbreitung von Angst verbunden ist, geht weit über das geltende nationale Recht der Schweiz hinaus und verletzt internationale Standards.» Und: «Diese übermässig expansive Definition schafft einen gefährlichen Präzedenzfall und riskiert, als Modell für autoritäre Regierungen zu dienen, die versuchen, politischen Dissens zu unterdrücken, einschließlich durch Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung.»

Mehr Polizeikompetenzen ohne Gerichtsbeschluss – selbst gegen Kinder

Das Gesetz hat noch andere problematische Aspekte, wie 60 Schweizer Rechtsprofessor*innen in einem offenen Brief unterstreichen. Beispielsweise die Tatsache, dass die Bundespolizeibehörde fedpol weitreichende Kompetenzen zur Anordnung repressiver Massnahmen erhalten soll, ohne dass diese vorgängig von einem Gericht beurteilt werden. Auch die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatovic, wandte sich diesbezüglich besorgt an die Schweiz. Sie warnt, dass die Rechtsstaatlichkeit unterwandert und gravierende Auswirkungen auf die Menschenrechte in Kauf genommen würden.

Die Polizei soll zudem eine breite Palette an «präventiven Zwangsmassnahmen» anwenden können, und zwar auch für Kinder ab 12 Jahren. Dazu gehören Kontaktverbote und elektronische Überwachung, für Kinder ab 15 Jahren sogar Hausarrest von bis zu sechs Monaten, was klar gegen die UNO-Kinderrechtskonvention verstösst.

Individuelle Sicherheit? Globale Standards!

Karin Keller-Sutter sind all diese Warnrufe offenbar egal. «Bei Rechtsfragen gibt es immer verschiedene Meinungen», wird unsere Justizministerin von der WOZ zitiert. Die Schweiz, die sich als Verfechterin der Menschenrechte rühmt und die mit autoritären Staaten Menschenrechtsdialoge führt, manövriert sich mit dem PMT-Gesetz völlig ins Abseits: Glaubwürdige Kritik am Verhalten anderer Staaten ist nicht mehr möglich, wenn die Missachtung grundlegender Menschenrechtsinstrumente von der Schweizer Regierung mit Achselzucken quittiert wird.

Wir alle wünschen uns Sicherheit und Schutz, wir alle sind als Gesellschaft aber auch den Menschenrechten verpflichtet. Am 13. Juni geht es daher um grundlegende Fragen:

  • Ist uns egal, wenn die Schweiz ein Gesetz erhält, das gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstösst?
  • Halten wir es für vertretbar, dass die Schweiz damit auch die UNO-Kinderrechtskonvention missachtet?
  • Finden wir es gut, dass die Schweiz global einen neuen Standard in der Terrorismusdefinition setzt, der viel diffuser ist als jener des UN-Sicherheitsrats und des UN-Sonderberichterstatters für die Förderung und den Schutz der Grundrechte im «Kampf gegen Terrorismus»?
  • Wollen wir in der Schweiz autoritären Regimes tatsächlich einen Vorwand liefern, um politische Gegner*innen oder kritische Medienschaffende einzuschüchtern und abzustrafen?

Wer diese Fragen verneint, legt am 13. Juni auch ein NEIN zum Polizeigesetz in die Urne.

«Wir haben bessere Exportprodukte als eine Terrorismus-Definition, die weltweit Tür und Tor für willkürliche Repression öffnet

Christa Luginbühl arbeitet seit über 10 Jahren bei Public Eye und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Ihr thematischer Schwerpunkt sind Menschen-, Frauen- und Arbeitsrechte in internationalen Lieferketten, insbesondere in der Pharmaindustrie, Landwirtschaft, im Konsum und Agrarrohstoffhandel.

Kontakt: christa.luginbuehl@publiceye.ch

Mehr Infos zum Gesetz:

Blog #PublicEyeStandpunkte

Unsere Fachleute kommentieren und analysieren, was ihnen unter den Nägeln brennt: Erstaunliches, Empörendes und manchmal auch Erfreuliches aus der Welt der globalen Grosskonzerne und der Wirtschaftspolitik. Aus dem Innern einer journalistisch arbeitenden NGO und stets mit der Rolle der Schweiz im Blick.  

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