Schweizer Rohstoffhandel: Ein Geschäftsmodell des «Wegschauens»
Angela Mattli, 15. März 2022
Public Eye dokumentiert seit über zehn Jahren die globalen Auswirkungen des Schweizer Rohstoffhandelsplatzes. Die letzten zwei Wochen waren für uns – wie für viele andere hier - besonders intensiv. Per Live-Ticker prasseln Nachrichten zur russischen Invasion in die Ukraine auf uns ein. Nachrichten, die schockieren, lähmen und wütend machen. Nachrichten, die zeigen, dass die sogenannt «neutrale» Schweiz in der Finanzierung dieses Kriegs eine zentrale Rolle spielt. Nachrichten, die zeigen, dass die vermeintlich «kleine» Schweiz im Handel von russischem Rohöl ein Riese ist.
Warum?
Die Fakten sprechen Bände: Russland verdient jedes Jahr über 200 Milliarden Franken mit dem Export von Öl und Gas. Und davon wird rund 80% in der Schweiz gehandelt.
Von Schweizer Rohstoffhändlern, die weiter wegschauen, was der russische Staat mit diesem Geld macht. Ganz legal im Rahmen der Schweizer Gesetzgebung, deren Lücken für Rohstoffhändler sperrangelweit offen stehen.
Soviel zur Ausgangslage. Aber warum in der Schweiz? Warum in Genf, Zug und Lugano? Ganz einfach: Die Schweiz verfügt über die idealen Voraussetzungen. «Standortvorteil» nennt sich das. Das politische Rezept: «Wegschauen», «Nicht-Kümmern». «Runter spielen.» «Kä Luscht».
Schweizer Banken kümmert es immer noch nicht so genau, wessen Geld sie auf dem Konto haben. Anwält*innen müssen bislang nicht so genau hinschauen, für wen sie ihre Briefkastenfirmen und Trusts konstruieren. That’s the deal. Und das macht aus dem vermeintlichen Zwerg einen einflussreichen Riesen. Und zeigt, dass die kleine Schweiz Verantwortung hat. Eine RIESENverantwortung.
Wir dürfen nicht abseits stehen angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine. Vergessen wir nicht, dass in der Ukraine bereits seit 2014 Krieg herrscht. Damals – nach dem Euromaidan – hat Russland die Separatistenregionen im Donbas unterstützt und die Halbinsel Krim besetzt. Schon damals ein unverzeihlicher Bruch des Völkerrechts. Was hat die Schweiz gemacht? Sie hat die EU-Sanktionen nicht umgesetzt und nur minimale Massnahmen gegen Russland erlassen. Den technischen Begriff dafür erspare ich Ihnen. Die Konsequenz: Der russische Rohölhandel in der Schweiz ist nicht etwa versiegt. Im Gegenteil: Recherchen zeigen, dass das Öl hier ungehindert weiter sprudelte und der Handel florierte.
Letzte Woche hat die Schweiz sich dazu entschieden, die EU-Sanktionen doch noch zu übernehmen. Mit Verspätung und grossem Zögern. So wenig wie nötig, so langsam wie möglich.
Der Krieg in der Ukraine zerrt ein Schweizer Geschäftsmodell ins Scheinwerferlicht, das auf dem Prinzip des «Wegschauens» basiert.
Und was wir sehen, tut weh. Die Schweiz profitiert von korrupten Oligarchen und dem russischen Rohstoffhandel. Sie hat Mitverantwortung dafür, dass die Kriegskasse von Putin dank diesem Geschäft gefüllt bleibt. Das darf nicht sein.
Wir fordern vom Bundesrat und Parlament, dass sich die Schweiz mit denjenigen Staaten solidarisiert, die Russland strikt sanktionieren, und dass sie mit dafür sorgt, dass endlich ein internationales Embargo für den Import und Handel mit russischem Öl und Gas ausgesprochen wird. Das bedeutet, dass wir uns Putin gegenüber warm anziehen und die Energiewende mit voller Kraft in Angriff nehmen müssen. Zudem braucht es ENDLICH eine Rohstoffmarktaufsicht, die den Handel kontrollieren und in Schranken weisen kann. Es ist höchste Zeit, dass wir Verantwortung übernehmen. Die Zeit des Wegschauens, der Ausreden, des Herunterspielens ist definitiv vorbei. Solidarität heisst handeln. Fangen wir damit an.
Vse bude Ukraina!
Djakuju
Diese Rede hielt Angela Mattli am 12.3.2022 auf der Friedensdemo in Bern.
«What matters is the information, not what you think about it» (Anna Politkovskaya)
Angela Mattli arbeitet seit ihrem Studium intensiv zur Menschenrechtsituation in Osteuropa. Seit drei Wochen analysiert sie die russische Invasion in der Ukraine und die Auswirkungen auf den Schweizer Rohstoffhandel exzessiv (mit bedenklichem Ausmass an Bildschirmzeit) und war froh, anlässlich der Kundgebung ihrer Wut und ihren Gedanken analog Luft verschaffen zu können.
Kontakt: angela.mattli@publiceye.ch
Twitter: @AngelaMattli
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