Hofberichterstattung statt Machtkontrolle
Oliver Classen, 17. Januar 2019
Wie alles Gute kommt auch der CEO aus den USA. Nicht dessen Funktion als Geschäftsführer natürlich, sondern das so elegant wie einschüchternd wirkende Kürzel dafür. Daneben tönt der gute alte Generaldirektor total hölzern und vor allem vorgestrig. In der Schweiz tauchten die drei Buchstaben 1991 zum ersten Mal auf – ohne irgendwelche Erläuterung und nicht zufällig im 2007 eingestellten Wirtschaftsblatt «Cash» (dessen Titel ein weiterer Indikator für die Amerikanisierung unserer Ökonomie und Publizistik war).
«Popularisierung durch Personalisierung» hiess das damalige Erfolgsrezept des Ringier-Produkts, das biedere Wirtschaftsführer – Frauen waren auf Teppichetagen damals inexistent – wie glamouröse Popstars inszenierte. Salonfähig wurde solcher People-Journalismus bei uns übrigens durch die aus dem gleichen Haus stammende «Schweizer Illustrierte», in der schon Ende der Achtziger Jahre Missen im Schaumbad und Manager in der Sauna gezeigt wurden.
Inzwischen sind Home Stories über CEOs längst Branchenstandard und deren Privatvermögen häufig ein Gradmesser für wirtschaftsjournalistische Relevanz.
An der Spitze dieser Entwicklung steht die dicke Goldnummer der «Bilanz» mit ihrer stilbildenden Rangliste der 300 reichsten Personen und Familien mit Schweizer Wohnsitz. Dieses jeweils Ende November erscheinende Who’s Who helvetischer Globalisierungsprofiteure, Steueroptimierer und Oligarchen bringt dem Verlag mehr Weihnachtsumsatz und der mehr oder minder neidischen Leserschaft mehr Orientierung darüber, wem es im nächsten Jahr besonders nachzueifern gilt.
Das Hochglanzheft lässt nämlich keinerlei Zweifel an der gesellschaftlichen Vorbildfunktion von Vekselberg, Kamprad, Glasenberg & Co. An einem hausinternen Apéro hatte unser Redaktor Timo deshalb die Idee, einen Gegenakzent zu dieser geistlosen Gier zu setzen. So entstand ein (dank NGO-Rabatt!) hälftig bezahltes Inserat, das Aufgelistete wie Abonnentinnen freundlich, aber bestimmt dazu einlädt, mit einer Spende an Public Eye ein paar Karma-Punkte gut zu machen. Denn, so stellte der Anzeigentext klar: «Mit ihrer lukrativen Laufbahn haben sie dazu beigetragen, die Welt noch ein Stück ungerechter zu machen».
Auch wenn wir noch auf die erste Millionenspende warten – medial fand unsere Spitze gegen die Superreichen und ihre schreibenden Groupies ein grosses Echo. Ein weiterer Höhepunkt in der Inszenierung von immer ungerechteren Vermögens- und Machtverhältnissen steht uns nächste Woche bevor: am Gipfel der Eitelkeiten in Davos. Viel des dortigen „Weltwirtschaftsjournalismus“ ist noch unkritischer und substanzfreier als die Gold-Bilanz. Ein besonders unrühmliches Beispiel der Berichterstattung vom Hofe des Klaus Schwab war bis letztes Jahr das «WEF live» vom Schweizer Fernsehen. Zwischen der Übertragung belangloser Podien interviewten dort SRF-Moderatoren im Viertelstundentakt alles, was auch nur im Entferntesten unter VIP-Verdacht stand.
Als Koordinator unserer «Public Eye Awards» wurde sogar ich manchmal eingeladen. Ganz ohne kritisches Feigenblatt ging es fürs staatlich finanzierte TV dann doch nicht. Eben diese Finanzquelle – also wir alle – hat nun auch zum Rückzug geführt: SRF muss sich 2019 an die 30 Millionen Franken abknapsen. Und beginnt damit vernünftigerweise bei der Dauerberieselung vom Zauberberg. Wenn ich dem «No Billag»-Nonsense paradoxerweise für etwas dankbar bin, dann für diesen Effekt des von der Initiative aufgebauten Spardrucks. In die Lücke springt «CNN Money Switzerland». Schliesslich sind harmlose CEO-Interviews schon jetzt das Markenzeichen des seit Jahresfrist sendenden und komplett privat finanzierten US-Lizenznehmers.
Dessen Chefredaktor Urs Gredig kam übrigens vom SRF und ist selbst Davoser. Seinen damaligen Kolleginnen vom Promi-Format „Glanz & Gloria“ gestand er einmal, dass er als 16-Jähriger beim WEF an der Garderobe gearbeitet hat. «Das war wirklich lässig. Damals durfte ich Nelson Mandela den Mantel abnehmen.» Für Gredig schliesst sich 2019 also ein Kreis. Bleibt zu hoffen, dass er als Live-Berichterstatter über seine Rolle als «Garderobier der Mächtigen» deutlich hinauswachsen wird.
Oliver Classen, Mediensprecher
„Als Sprachrohr, Spin Doktor und Schreiberling weiss ich: Die Wahrheit ist ein Näherungswert, keine Ansichtssache. Guter Journalismus weiss und zeigt das.“
Oliver Classen ist seit über zehn Jahren Mediensprecher von Public Eye. Zudem schrieb er am Rohstoff-Buch mit und koordinierte mehrere Jahre die Public Eye Awards (2000-2015) in Davos. Vorher arbeitete er für verschiedene Zeitungen, darunter die Handelszeitung und der Tagesanzeiger.
Kontakt: oliver.classen@publiceye.ch
Twitter: @Oliver_Classen
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