Multilaterale Handelspolitik
In acht Verhandlungsrunden wurde der internationale Handel seit dem Zweiten Weltkrieg massiv liberalisiert. Die letzten erfolgreichen Verhandlungen fanden im Rahmen der Uruguay-Runde von 1986-94 statt. Im Nachgang zu diesen Verhandlungen wurde 1995 die WTO gegründet (zuvor bildete das GATT den institutionellen Rahmen).
Damit einher ging eine wesentliche Ausweitung des Geltungsbereichs der Welthandelsregeln, der bis dahin auf den Güterhandel beschränkt war. Neu wurden jetzt auch der Handel mit Dienstleistungen (GATS), geistigem Eigentum (TRIPS) und landwirtschaftlichen Produkten (AoA) reguliert. Dabei spielte das intensive Lobbying von global operierenden Unternehmen eine Schlüsselrolle, wie Public Eye in ihrer Dokumentation «Machthungrige Strippenzieher» eindrücklich dargelegt hat.
Die Welthandelsorganisation (WTO)
Die WTO bildet den institutionellen Rahmen und das rechtliche Fundament des multilateralen Handelssystems. Sie verfügt über ein Gremium zur Streitschlichtung in Handelsfragen. Dessen Urteile sind bindend und können schmerzhafte Sanktionen enthalten.
Mit ihrem erklärten Ziel der Liberalisierung des internationalen Handels ist die WTO die treibende Kraft der wirtschaftlichen Globalisierung. Um dieses Ziel zu erreichen sollen die weltweiten Handelsbarrieren abgebaut werden. Dazu zählen Zölle, Importrestriktionen, Exportsubventionen und weitere als Handelshemmnisse geltende Grenzschutzmassnahmen.
Leitidee ist dabei die Gleichbehandlung aller Mitglieder. Dafür kennt die WTO zwei Prinzipien: die Inländerbehandlung und das Meistbegünstigungsprinzip. Ersteres besagt, dass ausländische Wirtschaftsakteure auf einem Binnenmarkt derselben Gesetzgebung unterliegen sollen wie inländische Akteure. Das zweite Prinzip soll garantieren, dass Handelsvorteile (z.B. Zollreduktionen) nicht nur einzelnen, sondern allen WTO-Mitgliedern gewährt werden. Dazu gibt es jedoch verschiedene Ausnahmeregelungen, sodass auch bilaterale Freihandelsabkommen oder Präferenzabkommen mit Ländern des globalen Südens mehr oder weniger WTO-konform sind.
Die WTO legt für ihre Mitglieder verbindliche Handelsregeln fest, die rund 30'000 Seiten umfassen und in 30 Abkommen festgeschrieben sind. Die wichtigsten vier Abkommen sind das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS), das Allgemeine Dienstleistungsabkommen (GATS) und das Landwirtschaftsabkommen (AoA).
Die WTO: Dringend nötige Reformen
Public Eye ist Mitglied des europäischen wie auch des internationalen NGO-Netzwerks zu Handelspolitik und engagiert sich in der Schweiz für ein multilaterales Handelssystem, das allen Ländern den notwendigen politischen Handlungsspielraum für eine selbstbestimmte Entwicklung zugesteht. Dies würde den Ländern ermöglichen, eine eigenständige Industriepolitik zu betreiben, menschenwürdige Arbeit zu schaffen, den Service Public zu sichern und die nationale Ernährungssicherheit zu verbessern. Stattdessen wird der Spielraum für die einzelnen Länder durch die Regeln der WTO zunehmend eingeschränkt – Politikinstrumente, welche die Industrieländer früher selber erfolgreich angewandt haben, werden ihnen also verwehrt. Daher muss sich die WTO grundlegend ändern: Sie muss viel transparenter werden und sich stärker an demokratischen Prinzipien ausrichten - nicht nur auf dem Papier. Auch die übermässige Verhandlungsmacht der Industrieländer und die ungebührliche Einflussnahme multinationaler Konzerne muss unterbunden werden. Noch wichtiger ist aber, dass sich die WTO endlich von ihrer Freihandelsideologie verabschiedet und stattdessen an Werten wie Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Solidarität und der Einhaltung der Menschenrechte orientiert.
Dass die WTO in ihrer heutigen Verfassung zu solch fundamentalen Reformen in der Lage ist, muss bezweifelt werden. Denn sie steckt seit längerem in der Krise. Neben der seit Jahren andauernden Blockade ihres Berufungsgerichts bekundet sie zunehmend Schwierigkeiten, neue multilaterale Abkommen abzuschliessen. Dies führt dazu, dass immer mehr bilaterale Abkommen abgeschlossen werden. Dies ist nicht im Sinn der WTO, da bilaterale FHA das zentrale Meistbegünstigungsprinzip der WTO unterlaufen: Die Vertragspartner gewähren sich gegenseitig bevorzugte Handelsbedingungen, während alle anderen Länder diskriminiert werden.
Trotz all ihrer Kritik an der heutigen Funktionsweise und ideologischen Orientierung der WTO steht Public Eye ganz klar hinter einem multilateralen Handelssystem mit verbindlichen Regeln. Denn gerade für schwächere Länder ist ein solches Regelwerk Voraussetzung dafür, dass nicht einfach das Recht des Stärkeren gilt.
Die Doha-Runde: Von «Entwicklungsrunde» keine Spur
Das Ansinnen der Industrieländer, den globalen Handel nach der Jahrtausendwende weiter zu liberalisieren, stiess anfänglich bei Ländern des globalen Südens auf vehementen Widerstand. Mit dem Versprechen, es solle sich diesmal um eine «Entwicklungsrunde» handeln, in der ihre Bedürfnisse und Anliegen im Mittelpunkt stehen, konnten die südlichen Länder schliesslich für eine weitere Verhandlungsrunde gewonnen werden: Die Doha-Runde war geboren.
Statt Wort zu halten, stellten die Industrieländer jedoch ein weiteres Mal ihre Eigeninteressen in den Vordergrund und forderten von den südlichen Ländern Zugeständnisse, die in einer Entwicklungsrunde nichts zu suchen haben. Unter der Führung u.a. Brasiliens, Chinas und Indiens wehrten sich die Länder des Südens jedoch erfolgreich gegen diese Druckversuche aus dem Norden. Damit waren die Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde blockiert. Denn die Industrieländer weigerten sich hartnäckig, ihre Versprechen gegenüber den ärmeren Ländern einzulösen. Heute gilt die sogenannte Entwicklungsrunde als gescheitert – und steht symbolisch für die fehlende Bereitschaft der WTO, faire Handelsregeln zugunsten des globalen Südens zu vereinbaren.
Public Eye hat gemeinsam mit Alliance Sud das strategische Brettspiel «Grosse Kleine Welt» kreiert, mit dem Jugendliche und Erwachsene spielend den Welthandel und die Funktionsweise der Welthandelsorganisation entdecken können.