Steuern
18. Oktober 2016
Die Schweiz erleichtert die Steuerflucht auf zwei Arten: Einerseits unterscheidet sie zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug, was den Schweizer Behörden lange erlaubte, den ihr entsprechenden ausländischen Behörden ihre Hilfe zu verweigern. Andererseits bietet sie multinationalen Unternehmen Steuervorteile (insbesondere die bekannten kantonalen Sonderregeln), welche es diesen ermöglicht, im Ausland erzielte Gewinne in die Schweiz zu verlagern und sie so grösstenteils der Versteuerung zu entziehen.
Gelder, die Entwicklungsländern aufgrund von Steuerflucht entgehen, sind für den Schweizer Finanzplatz alles andere als unerheblich. Public Eye berechnete 2008, dass jährlich zwischen 5,4 und 22 Milliarden Franken in Form von Steuerfluchtgeldern aus Entwicklungsländern in die Schweiz fliessen – ein Mehrfaches der 1,26 Milliarden Franken Schweizer Entwicklungshilfe.
Steuerbetrug vs. Steuerhinterziehung
In der Schweiz wird Steuerhinterziehung (wenn also jemand „vergisst“, ein Vermögen oder Einkommen zu deklarieren) im Gegensatz zum Steuerbetrug (der Urkundenfälschung mit einschliesst) nicht strafrechtlich sanktioniert. Nun ist es jedoch so, dass ein Drittstaat prinzipiell nur Rechts- oder Amtshilfe beantragen kann, wenn ein strafbares Vergehen vorliegt. Das Schweizer Gesetz schützt damit Personen, die dem Fiskus ihres Herkunftslands entgehen wollen, indem sie ihr in der Schweiz angelegtes Vermögen nicht deklarieren.
Der Schweizer Finanzplatz hat jahrelang von dieser Politik profitiert und konnte sich insbesondere dank dieser subtilen Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug auf dem Gebiet der Vermögensverwaltung spezialisieren. Im Kontext der zunehmend schwerwiegenden Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 – der schlimmsten Krise seit 1930 – waren die Schweizer Behörden gezwungen, ihre Position zu überdenken. Am 13. März 2009 erklärte sich der Bundesrat dazu bereit, die internationalen Doppelbesteuerungsabkommen der Schweiz neu zu verhandeln, sodass durch neue Bestimmungen auch die Steuerhinterziehung gerichtlich belangt werden kann.
Seither wurden – jeweils unter dem internationalen Druck – zur Umsetzung dieses Beschlusses und zur Ausdehnung von dessen Reichweite mehrere weitere Massnahmen getroffen. 2013 akzeptierten die Schweizer Behörden die Einführung des automatischen Informationsaustauschs. Damit ist eine der langjährigen Forderungen der Organisation Public Eye erfüllt worden.
Dieser Beschluss wird den Entwicklungsländern möglicherweise nicht wirklich zugutekommen, da der OECD-Standard den Informationsaustausch an mehrere Bedingungen knüpft. Das Hauptproblem des aktuellen Vorschlags der OECD ist die vorgesehene Gegenseitigkeitsklausel. Sie bedeutet konkret, dass ein Land nur automatisch Informationen erhält, wenn es selbst in der Lage ist, ähnliche Angaben zu übermitteln. Das Sammeln und Überweisen solcher Bankdaten verlangt aber eine technische und administrative Infrastruktur, über die heute erst wenige Länder des Südens verfügen. Hinzu kommt, dass eine solche Bestimmung nicht sehr sinnvoll ist: Selten legen Steuerpflichtige aus entwickelten Ländern ihr hinterzogenes Vermögen in benachteiligten Ländern an.
Steuerparadiese
Die Schweizer Kantone bieten multinationalen Unternehmen eine Reihe von massgeschneiderten günstigen Steuerregeln für die Optimierung ihrer internationalen Finanzflüsse an (Holding-, gemischte und Sitzgesellschaften).
Der Beteiligungsabzug ermöglicht für Holdings die Steuerbefreiung von Einkommensanteilen an ausländischen Tochtergesellschaften. Durch den Beteiligungsabzug wird auch die direkte Bundessteuer reduziert, wodurch die Steuerbelastung von Holdings stark verringert wird. Solche Bedingungen sind sehr attraktiv.
Zwischen 2003 und 2009 verlegten über 250 multinationale Konzerne ihre Hauptquartiere in die Schweiz (siehe Arthur D. Little, Headquarters on the Move, 2009). Aufgrund der sehr niedrigen effektiven Steuersätze von 1.5 bis 10% – vergleiche dazu die Steuersätze von 35% in den USA (laut Statistiken der KPMG von 2012) – liegt es im Interesse ausländischer Unternehmen, einen möglichst grössten Anteil ihrer Gewinne in Schweizer Gesellschaften anfallen zu lassen. So trägt die Schweiz zur Verschärfung der Situation in den Ländern des Südens bei, wo die Regierungen aufgrund der aggressiven Steuervermeidung von multinationalen Konzernen Steuereinnahmen verlieren. Internationale Organisationen wie die Christian Aid schätzen diese Verluste in Entwicklungsländern auf bis zu 160 Milliarden Dollar jährlich. Zum Vergleich: die weltweit geleistete Entwicklungshilfe betrug 2011 gesamthaft 125 Milliarden Dollar.
Forderungen
Public Eye fordert von den Bundesbehörden:
- Die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug,
- Den automatischen Informationsaustausch mit den Steuerbehörden aller demokratischen Rechtsstaaten,
- Die Beseitigung der Schweizer Sonderregeln im Steuerbereich, die es multinationalen Unternehmen erlauben, im Ausland erzielte Gewinne einzig aus Gründen der Steueroptimierung in die Schweiz zu verlagern,
- Die aktive Unterstützung der Schweiz bei internationalen Initiativen zur Bekämpfung der Steuervermeidung von Privatpersonen und Unternehmen.