Serien-Umweltsünder Nornickel versucht verzweifelt, sich grün zu waschen
Agathe Duparc, 2. Juni 2021
Seit einigen Monaten läuft die Kommunikationsmaschine des russischen Riesen Norilsk Nickel (Nornickel) heiss. Der weltgrösste Produzent von veredeltem Nickel und Palladium, dessen Lager- und Produktionsstätten sich im Norden Russlands, auf der Taimyrhalbinsel jenseits des Polarkreises und auf der Halbinsel Kola befinden, beging den Jahrestag der riesigen, von ihm verursachten Umweltkatastrophe unter besten Voraussetzungen.
Es war am 29. Mai 2020: Einer der Dieseltanks des Wärmekraftwerks Nummer drei, das Norilsk (eine Stadt mit einer Bevölkerung von 170’000 Menschen im Norden der Region Krasnojarsk) versorgte, stürzte in sich zusammen. Wie Expert*innen nachweisen konnten war nicht das Auftauen des Permafrostes dafür verantwortlich, sondern eine Reihe von groben Fahrlässigkeiten seitens Norilsk-Taimyr (NTEK), Nornickels Energiefiliale im Besitz der Anlage.
Fast 21’000 Tonnen Treibstoff liefen in die nahegelegenen Flüsse aus.
Trotz der von Nornickel installierten schwimmenden Ölsperren wurde die einzigartige Flora und Fauna der Taimyrhalbinsel auf Hunderten von Kilometern in Mitleidenschaft gezogen. Mehrere indigene Völker – die Dolgan*innen, die Nenzen und die Nganasan*innen – bewohnen diese Weiten der arktischen Tundra. Die Fische, von denen sie lebten, sind grösstenteils gestorben und die Rentiere, die sie jagten, aus dem Gebiet geflohen.
Dazu unser Artikel Serien-Umweltsünder Norilsk Nickel vertreibt seine Metalle von Zug aus
Nichts als Worte
Seitdem bemüht sich Nornickel, der Welt seinen wundersamen Wandel zu erklären. Ende April veröffentlichte der Konzern seinen mit hübschen Eisbärenzeichnungen illustrierten Nachhaltigkeitsbericht 2020 sowie ein «Weissbuch», das sich damit befasst, auf welch bewundernswerte Art und Weise das Diesel-Desaster mit jeder Stunde mehr eingedämmt werden konnte. In der Einleitung räumt der milliardenschwere Hauptaktionär des Konzerns Wladimir Potanin ein, dass «die bisherigen Bemühungen (Anm. d. Red.: puncto Umwelt) nicht ausreichend waren.» Nun verspricht Nornickel das Blaue vom Himmel: «Eine neue, ganzheitliche Umweltstrategie in sechs Schlüsselbereichen des Umweltschutzes, mit Zielen, die bis 2030 erreicht werden sollen». Klimawandel, Luft, Wasser, Boden, Abfallwirtschaft, Biodiversität – alles dabei!
Russlands reichster Mann, Oligarch Potanin, musste in die Rolle des Mister Sustainability schlüpfen. Kurz nach dem Unfall hatte Präsident Putin ihn in einer Videokonferenz, die über die offiziellen TV-Kanäle ausgestrahlt wurde, scharf zurechtgewiesen. Dann, im November 2020, bezeichnete die regimetreue Präsidentin des russischen Föderationsrates, Walentina Matwijenko, Nornickel als «sozial unverantwortliches und zynisches» Unternehmen und seine Manager*innen als «völlig gleichgültig gegenüber dem Heimatland, in dem sie leben und enorm viel Geld verdienen». Sie beschuldigte den Konzern, lokale und regionale Abgeordnete bestochen und seinen Leuten die Kontrolle über den Haushalt der Stadt Norilsk übertragen zu haben. Einige sahen darin den Beginn einer Offensive des Putin-Clans, um die Macht über Nornickel ganz nach russischen Gepflogenheiten zurückzugewinnen.
Droht ein weiterer Unfall?
Das Ergebnis: Nornickel bezahlte eine Rekordbusse von 147,8 Milliarden Rubel in klingender Münze (1,9 Milliarden Franken), verhängt von der Umweltaufsichtsbehörde (Rosprirodnadzor). Allerdings erst, nachdem es pedantisch erklärt hatte, der Schaden durch das Dieselleck betrage nur 136 Millionen Franken. Eine weitere Metamorphose: Der russische Konzern will angeblich bei bestimmten Themen «einen direkten Dialog mit Vertretenden indigener Völker, Umweltorganisationen und der wissenschaftlichen Gemeinschaft» etablieren, wobei «eine öffentliche Kontrolle und die Zustimmung indigener Minderheiten mit eingeschlossen werden könnte».
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass diesen Worten auch Taten folgen.
Im vergangenen April zeigten mehrere Inspektionen, dass die für das Leck verantwortliche Norilsk-Filiale nur 38 der 115 aufgelisteten Unregelmässigkeiten behoben hatte. Das lässt befürchten, dass es erneut zu einer Katastrophe kommen könnte.
Obwohl der Konzern 2016 versprochen hatte, die Umweltverschmutzung in Norilsk bis 2020 um 75% zu reduzieren, waren die Schwefeldioxid(SO2)-Emissionen 2018 wieder gestiegen, wie Daten der US-Raumfahrtbehörde NASA zeigen. Laut Greenpeace verursachten die Anlagen des Konzerns 2018 50% der SO2-Emissionen in Russland, doppelt so viel wie in den USA insgesamt.
Appell an internationale Partner*innen
Die von der Umweltkatastrophe direkt betroffenen indigenen Gemeinschaften der Halbinseln Taimyr und Kola, die bisher nur läppische Entschädigungssummen erhalten haben, wollten sich nicht länger mit leeren Versprechungen zufriedengeben.
Im vergangenen Herbst machte eine Kampagne Druck auf Nornickels internationale Partner*innen. Lanciert wurde sie von der Batani Foundation (einer russischen NGO, die ins US-amerikanische Exil ausweichen musste, nachdem sie 2017 als «ausländische Agentin» bezeichnet worden war) und dem Aborigen Forum, das unabhängige Expert*innen und Aktivist*innen von Russlands Norden und Fernem Osten zusammenbringt. In der Schweiz erhielt die Kampagne Unterstützung von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), die den Fall Nornickel aufmerksam verfolgt.
Nicht nur an Tesla-Chef Elon Musk, der für die Produktion seiner Elektrofahrzeuge alles Nickel der Welt aufkaufen würde, appellierten Aktivist*innen, auch Nornickels strategischer Partner BASF erhielt einen Brief: Rund zwanzig NGO, darunter Public Eye, forderten den deutschen Chemieriesen dazu auf, kein Kupfer oder Nickel mehr zu beziehen, solange keine «umfassende und unabhängige Beurteilung der durch den Abbau von Nickel und anderen Metallen verursachten Umweltschäden auf Russlands Taimyrhalbinsel und in der Oblast Murmansk» vorliegt und die Rechte der indigenen Gemeinschaften nicht respektiert werden.
BASF antwortete höflich, dass bei Nornickel «ein Wille und Massnahmen zur Verbesserung» erkennbar seien. Auf wiederholten Druck Norwegens, das unter der Umweltverschmutzung durch seinen russischen Nachbarn leidet, hat Nornickel kürzlich beschlossen, zwei seiner Schmelzhütten auf der Halbinsel Kola zu schliessen, eine für Nickel, die andere für Kupfer in Montschegorsk. Sie verstiessen gegen alle Normen, ohne dass die grösstenteils korrupten Lokalbehörden etwas unternommen hätten. 2016 wurde ein Inspektor der russischen Umweltbehörde angeklagt, weil er von einem Nornickel-Werksleiter als Gegenleistung für günstige Gutachten Bestechungsgelder in der Höhe von 92’000 US-Dollar angenommen hatte.
Schweizer Banken befragt
Die Batani Foundation und das Aborigen Forum haben sich nun an die Schweiz gewandt. Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat drei russische Aktivist*innen eingeladen, um zwischen dem 31. Mai und dem 5. Juni verschiedene Aktionen durchzuführen. Am Donnerstag, 3. Juni findet im Polit-Forum in Bern eine Podiumsdiskussion statt: Hier geht’s zum Programm.
Vor einigen Monaten forderten die Nichtregierungsorganisationen die Credit Suisse, die UBS und die Privatbank Pictet dazu auf, sich zu ihrer Beziehung zu einem der schlimmsten Umweltsünder der Welt zu äussern. Die drei Banken besitzen Aktien bzw. Anleihen von Nornickel oder haben dem Konzern Kreditlinien gewährt, wie diese Tabellen zeigen:
Es finden – vorerst vertrauliche – Gespräche mit Vertretenden der Banken statt.
Ausserdem wurde eine Terminanfrage an die diskrete Schweizer Handelsniederlassung von Nornickel verschickt, die Metal Trade Overseas AG. Über diese Zuger Tochtergesellschaft vertreibt der russische Konzern seine Produkte nach Europa, Asien, China und in die USA. Die Reaktion war ein Einschreiben mit dem Hinweis, nur die Muttergesellschaft könne antworten. Die Kommunikationsmaschine von Nornickel hat es offenbar nicht über die Schweizer Grenze geschafft.
„Die Welt ist mehr bedroht durch die, welche das Übel dulden oder ihm Vorschub leisten, als durch die Übeltäter selbst." Albert Einstein
Agathe Duparc arbeitet seit Mai 2018 bei Public Eye und ist verantwortlich für Recherchen zu Rohstoffhandel. Als Expertin für Russland und Wirtschaftskriminalität arbeitete sie als Journalistin für verschiedene französische Medien, darunter Le Monde und Mediapart.
Kontakt: agathe.duparc@publiceye.ch
Twitter: @AgatheDuparc
Dieser Text ist eine Übersetzung des französischen Originaltextes.
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