«Fast Fashion produziert riesige Abfallberge bei uns»

Sozialunternehmer Yayra Agbofah geht in Ghana mit kreativen Ideen gegen den Textilmüll unserer Konsumgesellschaft vor. Er fordert Europa, die USA und Asien auf, weniger Kleider zu konsumieren und mehr selbst zu rezyklieren. Die aktuell praktizierte Entsorgung in Ghana bezeichnet Agbofah als «Abfallkolonialismus».
© The Revival

In der Nacht auf den 2. Januar dieses Jahres kam es im Kantamanto- Markt in Ghanas Haupstadt Accra zu einem Grossbrand. 

Welche Folgen hatte diese Tragödie?

Der Brand zerstörte 65 % der Fläche des Marktes, die etwa sechs bis acht Fussballfeldern entspricht. Rund 3000 Stände sind abgebrannt, hunderte Tonnen Kleider sind jetzt nichts als Asche. Aber vor allem: Die Lebensgrundlage tausender Menschen wurde zerstört. Sie müssen sich vorstellen: Kantamanto ist der grösste Markt für Secondhandkleider in ganz Westafrika: Im Jahr werden hier rund 50 Millionen Kleidungsstücke repariert, aufbereitet und weiterverkauft. Doch das ist nur ein Bruchteil der mehrere Hundert Millionen Kleidungsstücke, die Jahr für Jahr in Ghana eintreffen.  

Was ist seit dem Brand geschehen? 

Wir sind daran, alles neu aufzubauen, denn der Markt ist für 15 000 Händler* innen die Lebensgrundlage und eine wichtige Einkommensquelle. Kantamanto gibt zudem vielen Leuten Arbeit, nicht nur Händler*innen; ein Auskommen finden auch Reinigungspersonal, Transportarbeitende, Beschäftigte in Strassenküchen etc. Darunter hat es auch besonders verletzliche Menschen, etwa alleinerziehende Mütter oder Ältere. Ihnen gilt unsere Hilfe zuerst. Wir sind froh um jede Unterstützung, aus eigener Kraft können wir den Markt niemals wieder aufbauen.  

Wie sind Sie mit Kantamanto verbunden? 

Ich habe 2018 die gemeinnützige Organisation The Revival gegründet, um in einem Team auf kreative Art und Weise gegen Textilmüll vorzugehen, Altkleidung aufzuwerten und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Unser Ansatz ist mehrdimensional: ökologisch, sozial, und wirtschaftlich. Wir vermeiden, dass Textilabfälle auf Mülldeponien oder an Stränden landen, indem wir auf ein Upcycling und Redesign setzen mit dem Ziel, dass die Leute in Ghana die Kleider wieder tragen können.  

Worin liegt denn das Problem?

Dass Ghana tonnenweise Textilmüll aus dem Norden erhält, verhilft zwar Millionen Menschen hier zu günstigen Kleidern. Aber erstens kaufen sie so kaum noch lokal produzierte Kleider; viele Textilfabriken mussten deshalb schliessen. Und was kein zweites Leben erhält – ich spreche von 20 bis 30 % der Gesamtmenge –, verstopft unsere Wasserwege, verschmutzt unsere Strände und generiert riesige Deponien. Und weil die Deponien illegal in Brand gesetzt werden, verschmutzt der Textilmüll auch noch unsere Luft.  

Die Konsumgesellschaft im Norden schafft also grosse Probleme im Süden.  

Klar. Wenn der Norden minderwertige Kleider aus synthetischen Materialien wie Polyester produziert, landet das bei uns. Und der Norden hat erst noch das Gefühl, er habe das Recht, seinen Textilmüll zu uns zu senden. Und so haben Konsumtrends wie die Überproduktion, Fast Fashion oder eine nicht nachhaltige Produktion direkte Auswirkungen auf uns hier in Ghana.  

Was hat Fast Fashion damit zu tun?

Fast-Fashion lässt sich nur sehr sehr schlecht in eine Kreislaufwirtschaft bringen, weil die Qualität so schlecht ist. Kleider mit Mischgeweben aus synthetischen und natürlichen Fasern lassen sich ebenfalls schlecht verwerten. Fast Fashion produziert riesige Abfallberge bei uns. Das ist Abfall-Kolonialismus.  

Was meinen Sie damit? 

Wenn reiche Länder die ökologischen Kosten ihres Konsums externalisieren, indem sie ihre Überproduktion und ihre Textilabfälle in Ländern wie Ghana entsorgen, in denen es an einer geeigneten Infrastruktur für das Recycling fehlt, ist das ein Ausdruck des ökonomischen Gefälles zwischen Nord und Süd. Ein Beispiel: In Ghana kennen wir keinen Winter. Wenn es mal kalt wird, haben wir immer noch 26 Grad. Also brauchen wir keine Winterkleider. Und trotzdem entsorgt der Norden seine Winterkleider bei uns. Das schafft hier grosse Probleme.

© The Revival
Kunstinstallation der gemeinnützigen Organisation The Revival auf einem Berg von Altkleidern in der Hauptstadt Accra.

Was würde Ghana helfen? 

Wenn der Norden mehr Kleider lokal sammeln und selbst rezyklieren würde, statt diese nach Afrika zu senden, wäre das eine grosse Hilfe. Die Zukunft liegt doch weltweit in der Kreislaufwirtschaft, wie auch wir sie hier verfolgen. Es geht darum, mit Altkleidern lokal Mehrwert zu schaffen und lokale Initiativen zu gründen, die dies ermöglichen.  

The Revival will auch die Wertschätzung gegenüber der Arbeit erhöhen, die in den Kleidern steckt. 

Ja, denn die Beschäftigten in der Textilindustrie sind nicht einfach ein Kostenfaktor, es sind Menschen. Und sie haben ihre Würde. Doch viele sehen gar nicht, wie viel Arbeit in Kleidern steckt. Es kann doch nicht sein, dass die Produktion eines Kleidungsstücks nur ein, zwei Dollar kostet, es aber für ein Vielfaches davon verkauft wird. 

Was erwarten Sie von den Unternehmen, die mit Mode Millionen oder gar Milliarden verdienen? 

Gerade jetzt, nach dem Brand von Kantamanto, sollten insbesondere die Fast-Fashion-Marken ihre Verantwortung wahrnehmen und uns unterstützen. Aber keine hat uns unter die Arme gegriffen, ja, es hat nicht mal eine von ihnen ihr Bedauern ausgedrückt. Das finde ich unglaublich, unfair und ungerecht. Beim Abfallkolonialismus geht es nicht nur um die Umwelt, es geht auch um Menschenrechte. 

Und über Kantamanto hinaus? 

Es geht auch um Erziehung zu einem nachhaltigen Konsum. Die grossen Marken sollten alle ihre Produktion reduzieren und das Marketing runterfahren, das die Menschen dazu motiviert, immer mehr Kleider zu kaufen. Vieles in der Modeindustrie läuft schief, und das müssen wir angehen. Das ganze Geschäftsmodell ist in Frage zu stellen. Und schliesslich braucht es eine politische Regulierung, welche die lokale Kreislaufwirtschaft befördert, das ist sehr sehr wichtig.  

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