Gewerkschaftsfreiheit und Kollektivverhandlungen zentral für die Arbeitsrechte
Alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunftsland, Rechtsstatus, Beschäftigungsstatus und -ort – haben ein Recht auf gute und sichere Arbeitsbedingungen. Dazu gehört, dass sie ihr Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen wahrnehmen und einen existenzsichernden Lohn verdienen können, der ihnen ein Leben in Würde ermöglicht. Mit der kollektiven Organisierung der Arbeitenden in Gewerkschaften können sie gemeinsam gegenüber ihrem Arbeitgeber auftreten und ihre Rechte einfordern oder Verbesserungen von konkreten Arbeitsbedingungen verlangen. In zahlreichen Ländern ist es den Arbeits- und Gewerkschaftskämpfen zu verdanken, dass es gesetzliche Regulierungen für menschenwürdige Arbeitsbedingungen gibt. Vom jeweiligen Kräfteverhältnis der Bewegung der Arbeitenden gegenüber den Arbeitgebenden hängt es auch ab, wie stark die Angriffe auf Lohnniveaus, Arbeitszeitregelungen oder Arbeitsplatzsicherheit zum Nachteil der Arbeiterinnen und Arbeiter ausfallen. Gestützt wird dieses Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen durch die ILO-Kernarbeitsnormen sowie die OECD-Guidelines für multinationale Unternehmen.
Unterdrückung von Gewerkschaften
Dennoch werden häufig gerade jene Arbeiterinnen und Arbeiter am stärksten unter Druck gesetzt, die sich kollektiv und selbstbestimmt für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen einsetzen. Entlassungen von Gewerkschaftsmitgliedern bis hin zur Schliessung von gewerkschaftlich gut organisierten Fabriken sind ein gängiges Mittel, um gewerkschaftliche Aktivitäten zu unterdrücken oder gar zu verunmöglichen (Union Busting).
Gewerkschaftlich organisierte Arbeiterinnen gehören zu den ersten, die in der Corona-Krise entlassen werden.
Von den global agierenden Modeunternehmen werden Gewerkschaften heute oft als irrelevant oder gar als Störfaktor betrachtet. Statt mit Gewerkschaften zu kommunizieren, setzen viele dieser Unternehmen lieber auf kommerzielle Sozialaudits, um die Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu ermitteln. Leider zeigen zahlreiche Fabrikunglücke wie der Einsturz der Fabrik Rana Plaza oder der Brand der «Ali Enterprise-Fabrik», dass Sozialaudits keine Gewähr für die Einhaltung der Gesundheits- und Sicherheitsmassnahmen am Arbeitsplatz sind. Offen gewerkschaftsfeindliche Länder zählen nach wie vor zu den beliebtesten Produktionsstandorten von Modeunternehmen.
Stattdessen sollten sich Unternehmen aktiv für die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen zur Vereinigungsfreiheit und für das Recht auf Kollektivverhandlungen einsetzen. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre es, Gewerkschaften und Vertretungen der Arbeitnehmenden als Partner wahrzunehmen und aktiv den industriellen Dialog im eigenen Unternehmen und in der Lieferkette zu fördern. Die Achtung der Gewerkschaftsrechte und das Vorhandensein von starken Gewerkschaften sollten wesentliche Voraussetzungen bei der Auswahl von Geschäftspartnern und Produktions- und Handelsstandorten darstellen.
Die Corona-Krise als Vorwand für stärkere Unterdrückung von Gewerkschaften
Gerade während der Corona-Pandemie sind Gewerkschaften besonders wichtig, um Massnahmen zum Schutz der Gesundheit durchzusetzen und die fatalsten Auswirkungen des Konkurrenzkampfs um die verbliebene Arbeit zu verhindern. Doch von einigen Arbeitgebern und Regierungen wird die Pandemie im Gegenteil dazu missbraucht, um Arbeitsrechte einzuschränken.
Heftige Auseinandersetzungen um die Arbeitsrechte und -bedingungen zeichnen sich ab. Versuche, Arbeitsgesetze auszuhöhlen und die massiven Repressionen von Gewerkschaften in den unterschiedlichen Produktionsländern sind ein Ausdruck dessen: In Myanmar berichten Gewerkschaften, dass ihre Mitglieder die Ersten seien, denen gekündigt werde, wenn Fabriken jetzt Personal abbauen. Und zwischen Indiens Bundesstaaten hat ein regelrechter Wettbewerb um die Einschränkungen von Arbeitsrechten eingesetzt. So hat etwa die Regierung Madhya Pradeshs (in Zentralindien) die Fabrikschichten von acht auf zwölf Stunden am Tag hochgesetzt und zugleich angekündigt, dass es in Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten keine Inspektionen mehr geben wird. In Uttar Pradesh (im Norden Indiens) wurden praktisch alle Arbeitsschutzgesetze ausgesetzt, und in Rajasthan (im Nordwesten Indiens) wurden die Arbeitsstunden erhöht, der Kündigungsschutz gelockert und Gewerkschaften müssen für eine Registrierung nun doppelt so viele Mitglieder vorweisen.
Erfolgreiche Gewerkschaftskämpfe
Auch das Management der Textilfabrik Rui Ning in Myanmar scheint die Corona-Krise genutzt zu haben, um Gewerkschaftsmitglieder zu entlassen. Unter dem Vorwand von Covid-19-Schutzmassnahmen wurden Anfang April 2020 vorwiegend Gewerkschaftsmitglieder entlassen, weshalb der Verdacht gezielter Gewerkschaftsunterdrückung naheliegt. Doch die Gewerkschaft wehrte sich und erzielte nach einem zähen Arbeitskampf und dank einer internationalen Solidaritätsaktion einen wichtigen Erfolg.
Dieser Erfolg sowie weitere Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, welche von Gewerkschaften während der Corona-Pandemie erkämpft werden mussten (wie höhere Kurzarbeitsentgelte, die Zahlung von ausstehenden Löhnen oder bessere Schutzmassnahmen gegen eine Ansteckung am Arbeitsplatz) zeigen deutlich, wie notwendig und wertvoll die Arbeit von Gewerkschaften ist.
Public Eye setzt sich gemeinsam mit ihren Partnerinnen im Clean Clothes Campaign-Netzwerk dafür ein, dass Textilarbeiterinnen auch bei Corona-bedingten Arbeitsrechtsverletzungen zu ihren Rechten kommen und die Gewerkschaftsfreiheit sowie das Recht auf Kollektivverhandlungen von Fabrikbesitzern sowie von Modeunternehmen respektiert werden. Wir unterstützen mit Eilaktionen und Kampagnenarbeit aktiv die Gewerkschaftskämpfe in den Textilfabriken, wie jene der Gewerkschaft in Rui Ning.