Nestlé verbessert die Welt – mit Schweizer Steuergeldern
Christa Luginbühl, 21. Februar 2019
Ignazio Cassis sass wohl bei einem Nespresso-Kaffee und einem Glas Vittel, als ihm die geniale Idee des „Geneva Science and Diplomacy Anticipator“ kam. Drei Millionen Franken Startkapital vom Bund bekommt die Stiftung, deren Ziel es unter anderem sein soll, die Themen der Weltordnungspolitikagenda von morgen vorauszusehen und internationalen Organisationen Regelungsvorschläge anzubieten, um „ihren Auftrag der globalen Regulierung wahrzunehmen“.
Am 20.2.2019 stellte der Aussenminister seine Stiftung der Öffentlichkeit vor. Herr Cassis war stolz; das war doch mal ein Plan, der kompetent und innovativ tönte. Und für das Stiftungspräsidium konnte er einen weltbekannten Kadermann gewinnen: Peter Brabeck-Letmathe, langjähriger Nestlé-CEO, danach Nestlé-Verwaltungsratspräsident und seit 2017 Chairman Emeritus der Nestlé S.A. An Brabecks Seite setzte Cassis als Vizepräsidenten der Stiftung Patrick Aebischer, ehemals Präsident der École polytechnique fédérale Lausanne (EPFL) und von 2011 bis 2015 Verwaltungsratsmitglied der Nestlé Health Science SA. Diese beiden Herren sollen nun also im Namen der Schweiz Wissenschaft und Diplomatie näher zusammenbringen.
Cassis und die Konzerne
Moment – Was hat Nestlé mit Diplomatie zu tun und warum soll die Firmenelite internationalen Organisationen Regelungsvorschläge anbieten? Ganz einfach: Der Konzern braucht einen angemessenen Rahmen, um für das Wohl der Welt zu sorgen. Denn bei seinem Besuch in der Glencore-Skandal-Mine in Sambia hatte Herr Cassis ja gesehen, wie Konzerne die Welt verbessern. Ein Erfolgsrezept, das es zu wiederholen galt.
Es soll Wirkung erzielt werden, das ist schliesslich das Credo der Schweizer Aussenpolitik. Und wo könnten sich Konzerne, die die Welt verbessern wollen, besser engagieren als in Genf, der Stadt mit dem Sitz von 37 internationalen Organisationen, 177 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, mehr als 380 NGOs, mehr als 30‘000 internationalen Bediensteten sowie über 220‘000 Delegierten aus aller Welt, darunter mehr als 4000 Staats-und Regierungschefs und -chefinnen, die zu Besuch kommen.
Interessenskonflikte? Ach was. Herr Aebischer liess sich zwar an der EPFL zwei Lehrstühle von Nestlé finanzieren und musste deswegen per 2015 aus dem Verwaltungsrat der Nestlé Health Science SA austreten. Aber 2015 wechselte er nahtlos in den Verwaltungsrat der Nestlé S.A und sitzt jetzt erneut im Advisory Board der Nestlé Health Science SA. Das beweist doch, dass er ganz klar weiss, wessen Interessen er vertritt.
Und Herr Cassis kennt solcherlei ja aus dem eigenen Haus: Der Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), Manuel Sager, sitzt zusammen mit Paul Bulke, Verwaltungsratspräsident der Nestlé S.A. im Leitungsgremium der „2030 Water Resource Group“. Diese bringt unter anderem Pepsico, Coca Cola, Nestlé und die Weltbank zusammen und deklariert als Ziel Armutsreduktion und nachhaltiges Wassermanagement.
Das „N“ steht für Nachhaltigkeit
Armutsreduktion und Nachhaltigkeit – das sind ja geradezu die Kernkompetenzen dieser Flaschenwasserkonzerne. Das wissen die Menschen in Brasilien, Südafrika oder Kanada schon längst, und davon sind nun sicherlich auch die Einwohnerinnen und Einwohner von Vittel überzeugt, denn dort demonstriert Nestlé gerade, wie nachhaltiges Wassermanagement aussieht.
Das “N“ bei Nestlé steht für Nachhaltigkeit, das ist unbestritten. Der Konzern meint es gut mit uns: Er versorgt die Welt mit aufwändig produziertem Flaschenwasser (wieso Wasser aus der Leitung trinken, wenn es dasselbe auch aus weitgereisten Plastikflaschen gibt?!), mit bunten Kaffee-Kapseln (die sind sogar recyclebar!), mit zuckerreichen Frühstücksflocken (da hat es erst noch gesundes Palmöl drin!) und mit Milchpulver (damit schon die Kleinsten den mondänen Geschmack von Nestlé kennenlernen!).
Dass Nestlé seit Jahren für eine lange Liste an Menschenrechtsverletzungen kritisiert wird, unter andere für sein aggressives Marketing von Babymilch-Pulver und der Missachtung des „Milk Code“ der Weltgesundheitsorganisation WHO (mit Sitz in Genf!), hat Herr Cassis vermutlich noch nicht erfahren. Vielleicht liest er ja nie den Guardian sondern eher den Corriere del Ticino. Im Guardian hätte Herr Cassis lesen können, dass sich Nestlé erst 2018 in den Philippinen über das Werbeverbot von Milchpulver hinwegsetzte.
Ein Mann der Tat
Peter Brabeck-Letmathe packt an: Die neue Stiftung wolle, wie er ankündigt, „bis in zweieinhalb Jahren ein oder zwei Projekte zur Regulierung von globalen Herausforderungen ausgearbeitet haben.“ Herr Cassis darf stolz sein, denn die Stiftung wird am Zentrum der Macht in Genf agieren, in der Stadt, die laut Bundesrat „über eine weltweit einmalige Konzentration von internationalen Akteuren“ verfügt - das internationale Genf stehe „im Zentrum des Geschehens und der Entscheidungen.“
Unser Steuerfranken, unser guter Ruf und unsere Grundwerte sind also in besten Händen und die Wirkung von Genf aus wird nicht auf sich warten lassen. Allerdings sieht es ganz danach aus, dass aus dem «Geneva Science and Diplomacy Anticipator» der «Geneva Science and Diplomacy Terminator» wird – die endgültige Kapitulation demokratisch gewählter Regierungen vor der Privatwirtschaft.
Da hilft uns dann auch die bunteste Nespresso-Kaffee-Kapsel nicht als Aufmunterung. Und selbst Herr Cassis müsste sich an seinem Vittel verschlucken, wenn er sich die politische Signalwirkung der neuen Stiftung mal genau überlegen würde.
„Manchmal ist die Realität so trist, dass nur Ironie hilft“
Christa Luginbühl arbeitet seit über 10 Jahren bei Public Eye und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Ihr thematischer Schwerpunkt sind Menschen-, Frauen- und Arbeitsrechte in internationalen Lieferketten, insbesondere in der Pharmaindustrie, Landwirtschaft, im Konsum und Agrarrohstoffhandel.
Kontakt: christa.luginbuehl@publiceye.ch
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