Die Zeit ist definitiv reif für ein griffiges Schweizer Gesetz
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Nach einem turbulenten Frühling ist in der Europäischen Union (EU) im Juli 2024 ein umfassendes Konzernverantwortungsgesetz – die sogenannte Corporate-Due Diligence Directive (CSDDD) – in Kraft getreten.
Die finale Version der EU-Richtlinie wird von Vertreter*innen aller politischen Lager mitgetragen. Mit 374 zu 235 Stimmen war das Ja-Lager im EU-Parlament deutlich in der Mehrheit, und im Ministerrat stellte sich eine Mehrheit der Staaten, die gemeinsam mehr als 65 % der Bevölkerung der EU vertreten, hinter die Richtlinie. Erfreulich zudem, dass auch anfänglich kritische Staaten wie Schweden dem Kompromiss am Ende zustimmten.
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EU lässt Staaten zwei Jahre Zeit für die Umsetzung
Die neue Richtlinie umfasst sektorübergreifende Sorgfalts- und Klimapflichten für Grossunternehmen und sieht eine zivilrechtliche Haftung, auch für Schäden von Zulieferern, sowie eine Aufsichtsbehörde vor. Alle EU-Staaten müssen sie nun innerhalb von zwei Jahren umsetzen. Die harmonisierte Rechtslage lässt ihnen wenig Spielraum; die Grundpfeiler, die umgesetzt werden müssen, stehen fest. Die Mitgliedstaaten haben allerdings die Möglichkeit, bei einzelnen Punkten auch weiterzugehen, als es die Vorgaben der neuen Richtlinie vorsehen. Erste Staaten wie die Niederlande haben unterdessen bereits einen Entwurf für die Umsetzung des Gesetzes ausgearbeitet.
Durch die neue EU-weite Konzernverantwortungs-Richtlinie ist die Schweiz bald das einzige Land in Europa ohne Konzernverantwortung.
Obschon die Richtlinie der EU auch für Schweizer Unternehmen ab 450 Millionen Euro Umsatz in der EU gilt (sogenannte Drittstaatenregelung), greifen die Durchsetzungsmechanismen der Haftung und der Aufsicht in der Schweiz ohne eigenes Gesetz nicht. Damit alle Grossunternehmen gleich lange Spiesse haben, braucht es ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz auch in der Schweiz.
Das lange Ringen in der Schweiz
Die Schweiz hat am 29. November 2020 über die Konzernverantwortungsinitiative abgestimmt. Eine breite Koalition von NGOs, Vertreter*innen aller politischen Parteien sowie Exponent*innen aus der Wirtschaft und den Kirchen hatte die Initiative unterstützt. Mit 50,7 % hatte eine Mehrheit der Stimmbevölkerung die Initiative angenommen, doch sie scheiterte am Ständemehr.
Anfang 2022 trat deshalb der zahnlose Alibigegenvorschlag in Kraft. Dieser führt lediglich dazu, dass Konzerne seit 2024 neue, umfangreichere Hochglanzbroschüren produzieren müssen. Die Pflicht zur Berichterstattung allein führt aber leider nicht dazu, dass alle Unternehmen Menschenrechte und Umweltbestimmungen einhalten. Auch die EU-Kommission kam bereits 2020 aufgrund einer Evaluation zum Schluss, dass Berichtspflichten nicht zu den notwendigen Verhaltensänderungen bei Unternehmen geführt hatten. Das war für die EU der Auslöser, die Konzernverantwortungsrichtlinie zu erarbeiten.
Obwohl der Bundesrat im Abstimmungskampf um die Konzernverantwortungsinitiative immer wieder versprochen hat, sich für ein «international abgestimmtes» Gesetz und «gleich lange Spiesse» für Konzerne in der Schweiz und in der EU einzusetzen, blieb er bislang untätig. Kürzlich hat er angekündigt, im Frühling 2025 über das weitere Vorgehen zu entscheiden.
Damit die Konzernlobby im Parlament nicht erneut verhindert, dass die Schweiz beim Thema Konzernverantwortung nachzieht, wurde im Januar 2025 die neue Konzernverantwortungsinitiative lanciert. 10’000 Engagierte aus allen Landesteilen haben in Rekordzeit 183’661 Unterschriften – also viel mehr als die nötigen 100’000 - gesammelt. Der Sammelrekord unterstreicht die grosse Unterstützung für die Initiative in der Bevölkerung.
Wie wichtig das Thema Konzernverantwortung in der Schweiz nach wie vor ist, sieht man an den Recherchen von Public Eye, sowie an den vielen Medienberichten zu immer neuen Fällen von Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung. Sie alle zeigen, dass es griffige Regeln braucht, damit auch Konzerne mit Sitz in der Schweiz für ihre Machenschaften geradestehen müssen.
Hinter der neuen Initiative steht auch dieses Mal eine breite Koalition aus über 90 Menschenrechts- und Umweltorganisationen, Politiker*innen verschiedener Parteien und Wirtschaftsvertreter*innen. Public Eye ist selbstverständlich Teil dieser Koalition und setzt sich mit aller Kraft für ein griffiges Schweizer Gesetz ein.
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Das fordert die Initiative
Die neue Konzernverantwortungsinitiative fordert ein international abgestimmtes, griffiges Konzernverantwortungsgesetz. Dieses soll im Einklang mit den Nachbarländern der Schweiz folgende Punkte umfassen:
Weitere Informationen
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Risikobasierte Sorgfaltspflichten für Menschenrechte und Umweltschutz gemäss internationalen Standards
Konzerne sollen dazu verpflichtet werden, keine Menschenrechte zu verletzen und die Umwelt nicht zu zerstören. Dazu sollen die Konzerne die grössten Risiken identifizieren und Massnahmen ergreifen, um Probleme proaktiv zu beheben.
Bei den internationalen Standards sind insbesondere die UNO Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen relevant.
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Eine Klimapflicht zur Reduktion der klimaschädlichen Emissionen der eigenen Geschäfte
Um die international vereinbarten Klimaziele einhalten zu können, sollen sich Konzerne schrittweise von Geschäften mit sehr hohem CO2-Ausstoss wie der Förderung von Kohle und Erdöl verabschieden.
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Eine unabhängige Aufsichtsstelle mit umfassenden Kompetenzen nach Vorbild der EU-Richtlinie
Eine Aufsichtsstelle überprüft auf der Basis der Geschäftsberichte oder aufgrund von Beschwerden, ob sich die Konzerne an die Regeln halten. Bei Verstössen kann die Aufsicht Bussen verhängen und den Konzern anweisen, Massnahmen zu ergreifen.
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Eine zivilrechtliche Haftung für Schäden, die Tochterfirmen von Schweizer Konzernen verursachen
Wenn ein Konzern einen Schaden anrichtet, soll er vor einem Schweizer Gericht dafür geradestehen. Betroffene können so für erlittene Schäden entschädigt werden.