Schweizer Doppelstandards bei verbotenen Pestiziden
Laurent Gaberell und Géraldine Viret; Datenvisualisierung: Martin Grandjean, 10. September 2020
Unsere Recherchen zeigen, dass die Schweiz von 2012 bis 2019 mehr als 180 Tonnen Pestizide exportierte, deren Verwendung auf Schweizer Boden wegen inakzeptabler Risiken verboten wurde. Gemäss den vom BAFU erhaltenen "Ausfuhrnotifikationen" wurden insgesamt sechs verbotene Pflanzenschutzmittel in rund 15 Länder Asiens, Afrikas, Südamerikas oder Osteuropas ausgeführt, wo die Vorschriften schwach und die Risiken hoch sind. Alle exportierten Stoffe stehen in der Schweiz auf der Liste der besonders gefährlichen Chemikalien (PIC-Verordnung), deren Ausfuhr einer Notifikationspflicht unterliegt.
Die Schweizer Exporte gehen auf ein einziges Unternehmen zurück: Syngenta. Der in Basel ansässige Chemieriese unterhält im Wallis seine weltweit grösste Produktionsstätte. Syngenta stellt dort hauptsächlich für den Export Herbizide, Insektizide und Fungizide her. Während Syngenta Monthey stolz als «innovationsorientierten» Standort präsentiert, wo die Herstellung neuer Wirkstoffe im Vordergrund stehe, zeichnet unsere Recherche ein anderes Bild: Der Basler Riese exportiert aus der Schweiz auch veraltete, hochgiftige Substanzen, die seit Jahrzehnten auf dem Markt sind.
Die Dokumente des BAFU zeigen, dass Syngenta 2019 rund sechs Tonnen Gesagard nach Georgien exportierte. Dieses Herbizid auf der Basis von Prometryn wird im Karotten-, Sellerie- und Baumwollanbau verwendet. Prometryn ist seit 1962 auf dem Markt und gehört zur gleichen chemischen Familie wie Atrazin: Die sogenannten «Triazine» können die Fortpflanzung und die Entwicklung von Föten beeinträchtigen. Beim Abbau von Prometryn kann ausserdem Melamin entstehen – eine Substanz, die von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) als «wahrscheinlich krebserregend» eingestuft wurde.
Im Jahr 2018 führte der Basler Konzern rund 37 Tonnen Profenofos aus der Schweiz nach Brasilien aus, wo das Insektizid zu den am häufigsten im Trinkwasser nachgewiesenen Substanzen zählt. Profenofos wurde 1975 erstmals auf den Markt gebracht. Das mit dem Giftgas Sarin verwandte Neurotoxin kann bei chronischer Exposition selbst in niedrigen Dosen die Gehirnentwicklung von Kindern schädigen. Bei Landwirtinnen und Landwirten kann Profenofos schwere Vergiftungen verursachen.
2017 wurden rund 125 Tonnen eines Insektizids namens Diafenthiuron aus der Schweiz nach Südafrika und Indien exportiert. Im selben Jahr war Diafenthiuron in eine schwere Vergiftungswelle von Baumwollbauern im indischen Bundesstaat Maharashtra involviert. Diafenthiuron ist seit 1990 auf dem Markt. Laut Europäischer Chemikalienagentur (ECHA) ist es «giftig beim Einatmen» und «kann bei längerer oder wiederholter Exposition Organschäden verursachen».
Die mit Abstand grössten Mengen an verbotenen Pestiziden – insgesamt 173 Tonnen – wurden zwischen 2017 und 2019 exportiert. Das hängt damit zusammen, dass vor 2017 nur wenige verbotene Pestizide in der PIC-Verordnung aufgeführt waren. In diesem Jahr wurde die PIC-Liste um 87 in der Schweizer Landwirtschaft verbotene Pestizide erweitert, darunter Profenofos, Diafenthiuron und Prometryn. Diese Substanzen wurden möglicherweise bereits früher exportiert, unterlagen aber vor 2017 noch keiner Ausfuhrnotifikationspflicht nach PIC und erschienen deshalb nicht in den Dokumenten des BAFU.
Bis und mit 2016 betrafen fast alle Exporte verbotener Pestizide nur zwei Stoffe: Atrazin, einen hormonaktiven Stoff, der Trinkwasserquellen verunreinigt, und Paraquat, eines der akut giftigsten Pestizide der Welt. In den meisten Fällen wurden Kleinstmengen für Feldversuche ausgeführt. Ausnahmen bildeten eine Ausfuhr von 12 Tonnen Paraquat nach Kamerun im Jahr 2012 und der Export von anderthalb Tonnen Atrazin nach Georgien 2014. Mehrheitlich stellt Syngenta Paraquat in Grossbritannien und China her; Atrazin wird in den USA und Frankreich produziert.
Im Dezember 2017 wurde im Nationalrat eine Motion für einen Ausfuhrstopp von in der Schweiz verbotenen Pestiziden eingereicht. Leider wurde die Motion unbehandelt abgeschrieben, nachdem die zweijährige Frist im Parlament abgelaufen war. Der Bundesrat beurteilte den Ausfuhrstopp damals als «unverhältnismässig» und schickte stattdessen 2019 den Entwurf einer Verordnungsänderung in die Vernehmlassung, wonach die Ausfuhr von bestimmten in der Schweiz verbotenen Pestiziden künftig einer vorgängigen Zustimmung des Einfuhrstaates bedürfte.
In einem offenen Brief an die Schweizer Behörden beurteilte der UNO-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und toxische Substanzen diesen Vorschlag im letzten November als «völlig unzureichend». Es sei «höchst unwahrscheinlich», dass dadurch «die Exposition gegenüber gefährlichen Pestiziden reduziert oder eliminiert» würde.
Der UNO-Experte forderte die Schweiz dazu auf, den Export verbotener Pestizide zu untersagen. Es sei «schwer vorstellbar», dass gefährliche Pestizide, die in der Schweiz verboten sind, «in Zielländern mit schwächeren staatlichen Strukturen absolut sicher verwendet werden können». Weil die Ausfuhrbewilligung einerseits von Nichtregierungsorganisationen und andererseits von «betroffenen Wirtschaftskreisen» abgelehnt werde, nimmt das BAFU aktuell «weitere Abklärungen vor».
Die Schweizer Politik muss endlich handeln und den Giftexporten ein Ende setzen.