Stopp Flugmode Zara heizt mit tausenden Tonnen von Flugmode die Klimakrise an
David Hachfeld, Romeo Regenass, 8. November 2023
Schauplatz Aeropuerto de Zaragoza, zweitgrösster Frachtflughafen Spaniens. Ein Cargo-Jumbo der Fluggesellschaft Atlas Air, Abflughafen Delhi, ist im Landeanflug. An Bord: rund 100 Tonnen Textilien für Zara und weitere Marken des spanischen Modegiganten Inditex. Sie werden in Spanien für den Weiterversand in die weltweit 5815 Läden aufbereitet. Wenige Tage später werden grosse Teile davon in eine der rund 15 Cargo‑Maschinen verladen, die Woche für Woche für den Hauptkunden Inditex in Zaragoza starten und Ziele in Nord- und Mittelamerika, im Nahen Osten, in Asien und auch in Europa anfliegen.
Oscar Garcia Maceiras ist der Chef von Inditex. Der spanische Konzern betreibt in der Schweiz mit seinen Marken Zara, Zara Home, Massimo Dutti, Bershka, Pull & Bear, Oysho und Stradivarius 38 Läden, 7 Onlineshops sowie 1 Handelsfirma und 1 Steueroptimierungsgesellschaft in Freiburg. An der Generalversammlung im spanischen A Coruña konnte Garcia Maceiras seinen Aktionär*innen im Juli dieses Jahres einen Reingewinn von 4,1 Milliarden Euro präsentieren. Bei Verkäufen von 32,6 Milliarden Euro resultiert eine Gewinnmarge von über 12,5%. Damit schlägt Inditex selbst Nestlé; der Schweizer Konzern wies für 2022 knapp 10% aus.
Doch der Zara-Konzern präsentierte nicht nur üppige Gewinne, sondern auch ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele und Klimaversprechen. Darunter: «Noch mehr umweltfreundliche Kleider» und «Netto null Emissionen bis 2040». Was der Chef des nach Nike zweitgrössten reinen Modekonzerns der Welt nicht sagte: dass Inditex tonnenweise Kleider in der Welt herumfliegt – Klimakrise hin oder her. Aber vermutlich gehört das zu den 10% der Treibhausgasemissionen, die gemäss den neuen Nachhaltigkeitszielen des Konzerns «schwierig zu beseitigen» sind; diese will Inditex «durch Initiativen zur Kohlenstoffabsorption neutralisieren oder kompensieren».
Grüner Anstrich für kurzlebige Mode
Inditex tut einiges, um sich als Klimaschutzvorreiter zu präsentieren. Unter dem Titel «Join Life» (verbinde dich mit dem Leben) präsentiert der Konzern eine reiche Palette an Nachhaltigkeitsinitiativen. Zum Beispiel hat Zara 2021 die Entwicklung einer Kollektion aus rezyklierten Kohlenstoffemissionen angekündigt und ist Mitglied einer Initiative für saubere Seefracht. Von Effizienzsteigerungen beim Transport schreibt Inditex gerne, über das klimaschädliche Herumfliegen seiner Klamotten schweigt sich der Konzern hingegen lieber aus.
Inditex gilt als Pionier der Fast-Fashion-Industrie und rühmt sich, seine weltweit 5815 Shops (Stand Ende Januar 2023) zweimal die Woche mit neuen Kleidern zu beliefern. Design, Produktion und Auslieferung eines neuen Teils schaffen Marken wie Zara oder Pull & Bear in drei bis vier Wochen; viele Konkurrenten planen dafür Monate ein. Kurze Produktions- und Lieferfristen machen es erst möglich, Modezyklen auf wenige Wochen zu verringern und Konsument*innen das Gefühl zu vermitteln, sie bräuchten ständig etwas Neues, um keinen Trend zu verpassen.
Denn darauf setzt die Verkaufsstrategie von Zara, die ein früherer Inditex-Manager vor Jahren so definiert hat: «Wir wollen, dass unsere Kundschaft versteht, dass sie etwas, was ihr gefällt, sofort kaufen muss, weil es nächste Woche vielleicht nicht mehr erhältlich ist. Das Angebot in den Läden muss immer knapp sein, sodass die Gelegenheit zum Kauf günstig erscheint.» So gelingt es Inditex offenbar, 85 % aller Artikel zum vollen Preis zu verkaufen – ein hoher Wert in der Welt der Billigmode. Das hoch profitable Geschäftsmodell beruht allerdings auch auf niedrigen Löhnen in der Produktion: Wie Public Eye 2019 berechnet hat, macht Zara zum Beispiel mit einem Hoodie-Pullover wohl mehr Gewinn, als alle an der Produktion beteiligten Arbeiter*innen zusammen daran verdienen.
EU-Kommission will, dass Fast Fashion aus der Mode kommt
Der Trend zur kurzlebigen Mode hat Folgen: Gemäss einer Studie der britischen Ellen MacArthur Foundation hat sich die Produktion von Textilien von 2000 bis 2015 weltweit verdoppelt, bis 2030 soll sie sich nochmals mehr als verzweifachen. Deshalb hat es die EU-Kommission nicht zuletzt auf Zara und Co. abgesehen, wenn sie ein Vernichtungsverbot für unverkaufte Textilien sowie Angaben zum ökologischen Fussabdruck der Kleidungsstücke fordert. Mit gutem Grund: 2022 hat der Zara-Mutterkonzern Inditex mit 621'244 Tonnen produzierten Textilien eine neue Höchstmarke gesetzt; trotz dem Wegfall des wichtigen Russlandgeschäfts nahm die in den Verkauf gebrachte Menge gegenüber dem bisherigen Rekordjahr 2021 um 10% zu. Die EU-Kommission will nun, dass Fast Fashion «aus der Mode kommt»: Wegwerfmode soll nicht mehr en vogue sein.
Die wissenschaftlichen Schätzungen über den Anteil der Modeindustrie an den globalen CO2-Emissionen gehen auseinander, Einigkeit besteht jedoch darüber, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Damit Mode schneller im Verkauf landet und kurzlebige Trends besser zu Geld gemacht werden können, setzen Fast-Fashion-Marken wie Zara sowohl in der Beschaffung der Ware als auch im Vertrieb stärker als andere auf das Flugzeug.
Transporte machen gemäss einer Studie der Schweizer Umweltberatungsfirma Quantis im Durchschnitt zwar nur rund 3% an den Treibhausgasemissionen der Modeindustrie aus; der weitaus grösste Teil entfällt auf die Produktion der Rohstoffe und deren Verarbeitung. Doch bei Flugmode steigt der Anteil des Transports drastisch.
Die Hamburger Umweltberatungsfirma Systain hat mit der deutschen Otto Group den CO2-Fussabdruck eines Langarmshirts berechnet. Das Ergebnis der Studie: Die transportbezogenen Treibhausgasemissionen eines mit Luftfracht transportierten Kleidungsstücks sind rund 14-mal höher als bei einem Teil, das überwiegend per Seefracht transportiert wurde. Das Langarmshirt hat einen langen Weg zurückgelegt: von der Baumwolle aus den USA über Garnherstellung, Färben und Nähen in Bangladesch bis zum Transport des fertigen Produkts mit dem Seeschiff nach Deutschland und im Lastwagen weiter an den Bestimmungsort.
Das sind mehr als 35'000 Kilometer – also fast einmal um die Erde. Trotz dieser Distanz machen die Transporte lediglich 3% der CO2-Emissionen aus. Käme das fertige Teil hingegen per Flugzeug nach Europa, stiege der Transportanteil auf beachtliche 28% (siehe Infografik). Kein Wunder, liegt der Transportanteil der Treibhausgasemissionen beim Zara-Konzern deutlich höher als die 3%, die für die Branche gelten. 2021 waren es laut Geschäftsbericht 10,6%; 2022, nach dem Wegfall des Russlandgeschäfts, immer noch über 8%.
2022 hat allein die EU laut ihrer Handelsstatistik per Flugzeug 387'009 Tonnen Kleidung, Textilien und Schuhe importiert und 346'778 Tonnen exportiert. Der Trend seit 2019 war leicht rückläufig, wohl auch bedingt durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine. Doch das Ausmass bleibt gewaltig: Allein die EU-Flugimporte und -exporte im Jahr 2022 entsprechen der Ladekapazität von 7000 bis 7500 grossen Frachtflugzeugen, also rund 20 reinen Modefrachtflügen pro Tag. Auffallend ist, dass der Fluganteil bei den Exporten mit 17,5% deutlich höher ist als bei den Importen (3,4%).
Flugmode wird damit zu einem Treiber der Klimakrise. Und das völlig unnötigerweise. Denn Hersteller wie die Zara-Mutter Inditex könnten den Anteil Luftfracht ohne grosse Probleme massiv reduzieren.
Doch welche Markenfirmen lassen am meisten fliegen? Die Unternehmen selbst sind sehr intransparent, wenn es um Flugmode geht. Wir haben deshalb auch unabhängige Medien und detaillierte Zolldaten ausgewertet. Dabei sind wir auch auf andere Modefirmen wie Calzedonia, Lululemon, Next, Uniqlo und Urban Outfitters gestossen, aber bei keiner fanden wir Hinweise auf ein ähnlich hohes Flugfrachtaufkommen wie bei Inditex.
Allein in Zaragoza 1600 Flüge pro Jahr für Inditex
Unabhängig vom Ort der Produktion landen bei Zara & Co. praktisch alle Artikel in den grossen Verteilzentren, die der Konzern rund um den spanischen Flughafen Zaragoza betreibt. Dort werden die Teile geglättet, geprüft und für den weltweiten Versand in die Läden konfektioniert.
Gemäss Geschäftsbericht 2022 erfolgte rund die Hälfte der Produktion in Nordafrika, der Türkei und auf der Iberischen Halbinsel, der Rest in fernen Produktionsländern (Argentinien, Bangladesch, Brasilien, China, Indien, Kambodscha, Pakistan und Vietnam).
Viele Kleider, die in Ländern verkauft werden, die Inditex per Flugzeug beliefert (und dazu gehören zahlreiche wichtige Märkte, siehe Infografik), haben den Frachtraum eines Cargo-Flugzeugs zweimal von innen gesehen. Auch das sorgt im Vergleich zu anderen Modemarken zu einer deutlich höheren Klimaschädlichkeit der Transporte.
Das Aushängeschild dieses Geschäftsmodells ist das zentrale Logistikzentrum Plaza in der Nähe des Flughafens Zaragoza; es funktioniert im Vierschichtbetrieb, 360 Tage im Jahr. «Jedes Bekleidungsstück für Frauen, das Inditex irgendwo auf der Welt verkauft, läuft über Plaza», heisst es in einem Video des lokalen TV-Senders Aragón TV. Das Video zeigt, wie ein Frachtflugzeug von Emirates Skycargo für den Flug nach Dubai mit 37 riesigen Paletten mit Inditex-Ware beladen wird. Dort hat Inditex einen Hub, in dem Teile der Ladung für den Weiterflug nach Australien und zu asiatischen Destinationen aufbereitet werden. Der für die Luftfracht verantwortliche Inditex-Angestellte sagt, dass in Zaragoza für Inditex jede Woche rund 32 Frachtflüge mit rund 100 Tonnen Kleidern an Bord abgefertigt werden. Das sind weit über 1600 Flugbewegungen pro Jahr.
Dadurch wurde Zaragoza 2019 zur Nummer 2 unter Spaniens Frachtflughäfen; vom Gesamtvolumen von 183'000 Tonnen entfielen gemäss der regionalen Wirtschaftsförderung 90% auf Inditex. 2022 sank das Volumen nach rekordhohen 194'000 Tonnen im Jahr 2021 als Folge des Kriegs in der Ukraine um gut 34%, wohl auch weil Inditex in Russland, seinem nach Spanien wichtigsten Markt, seine 502 Läden und den Onlineshop geschlossen hatte. Zuvor hatte Inditex Moskau mit zwei Cargo-Jumbos der russischen AirBridgeCargo pro Woche angeflogen.
Nicht alles wird geflogen; was von Zaragoza aus innerhalb von 36 Stunden auf dem Landweg in die Läden gelangen kann, wird eher mit grossen Lastwagen transportiert. Das heisst, Läden und Onlineshops in West- und Mitteleuropa werden zum Teil über die Strassen beliefert.
Auch innerhalb der EU wird tonnenweise Mode geflogen
Doch selbst innerhalb der EU, wo Luftfracht nur einen geringen Zeitvorteil bietet, wird Mode geflogen: 2022 waren es mindestens 42'658 Tonnen (da Waren EU-intern nicht verzollt werden, sind die Statistiken hier lückenhaft). Auffälligerweise kommt der mit Abstand grösste Teil dieser Flugtransporte aus Spanien – konkret 64% oder 27'392 Tonnen. Der Absender dürfte hier vor allem Inditex sein. Hauptdestinationen waren Griechenland mit 8034 Tonnen und Polen mit 5132 Tonnen. In beiden Ländern ist der Zara-Konzern mit zahlreichen Läden vertreten, zudem können die Kleider auf dem Landweg aufgrund der Distanz nicht innerhalb der von Inditex gewünschten 36 Stunden in den dortigen Läden sein. Gemäss den Daten der Flughafenbetreiberin Aena dürften diese Märkte nicht mit Frachtflugzeugen ab Zaragoza bedient werden, sondern die Ware fliegt mit in Passagierflügen ab Madrid und Barcelona, wo Inditex ebenfalls ein wichtiger Cargo-Kunde ist. Am Flughafen Barcelona sorgt die Modebranche seit Jahren für die grössten Frachtvolumen.
Zwischen dem südfranzösischen Sète und dem polnischen Posen setzt Inditex zur Belieferung des Lagers für Onlinebestellungen in Mitteleuropa seit Kurzem auch den Güterzug ein. Auf der Rückfahrt nutzt Ikea dieselbe Zugkomposition und fährt damit in Polen hergestellte Möbel nach Spanien. Das spart insgesamt 12'000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr und ist ein guter Ansatz, aber halt nur ein Tropfen auf den heissen Stein.
Viel Inditex-Flugmode aus Bangladesch
In Bangladesch vergab der Konzern 2022 an 170 Fabriken Aufträge im Umfang von 1,25 Milliarden Euro; das geht aus einem Schreiben des Chefs von Inditex Bangladesch an eine lokale Behörde hervor, welches das einheimische Finanzportal The Finance Today publiziert hatte. Gemäss Zolldaten hat Inditex davon mindestens 16% am Flughafen Dhaka als Luftfracht aufgegeben. Von Januar bis August 2023 waren es sogar 22,8%.
Doch damit nicht genug: Zusätzlich fährt Inditex gemäss einem Fachmagazin fertig produzierte Textilien per LKW ins indische Delhi, wo diese mit Cargo-Jumbos von Atlas Air nach Zaragoza geflogen werden. Grund dafür sind offenbar immer wieder auftauchende Kapazitätsprobleme am Flughafen Dhaka, an dem fertig produzierte Textilien 85% der Fracht ausmachen. In solchen Situationen lässt Inditex seine Muskeln spielen und kauft bis zu 70% der Frachtkapazität ab Dhaka auf, was Inditex dem Fachmagazin gegenüber nicht dementiert hat.
Die ganze Absurdität der Inditex-Flugmode offenbart sich bei einem Blick auf das Preisniveau, das ebenfalls aus den Zolldaten hervorgeht: Ein wichtiger Lieferant in Bangladesch mit rund 6000 Beschäftigten produziert vor allem Damen-T-Shirts für Zara, von Januar bis August dieses Jahres laut Zolldaten fast 10 Millionen Stück. Ein Viertel davon erreichte Spanien auf dem Luftweg, oft via Doha oder Dubai.
Pro Shirt zahlt Inditex diesem Lieferanten nur rund 1.90 Franken (2.10 US-Dollar). Verschickt man Kleidung in grossen Mengen auf dem Seeweg, liegen die Transportkosten pro Kleidungsstück üblicherweise bei wenigen Rappen. Luftfracht ist hingegen teuer. Pandemiebedingt schwankten die Preise in den letzten Jahren stark, doch 1.50 Franken pro Kilogramm dürften mindestens fällig werden. Wohlgemerkt: Das wären nur die Kosten für den Flug von Bangladesch nach Spanien. Wird die Ware von dort zum Beispiel in eine US-Filiale weitergeflogen, steigen die Frachtkosten weiter.
Ein beliebtes Argument zur Rechtfertigung der Flugfracht ist der hohe Warenwert. Doch laut Daten des Steueramts von Barcelona hat Flugmode beim Import einen Wert von knapp 18 Euro pro Kilogramm, im Export steigt er auf 41,50 Euro. Das steht im krassen Gegensatz zu Pharma und Chemie, wo der Exportwert in Barcelona bei knapp 120 Euro liegt.
Selbst wenn Inditex als Megakunde der Cargo-Airlines sicherlich Rabatte rausschlagen kann, dürften die Flugtransport-Mehrkosten pro Shirt bei mindestens 20 bis 40 Rappen liegen. Zum Vergleich: Die Einkaufspreise, die Inditex und andere Händler in Bangladesch zahlen, sind so tief, dass nach Abzug der Material- und Energiekosten von rund 70% kaum etwas übrig bleibt. Der jüngste Geschäftsbericht des oben genannten Lieferanten zeigt auch, dass nur 18% der Erlöse, also bei einem typischen Zara-Shirt gerade mal 34 Rappen, in direkte Lohnkosten fliessen.
Der typische Armutslohn einer Näherin in Bangladesch liegt aktuell bei umgerechnet 80 Franken – pro Monat! Während wir diese Zeilen schreiben, protestieren Arbeiter*innen in Gazipur und Dhaka für eine Anhebung des Mindestlohns auf 190 Franken. Doch die Arbeitgeberseite blockiert, auch mit Verweis auf die niedrigen Einkaufspreise der internationalen Markenfirmen. Würden Zara und Co. die komplett unnötigen Luftfrachtkosten einsparen und entsprechend mehr an die Hersteller zahlen, wäre schon mal deutlich mehr Geld für bessere Löhne in den Kassen. Damit alle Löhne mindestens existenzsichernd sind, bräuchte es allerdings noch eine umfassendere Umverteilung der Wertschöpfungsgewinne entlang der Lieferkette.
Flugmode erhöht den Druck auf Arbeiter*innen
Fast Fashion verlangt von den Lieferanten grosse Flexibilität, der Preisdruck steigt, grössere Aufträge werden in viele kleine gesplittet, und Standardlieferfristen schrumpfen auf wenige Wochen. Dies erhöht den Zeitdruck in den Fabriken, und das bekommen die Arbeiter*innen zu spüren. Für die Fabriken und die Belegschaft sind in der Regel grössere Aufträge mit langen Vorlaufzeiten besser, denn sie schaffen Planungssicherheit und ermöglichen eine gleichmässige Verteilung der Arbeitszeit. Je kürzer die Fristen, umso mehr werden Teilaufträge an Subunternehmen ausgelagert und Überstunden angesetzt.
Flugmode begünstigt das Aufteilen in kleine Teilaufträge. Firmen schauen dann erst mal, wie Artikel bei der Kundschaft ankommen. Jene, die gut laufen, werden in raschem Tempo nachbestellt und, wenn es besonders eilig ist, eingeflogen. Läuft ein Artikel nicht, bleiben die Folgeaufträge aus.
Besonders drastisch ist dieses Produktionsmodell bei Ultra-fast-Fashion-Unternehmen wie Shein, wo Bestellungen von lediglich 100 bis 150 Kleidungsstücken häufig vorkommen und von den Fabriken erwartet wird, in wenigen Tagen nachliefern zu können. 75-Stunden-Wochen für die Näher*innen sind die Folge, wie wir 2021 in einer Reportage gezeigt haben.
Während Unternehmen wie Inditex und Shein von vornherein mit Luftfracht planen und die Kapazitäten dafür auch selbst organisieren, führen in anderen Fällen unfaire Vertragsbedingungen zu ungeplanten Flugtransporten. Einige Modefirmen verhandeln so kurze Lieferfristen, dass praktisch keine Zeitreserven bleiben, falls nach Musterkontrolle noch Änderungswünsche kommen, die Produktionsfreigabe verzögert wird oder Material nicht rasch verfügbar ist. Die von den Bestellern vorgegebenen Lieferbedingungen sehen oft hohe Vertragsstrafen vor, sobald das vereinbarte Lieferfenster nicht eingehalten wird (siehe Zitat unten). Um nicht noch mehr Geld zu verlieren, wechseln Lieferanten unter Druck auf Luftfracht, und das auf eigene Kosten.
«Wenn der Hersteller aus irgendeinem Grund [!] den vom Unternehmen festgelegten Liefertermin nicht einhält, kann das Unternehmen nach eigenem Ermessen entweder einen geänderten Lieferplan genehmigen, den Versand per Luftfracht auf Kosten des Herstellers verlangen oder die Bestellung stornieren, ohne dass das Unternehmen gegenüber dem Hersteller haftet.»
Auszug aus einem Produktionsvertrag, der von Human Rights Watch 2019 im Bericht «Paying for a Bus Ticket and Expecting to Fly» anonymisiert veröffentlicht wurde.
Richtung Amerika sorgt Inditex ebenfalls für viel Flugverkehr: Die Strecke mit dem grössten Aufkommen dürfte dabei jene nach Mexiko-Stadt sein. Mexiko gehört mit 383 Filialen im Jahr 2022 zu den Top-3-Märkten von Inditex und der Flughafen ist gleichzeitig der Hub für Südamerika. «Fünf Frachter mit Mode, Accessoires und Einrichtungen für die Shops lässt Inditex pro Woche in die mexikanische Hauptstadt fliegen», schrieb Lufthansa Cargo bereits 2016 stolz in einem Blog. «Hinzu kommen noch beträchtliche Mengen, die in den Frachträumen von Passagiermaschinen in diesen Wachstumsmarkt gelangen», heisst es. Mit 18'565 Tonnen war Mexiko 2022 am Flughafen Zaragoza denn auch die wichtigste Exportdestination, gefolgt von Katar und den USA.
Shein verschickt tonnenweise Luftpostpakete
Schlecht ist die Datenlage bei jener Flugmode, die nicht an Verteilzentren, sondern in Form von Einzelpaketen direkt an Konsument*innen versandt wird. Der Onlinehändler Shein etwa verschickt gewaltige Mengen Mode direkt aus China per Luftpost in die Privathaushalte in aller Welt, doch die Handelsstatistiken sind bei Kleinwarensendungen leider unscharf.
Zu Shein hat Public Eye im November 2021 eine Reportage über die Arbeitsbedingungen in der Produktion publiziert. Unsere Recherchen hatten damals gezeigt, dass Shein tonnenweise Pakete von China aus per Flugzeug verschickt. Wie das Fernsehen RTS in der Romandie im Mai dieses Jahres mit einem GPS-Tracking aufgedeckt hat, werden auch Retouren, die per Schiff nach China gelangen, anschliessend per Flugzeug an neue Käufer*innen verschickt. Fast ein Drittel der knapp 8 Tonnen Mode, die im Flieger in die Schweiz kommen, stammen gemäss Schweizer Handelsstatistik aus China.
Vier Frachtflugzeuge von China Southern Airlines pendeln auf den Shein-Hauptrouten zwischen Guangzhou und Los Angeles sowie Guangzhou und Amsterdam oder London hin und her. Im Juli 2022 feierte die Fluggesellschaft, die grösste ganz Asiens, eine neue strategische Partnerschaft mit Shein, die ihre Flugkapazitäten erhöhen sollte. Dass Shein auch anders kann, zeigt ein Überraschungsfund unserer Recherche: Für die Ausstattung seines neuen EU-Logistikzentrums in Polen liefert das Unternehmen einige Produkte auch mit dem Zug aus China an. Doch die Fixierung auf Geschwindigkeit lässt Shein weiter am Direktversand per Luftfracht festhalten.
Wir haben Shein mit Fragen zum Einsatz der Luftfracht durch den Konzern konfrontiert, jedoch keine Antwort darauf erhalten.
Worthülsen statt Massnahmen für weniger Flugfracht
Inditex scheint die Problematik der klimaschädlichen Flugtransporte verbergen zu wollen: Im Jahresbericht 2022 schreibt das Unternehmen bezüglich der Emissionen nur vage von einer «Überprüfung der Transporte» und einer «Suche nach alternativen Transportmitteln». Ein Vortrag des Nachhaltigkeitsverantwortlichen des Zara-Konzerns im Februar 2023 an einem Branchentreffen in Barcelona hatte die gleiche Stossrichtung, Flugfracht war kein Thema. Die Massnahmen zur Reduktion des ökologischen Fussabdrucks fokussieren auf andere Bereiche der Wertschöpfungskette, etwa die Reduzierung des Wasserverbrauchs.
Auf den umfangreichen Fragenkatalog, den wir Inditex geschickt haben, antwortet der Konzern zwar wortreich, aber ohne auf unsere Fragen konkret einzugehen. Inditex wiederholt vor allem sein bereits bekanntes Klimaziel «Netto null Emissionen bis 2040». Im Transportbereich setze man auf kürzere Wege, eine Optimierung der Beladung und eine neue, emissionsärmere Flotte. Die meisten Transporte würden zudem per Schiff oder Lastwagen erfolgen.
Spezifisch zur Luftfracht enthält das Antwortmail hingegen nur wenige Angaben, darunter Hinweise auf mehrere Kooperationen zur Förderung von Massnahmen zur Dekarbonisierung der Flugfrachtbranche, zur Entwicklung alternativer Treibstoffe und zur Optimierung der Effizienz von Flugzeugen. Messbare Ziele für Luftfracht nennt Inditex nicht. Luftfracht sei «mehrheitlich» für interkontinentale Transporte reserviert, wenn Alternativen wie Zug- und Strassenverkehr nicht infrage kämen und Seefracht zu viel Zeit benötige. «Der grösste Teil der Luftfracht entfällt auf Passagierflüge, 2022 wurde der Einsatz von Luftfracht um 25% reduziert.» Das Klima macht da allerdings keinen Unterschied: Flug ist Flug. Zu den Luftfrachtmengen und -kosten und zu den an Lieferanten in Bangladesch gezahlten Einkaufspreisen hat sich Inditex nicht geäussert.
Zur Antwort von Inditex passt, dass die Luftfrachtindustrie in der Bekämpfung der Klimakrise vor allem auf technische Innovationen setzt. Minimale Verbesserungen gibt es durch etwas effizientere Flugzeuge. Der Rest ist Hoffen, weil es technische Innovationen wie Kraftstoffe aus erneuerbaren Ressourcen noch nicht oder noch nicht in industriellem Massstab gibt. Darum richtet sich der Fokus der Industrie aktuell auf unverbindliche Initiativen und Kompensationsprojekte wie Corsia, Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation. Der Weltklimarat IPCC sieht darin allerdings kein taugliches Instrument, wie er in seinem sechsten Bericht schreibt: «Corsia führt naturgemäss nicht zu einer Verringerung der Emissionen des Luftverkehrs, da im Rahmen des Programms hauptsächlich anerkannte Kompensationen gehandelt werden. Corsia ist bestenfalls eine Übergangsregelung, die es dem Luftverkehr ermöglicht, seine Auswirkungen zu einem späteren Zeitpunkt auf sinnvollere Weise zu verringern.»
Kurz: Zumindest solange die erhofften technischen Innovationen nicht da sind, wäre es viel zielführender und naheliegender, die Flugfracht drastisch zu reduzieren und nur wirklich wichtige Dinge wie Medikamente oder dringend benötigte Maschinenersatzteile zu fliegen. Mode gehört da definitiv nicht dazu. Und sie käme auch ohne Luftfracht weiterhin in die Läden. Lediglich schnelle Modetrends bräuchten ein paar Wochen länger, bis sie in den Auslagen landen. Eine solche Entschleunigung wäre kein Verlust, sondern eine Chance für bewussteren Konsum und langlebigere Designs.
Ob Zara, Shein oder andere: Mode um die halbe Welt zu fliegen, ist angesichts der Klimakrise eine völlig unnötige Belastung unserer Umwelt.
Flugmode muss gestoppt werden.