Corporate Capture – wenn Konzerne Politik machen

Multinationale Konzerne nutzen ihre ökonomische Macht, um Einfluss auf die Politik zu nehmen – zur Förderung ihrer Partikularinteressen, was oft auf Kosten von Menschenrechten und Umwelt geht. Um die Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten zu gestalten, nutzen die Unternehmen ein ganzes Instrumentarium an Strategien: von der direkten politischen Einflussnahme mittels Lobbying über das Installieren von Personen in öffentlichen Ämtern bis zur Beeinflussung von Forschung, Justiz und Medien.

Corporate Capture lässt sich mit «Aneignung oder Ergreifung durch Unternehmen» übersetzen. Der Begriff steht für den erfolgreichen Versuch von wirtschaftlich mächtigen Personen, Gruppen und Organisationen, politische Prozesse und Strukturen massgeblich zum eigenen Vorteil und zulasten von Menschenrechten, Umwelt und / oder Gemeinwohl zu beeinflussen. 

Es handelt sich um ein systemisches Phänomen, das verschiedene Formen der Einflussnahme umfasst; legale wie illegale, offene und verdeckte sowie direkte und indirekte. Und zwar auf allen politischen Ebenen von lokal bis international und auf alle politischen Gewalten: auf Legislative, Exekutive inkl. Verwaltung, Judikative und auf die Medien als vierte Gewalt. 

Oft geschieht dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Intransparenz hat dabei eine verstärkende Wirkung: Je weniger die politische Einflussnahme als solche wahrgenommen und problematisiert wird, desto ungehemmter kann sie sich ausbreiten.

Die Strategien der politischen Einflussnahme

Corporate Capture kommt in einer Vielzahl verschiedener Formen vor, die sich oft überlappen resp. ineinandergreifen. Im Folgenden präsentieren wir eine Aufstellung von 10 wichtigen Strategien, die sich am UNO-Bericht vom Oktober 2022 zum Thema orientiert.
 

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  • Direktes Lobbying durch Unternehmen

    Mittels direkten Kontakten zu politischen Entscheidungsträger*innen in Verwaltung, Legislative und Exekutive versuchen Konzerne, die Gesetzgebung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Das Risiko einer Einflussnahme, die zulasten von Gemeinwohl, Menschenrechten und Umwelt geht, ist besonders hoch, wenn es wie in der Schweiz an Regulierung und Transparenz mangelt, wenn Parlamentarier*innen über Mandate selbst Interessenvertreter*innen eines Unternehmens oder einer Branche sind oder wenn sich Vertreter*innen der Zivilgesellschaft nicht gleichberechtigt in Entscheidungsprozesse einbringen können. 

  • Indirektes Lobbying durch Business-Verbände

    Unternehmen organisieren sich, um die Interessen der Branche oder des Sektors zu vertreten. Dies ermöglicht ihnen eine Einflussnahme mit gebündelten Kräften. Auch in diesem Bereich ist das Risiko von schädlichem Lobbying in der Schweiz hoch, da für Business-Verbände Transparenzvorschriften zur Offenlegung der Mitgliedschaften und Finanzierungsstrukturen fehlen.

  • Indirektes Lobbying über Partnerschaften von Staat und Wirtschaft

    Über Multistakeholder-Initiativen (MSI), strategische Partnerschaften oder Public Private Partnerships (PPP) erhalten Unternehmen direkten Zugang zu staatlichen Akteur*innen und können so in informellem Rahmen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf diese Einfluss nehmen – unter Umgehung demokratischer Strukturen. Dies ermöglicht Konzernen, sich als Problemlöser zu präsentieren, während sie in Wirklichkeit den Ansatz der Freiwilligkeit fördern und Regulierung entgegenwirken. 

  • Revolving Door

    Einflussreiche Personen wechseln direkt von staatlichen Stellen in die Privatwirtschaft. Dieser direkte Job-Wechsel birgt zweierlei Gefahren: Einerseits entstehen Interessenskonflikte dadurch, dass Staatsangestelltedurch die implizite oder explizite Aussicht auf eine künftige lukrative Position oder ein Mandat bei einem Unternehmen in ihren Entscheidungen beeinflusst werden. Andererseits bringen ehemalige Entscheidungstragende aus Regierung und Behörden Insiderwissen sowie privilegierten Zugang mit, was Konzernen eine direkte und effektive Einflussnahme ermöglicht. Oft werden solche direkten Wechsel von den betroffenen Personen, Bundesstellen oder Unternehmen als unproblematisch dargestellt und der sich daraus ergebende Interessenskonflikt heruntergespielt. 

    • Public-Eye-Standpunkt zum Wechsel von SECO-Chefin Gabrielle Ineichen-Fleisch in den Verwaltungsrat von Nestlé.
  • Reverse Revolving Door

    Die Drehtür funktioniert in beide Richtungen: So befördert sie ebenso Kaderleute aus der Privatwirtschaft in hohe Staatsstellen. Diese Wechsel bergen die Gefahr, dass Konzerne Mitarbeitende gezielt an Stellen platzieren, an welchen sie in ihrem Sinne direkten Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen können.

    • Public-Eye-Standpunkt zur Ernennung des früheren Nestlé-CEO Peter Brabeck-Letmathe zum Präsidenten der Wissenschaftsstiftung GESDA.
  • Unternehmensbeiträge an Politiker*innen, Parteien oder Kampagnen

    Mit gezielten Finanzierungen oder dem Zurverfügungstellen von Arbeitsressourcen treiben Konzerne ihre eigenen Anliegen und Interessen voran. In der Schweiz besteht eine laxe Regulierung von Politikfinanzierung sowie ein Mangel an effektiven Transparenzvorschriften. Von einzelnen Parlamentarier*innen werden regelmässig Vorstösse eingebracht, um dies zu ändern – fast ebenso regelmässig werden diese abgelehnt. Eine Ausnahme bildete die Einführung des Transparenzgesetzes vor den Parlamentswahlen 2023, das eine beschränkte Einsicht in die Politikfinanzierung ermöglicht, aber noch erhebliches Verbesserungspotenzial aufweist. 

  • Beeinflussung von Hochschulen und Wissenschaft

    Mit der Bezahlung von Studien und Lehrstühlen oder allgemeinen Finanzierungen von Hochschulen versuchen Konzerne, den öffentlichen und politischen Diskurs zu ihren Gunsten zu beeinflussen und Richtungswechsel in der Politik zu erzielen. Über die direkte Beeinflussung hinaus streuen Konzerne auch gezielt Zweifel an Resultaten wissenschaftlicher Forschung, beispielsweise wenn darin ein Zusammenhang zwischen Produkten oder Dienstleistungen und negativen Auswirkungen auf Umwelt, Gesundheit und Menschenrechte hergestellt wird. Besonders häufig und intensiv geschieht dies etwa in der Klimadebatte oder bezüglich Hochgefährlichen Pestiziden. Die wissenschaftlichen Resultate werden dann so zurechtgebogen, dass sie den kommerziellen Unternehmenszielen entsprechen. Weiter geben Firmen selber Studien in Auftrag, welche die gewünschten Resultate liefern sollen oder sie unterhalten eigene Institute mit wissenschaftlichem Anstrich.

  • Beeinflussung der öffentlichen Berichterstattung

    Über klassische Medien sowie Social-Media- und Öffentlichkeitskampagnen fördern Unternehmen und Unternehmensverbände bestimmte, dem eigenen Geschäft förderliche Narrative. Inbesondere in der Klimadebatte wurde und wird diese Taktik angewendet, um klimaschädliche Geschäftsmodelle zu verteidigen. 

  • Beeinflussung des Rechtssystems

    Wenn ein Rechtssystem zu wenig unabhängig ist, kann dies direkte Lobbyversuche  ermöglichen. International und auch in der Schweiz wird die Justiz zudem von finanzkräftigen Akteur*innen  und Konzernen benutzt, um  unliebsame Kritiker*innen mit Einschüchterungsklagen (SLAPPS - Strategic lawsuits against public participation) juristisch unter Druck zu setzen. Auch Public Eye ist davon betroffen - und hat sich daher mit andern NGO und Medien in der «Schweizer Allianz gegen SLAPP» zusammengeschlossen, um diesem demokratiefeindlichen Trend entgegen zu wirken.

  • Astroturfing

    Konzerne gründen und finanzieren vermeintlich gemeinnützige NGOs oder Interessengruppen, um in deren Namen Öffentlichkeitskampagnen zu führen. Mit diesen Adressaten wirken Kampagnen glaubwürdiger und Unternehmen kaschieren das Fördern ihrer Partikularinteressen mit einem vermeintlichen Einsatz für Menschenrechte, Umwelt und Gemeinwohl.