NGOs als Privatklägerinnen in Korruptionsfällen

In Frankreich haben hierfür zugelassene, spezialisierte Nichtregierungsorganisationen das Recht, als Privatparteien aktiv an Korruptionsverfahren teilzunehmen: Sie können Anträge stellen, Plädoyers halten und Akten einsehen. Durch ihr Fach- und Fallwissen stärken sie das Verfahren. Auch die Schweiz braucht eine solche Regelung.

Stellen Sie sich vor: Sie führen ein Unternehmen und bemerken, dass eine Person, die bei Ihnen auf der Lohnliste steht, Sie bestiehlt. Systematisch und durch vertrackte Transaktionen. Seit Jahren. In grossem Stil, ja sehr grossem Stil. Jetzt sind Sie bankrott. Sie können keine Löhne mehr zahlen. Sie müssen schliessen. Sie erstatten Anzeige. Die Staatsanwaltschaft nimmt den Fall an die Hand. Monate später erhalten Sie ein Schreiben, dass kein Verfahren eröffnet worden sei.

Und das war es.

Fühlt sich nicht richtig an, oder? Sie haben so viel beizutragen, wollen sich äussern und bei den Ermittlungen dabei sein. Verstehen, zu welchen Schlüssen die Staatsanwaltschaft weshalb kommt – und ob es eventuell noch Missverständnisse oder Lücken gibt. Ob und wie es der angeschuldigten Person gelingt, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Schliesslich kennt niemand Ihr Unternehmen so gut wie Sie. Alles soll ans Licht kommen!

Das sieht zum Glück auch das Schweizer Recht so. Direkt Geschädigte haben all diese Rechte. Sie können Partei im Strafverfahren sein, so genannte Privatkläger nach Art. 115 ff. StPO.

Frankreich macht es vor

Aber wie sieht das aus, wenn gleich ein ganzer Staat und damit auch seine Bevölkerung geschädigt werden? Und zwar durch genau diejenigen «Angestellten», die ihnen eigentlich dienen sollten?

Im französischen Recht (Article 2-23 der französischen Strafprozessordnung, Code de procédure pénale) können auf die Korruptionsbekämpfung spezialisierte Verbände nach einem (sehr!) intensiven Zulassungsverfahren als Privatkläger auftreten. In besonders wichtigen Fällen bringen sie ihre Fachkompetenz ein und unterstützen so die Rechtsfindung.

Das Schweizer Recht erlaubt ähnliche Verbandsklagen im Wettbewerbsrecht (Art. 10 des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb) und im Umweltschutzrecht (Art. 55 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz). Aber nicht in Korruptionsfällen, die den betroffenen Ländern dringend benötigte Mittel entziehen.

Nichts für die Schweiz, findet das Parlament

Der Nationalrat hat 2012 eine parlamentarische Initiative abgelehnt, die ein Verbandsklage- und -beschwerderecht im Kampf gegen Geldwäscherei und Korruption gefordert hatte. Der Nationalrat führte aus, die Staatsanwaltschaft müsse diese Delikte von Amts wegen verfolgen (Verfolgungszwang, Art. 7 StPO), während in Frankreich das Opportunitätsprinzip gelte. Die Schweizer Öffentlichkeit könne sich auf dieses Prinzip verlassen.

Die Verbände hingegen sind auf eine enge Rolle beschränkt: Sie können lediglich wie jeder andere auch Anzeige erstatten und sich so einbringen, wie Public Eye es in mehreren Fällen getan hat (z.B. in den Fällen Glencore im Kongo, Credit Suisse in Mosambik oder im Fall Congo Hold-Up). Dies empfindet der Schweizer Gesetzgeber als ausreichend. Und überhaupt würden zusätzliche Verbands-Privatkläger die Verfahren doch einfach komplizierter machen.

In der Praxis hat dies in der Schweiz dazu geführt, dass die meisten internationalen Korruptionsfälle bis anhin in einem vereinfachten Verfahren ohne öffentliche Verhandlung durch einen Strafbefehl beigelegt wurden, der für die Öffentlichkeit kaum zugänglich ist.

Mangels Privatklägerschaft kann bisher niemand die Perspektive der Betroffenen einbringen und Einsprache gegen Verfahrenseinstellungen oder Strafbefehle einlegen. Die von Korruption und Bestechung Betroffenen bekommen keinen «Day in Court», und die Öffentlichkeit erfährt keine Details, weder über die Straftaten selbst noch über ihre Behandlung. So können auch andere Unternehmen nicht abschätzen, worauf sie sich einlassen, wenn sie sich im Verdachtsfall selbst anzeigen – mit der Gefahr, dass sie dies im Zweifel unterlassen.

Wobei sich die Dinge entwickeln: Für 2024 sind mehrere grosse Prozesse am Bundesstrafgericht in Bellinzona angekündigt (1MDB, Trafigura). So wird mehr Transparenz hergestellt. Das ist zu begrüssen. Wieviel Raum die Perspektive der Geschädigten erhält, wird sich zeigen.

Unbedingt etwas für die Schweiz, finde ich

Natürlich wird das Verfahren nicht einfacher, wenn da noch jemand am Tisch sitzt. Zumal es gerade um komplexe Fälle mit Auslandsbezug geht. Hier würden auf die Korruptionsbekämpfung spezialisierte Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ihre Erfahrung einbringen, Fragen stellen und Informationen beisteuern, welche die Schweizer Staatsanwaltschaft nicht kennen kann. Zudem würden die NGOs für Transparenz sorgen.

Das Schweizer Rechtssystem würde davon profitieren, wenn sie entsprechend spezialisierten Vereinigungen erlauben würde, als Privatkläger aufzutreten.

Britta Delmas arbeitet im Bereich Rohstoffe und Finanzen bei Public Eye. Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, den sie am 2. Februar 2024 im Rahmen der Konferenz « La justice négociée dans la corruption transnationale – entre transparence et confidentialité » an der Faculté de droit de l'Université de Neuchâtel gehalten hat.

Kontakt: britta.delmas@publiceye.ch

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