Glencore pflanzt Kunstrasen – und beerdigt seine Glaubwürdigkeit
Oliver Classen, 20. März 2019
Als mich unser Verleger damals anrief, glaubte ich erst an einen Witz. Eine bekannte PR-Agentur hatte ihm angeboten, ein Schlüsselkapitel unseres Buchmanuskripts vor Publikation «auf allfällige Faktenfehler zu prüfen» – als kostenlose Qualitätssicherung und, wichtiger noch, zum Schutz von Verlag und Autoren. Sein Auftraggeber verfüge nämlich über unbegrenzte Finanzmittel und verfolge unerbittlich jede Rufschädigung. Unser 2011 (natürlich ohne diesen grosszügigen Gegencheck) publiziertes Buch hiess «Rohstoff – das gefährlichste Geschäft der Schweiz». Und der dubiose Agenturkunde, Sie ahnen es, Glencore.
Das dem Branchenprimus gewidmete Kapitel unseres Bestsellers beschreibt bereits ausführlich, was Glencore eben wieder eindrücklich unter Beweis gestellt hat: eine unternehmerische Hochrisikokultur. Die jüngsten Negativschlagzeilen handeln allerdings nicht wie üblich von Korruptionsvorwürfen, vergifteten Flüssen oder vertriebenen Indigenen. Was die australische Ausgabe des Guardian vor zwei Wochen aufdeckte und was seitdem weltweit für Empörung sorgt, ist vielmehr einer der übelsten PR-Tricks seit Erfindung des Internets: Astroturfing.
Was wie eine Weltraumsportart klingt, ist die gezielte Täuschung der Online-Community mit bezahlten Botschaften, die durch falsche Aktivisten oder Spezialistinnen auf Websites oder Social Media verbreitet werden. Der Name geht zurück auf die erste Enttarnung einer solchen Desinformationskampagne. Das war 2002 in den USA, als Monsanto massenhaft positive Kommentare zu seinem Gentech-Mais verfassen liess. Da der aggressive Agrochemie-Konzern damals einen Kunstrasen namens «Astroturf» produzierte und solche Manipulationen ja auch die Glaubwürdigkeit echter Grassroot-Bewegungen untergraben, wurde diese fiese Masche flugs nach der führenden Grasersatz-Marke getauft.
Cäsar wäscht Kohle weiss
Doch worin bestand Glencores «Projekt Cäsar» (aka CEO Glasenberg?), das Australiens Ex-Premier Kevin Rudd als «nationale Schande» brandmarkte und mit dem der keinen Skandal auslassende Rohstoffriese seinen letzten Rest an Glaubwürdigkeit beerdigt hat? Seit Anfang 2017 zahlten die Zuger der angesehenen Londoner PR-Agentur jährlich zwischen 5 und 10 Millionen Franken für Aufbau und Betrieb der Website und Facebook-Gruppe «Energy in Australia». Dort wurden einerseits Wind- und Sonnenkraftwerke für steigende Energiepreise oder gelegentliche Blackouts verantwortlich gemacht und andererseits die Vorzüge von billiger, verlässlicher Kohle gepriesen.
Zudem liess Glencore unliebsame NGOs wie Greenpeace ausspionieren. Ziel war die Ermittlung wichtiger Kennzahlen und die Identifikation möglicher Angriffspunkte zur öffentlichen Diskreditierung der Kohlekritiker. Genau dies passiert nun aber Glasenberg & Co: Ihre gewissenlose Geheimaktion entpuppt sich als PR-Bumerang. Und das just zu jenem Zeitpunkt, wo sie sich dem zunehmenden Druck von Investoren beugen mussten, die vom grössten Schweizer Klimasünder eine Begrenzung seiner erst kürzlich noch ausgebauten Kohleförderung verlangten. Eine strategische Kehrtwende nach diesem Kommunikations-GAU: Peinlicher geht’s kaum.
Unterirdische Imagewerte
In einer 20 Minuten-Umfrage sprachen sich jüngst 80 Prozent von über 1100 Teilnehmenden für ein Verbot von Astroturfing oder eine gesetzliche Transparenzpflicht aus. Dass ausgerechnet das umsatzstärkste Unternehmen der sauberen Schweiz solch dreckige Methoden anwendet, erstaunt hingegen niemanden, wie aus den Kommentaren hervorgeht. Denn Glencore teilt mit Monsanto nicht nur den Kommunikationsstil, sondern länger auch schon die Imagewerte. Diese sind hierzulande so unterirdisch, dass die begrifflich etwas sperrige Konzernverantwortungsinitiative vielerorts inzwischen kurz «Lex Glencore» heisst. Was sogar für die notorisch schlecht beleumundete Rohstoffbranche ein ganz besonderer Leistungsausweis ist.
Oliver Classen
„Als Sprachrohr, Spin Doktor und Schreiberling weiss ich: Die Wahrheit ist ein Näherungswert, keine Ansichtssache. Guter Journalismus weiss und zeigt das.“
Oliver Classen ist seit über zehn Jahren Mediensprecher von Public Eye. Zudem schrieb er am Rohstoff-Buch mit und koordinierte mehrere Jahre die Public Eye Awards (2000-2015) in Davos. Vorher arbeitete er für verschiedene Zeitungen, darunter die Handelszeitung und der Tagesanzeiger.
Kontakt: oliver.classen@publiceye.ch
Twitter: @Oliver_Classen
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