Eine Bedrohung für Gemeinwohl und Demokratie

Corporate Capture ist eine Gefahr für Menschenrechte, Umwelt und die Demokratie. Gerade in der Schweiz als Heimat zahlreicher multinationaler Unternehmen herrscht grosse Intransparenz und ein Mangel an Regulierung – und deshalb besondere Dringlichkeit, der Entwicklung mit stärkerer Regulierung und grösserer Transparenz entgegenzuwirken.

Die wachsende politische Einflussnahme von Unternehmen stellt auf mehreren Ebenen eine Bedrohung für Gemeinwohl und Demokratie dar: Kurzfristig setzen sich die Interessen eines Unternehmens oder einer Branche über die allgemeinen Interessen durch. Mittelfristig zementiert und verschärft Corporate Capture asymmetrische Machtverhältnisse zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Sie wirkt als sich selbst verstärkende Ungleichheitsspirale, indem sie Mächtigen mehr Einfluss, Ressourcen und Gelegenheiten sichert, welche diese wiederum für neue oder vertiefte Versuche der Einflussnahme nutzen können.

Langfristig kann Corporate Capture die Legitimation von demokratischen Strukturen und Systemen sowie das Vertrauen in politische Entscheidungsträger*innen und öffentliche Institutionen untergraben. Je weiter Corporate Capture fortgeschritten ist und sich in Institutionen, Verträgen, Gesetzen und Gewohnheiten manifestiert, desto schwieriger wird ihre Bekämpfung mittels demokratisch legitimierter Regulierung.

Es braucht dringend Gegenmassnahmen

Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) stellte im Oktober 2022 an der UNO-Generalversammlung in New York seinen Bericht über die Einflussnahme von Unternehmen auf Politik und Regulierung vor (auch Public Eye hat an der Vernehmlassung dazu teilgenommen). Der Bericht kommt zum Schluss, dass politisches Engagement von Unternehmen «einen erheblichen Risikobereich für Bestechung und Korruption» darstellt.

Staaten, die gemäss der «UNO Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte» für den Schutz der Menschenrechte zuständig sind, müssen demnach auch politische Aktivitäten der Wirtschaft regulieren. Denn Zusammenhänge zwischen der politischen Einflussnahme von Konzernen und Menschenrechtsverletzungen sind vielfach dokumentiert: Negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt bei der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, mangelnder Zugang zu Rechtsmitteln für Opfer von Menschenrechtsverletzungen, schwacher Schutz der Umwelt und der Rechte von Arbeitnehmenden sowie die allgemeine Schwächung demokratischer Institutionen und Prozesse.

Im UNO-Bericht schlagen die Autor*innen eine Reihe von Gegenmassnahmen vor, darunter:

  • Verbindliche menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungen, die alle Formen politischer Aktivitäten von Konzernen miteinschliessen;
  • Massnahmen, die sicherstellen, dass politische Entscheidungen auf der Basis von soliden und unabhängigen Studien getroffen werden und dass allfällig verwendete Industrie-Daten transparent ausgewiesen werden;
  • Transparente und obligatorische Lobbyregister (Aktivitäten, Kontakte, Finanzierungen) für juristische und natürliche Personen, für bezahlte und unbezahlte Mandate; Verwenden einer umfassenden und soliden Definition von «Lobbying», um Schlupflöcher zu vermeiden;
  • Gesetzlich vorgeschriebene Offenlegung der politischen Aktivitäten und politischen Finanzierungen durch Unternehmen (Lobbyarbeit, Beiträge an Parteien, Politiker*innen, Organisationen, Ausgaben für politische Werbung, Offenlegung von Positionen und politische Zielsetzungen);
  • Gesetzliche Grundlagen zur Vermeidung von Interessenskonflikten, inklusive unabhängiger Überwachung sowie Systeme zur Offenlegung von Einkommen und Vermögen von Regierungsbeamten und Parlamentarier*innen zwecks Transparenz in politischen Entscheidungsprozessen;
  • Unabhängige gerichtliche und aussergerichtliche Beschwerdemechanismen, die frei von unzulässiger politischer Einflussnahme sind;
  • Gesetzliche Grundlagen zum effektiven Schutz vor SLAPPs; Sicherstellen, dass Gesetze nicht von Konzernen missbraucht werden, um sich vor gerechtfertigten Klagen von Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen abzuschirmen;
  • Gesetzliche Grundlagen zur Begrenzung von «Revolving-Door»- und «Reverse-Revolving-Door», u.a. verbindliche und ausreichend lange Übergangsfristen zwischen zwei Funktionen;
  • Spezifische und strengere Regeln für staatliche Interaktionen mit Hochrisikosektoren, deren Produkte inhärente Menschenrechtsrisiken bergen (u.a. Rohstoffsektor). Diese Regeln müssen auch für die Lobbygruppen dieser Sektoren gelten.

Die Schweiz nimmt ihre Verantwortung, Corporate Capture zu verhindern, heute nicht wahr – schlimmer noch: Sie setzt alles daran, dass Intransparenz und Regulierungsinseln bestehen bleiben. Demokratiepolitisch, aus menschenrechtlicher Sicht wie auch mit Blick auf die Klimakrise ist es dringend nötig, dass die Schweiz regulatorisch aktiv wird, Transparenz herstellt, die Einflussnahme von Konzernen wirksam begrenzt sowie die ökonomische Macht einiger weniger Akteur*innen transparent offenlegt und deren Wirkung auf die Gesellschaft öffentlich thematisiert. 

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