Tonnage Tax Die Riesenflotte der Schweizer Rohstoffhändler

Schweizer Unternehmen steuern heute über 3'600 Schiffe auf den Weltmeeren. Der Löwenanteil an diesem für ein Binnenland überraschenden Geschäftszweig entfällt auf die Flotte der Rohstoffhändler. In den trüben Gewässern des Schifffahrtsgeschäfts bauen sie ihre Kontrolle über die globalen Wertschöpfungsketten weiter aus.

Die Meldung vor fünf Jahren sorgte für Erstaunen: Aus einem Chalet im Walliser Bergdorf Verbier soll eine der grössten Schweizer Hochseereedereien ihre 175 Schiffe kontrollieren. Offiziell in Singapur gemeldet, betreibt die Firma SwissMarine dort bis heute ihre wohl wichtigste Zweigstelle. Wie erst 2017 durch die Paradise Papers enthüllt wurde, wurde SwissMarine seit der Gründung 2001 von Glencore kontrolliert. Der Rohstoffkonzern hatte alles versucht, um seine Beteiligung im Verborgenen zu halten. «Aus kommerziellen Gründen». Glencore ist in der Zwischenzeit aus der Firma ausgestiegen, betreibt dafür aber weiterhin eine andere Schifffahrtstochter, ST Shipping & Transport, deren Jahresumsatz 1 Milliarde US-Dollar weit übersteigt.

Bessere Planbarkeit, grösserer Informationsvorsprung und mehr Wertschöpfung machen die Schifffahrt zu einer lukrativen Kernfunktion im Handelsgeschäft. Kein Wunder verfügen alle grossen Schweizer Rohstoffkonzerne mittlerweile über eine eigene Hochseeflotte.

Über deren Ausmass war bis anhin wenig bekannt, denn die Schweiz kennt keine offiziellen Zahlen. 

Aufgrund unserer umfassenden Recherche ist es nun erstmals möglich, die Grösse des Schweizer Schifffahrtsstandorts zu benennen: Schweizer Unternehmen betreiben eine Flotte von über 3'600 Hochseeschiffen. Mit 2'200 Schiffen zeichnen die Rohstoffkonzerne wesentlich dafür verantwortlich, dass das Binnenland Schweiz heute ein maritimer Hub ist.

Moderne Schiffskapitäne 

«An jedem beliebigen Tag können wir Zucker von den USA nach Südkorea, Bauxit von Guinea nach Spanien transportieren oder Eisenerz von Australien nach China und Orangensaft von Brasilien nach Belgien verschiffen», schwärmt etwa der Agrarrohstoffkonzern Louis Dreyfus Company (LDC) über seine mehr als 200 Schiffe umfassende Hochseeflotte.

Dank seinem «erfolgreichen Fussabdruck» spiele Bunge eine grosse Rolle beim Seetransport der eigenen Produkte, so der Agrarhändler über seine 200 Trockenfrachter. Das Unternehmen hat seinen Konzernsitz seit Ende 2023 in Genf, wo er zuvor schon sein wichtigstes Handelsbüro betrieb. Bunges Flotte dürfte durch die kürzlich beschlossene Übernahme von Viterra, der ehemaligen Agrarsparte von Glencore, bald um weitere 200 Frachtschiffe wachsen.

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  • Rohstofftransport auf Hochseeschiffen

    Zwei Geschäftsfelder sind für den maritimen Transport von Rohstoffen von wesentlicher Bedeutung: die Massengutfracht und die Tankschifffahrt. Rund zwei Drittel der weltweiten Frachtkapazität entfallen auf diese beiden Zweige. Die Containerschifffahrt trägt hingegen weniger als ein Fünftel zur globalen Hochseeflotte bei.

    Massengutfrachter, auch Bulker genannt, sind laut dem internationalen Branchenverband der Reeder die «Arbeitstiere der Handelsflotte». Sie kommen auf Längen von bis über 300 Metern, was der Höhe des Eiffelturms entspricht. In Häfen kippen Arbeiter*innen mittels Kränen, Fliessbändern und anderem Gerät Rohstoffe wie Kohle oder Getreide direkt in die offenen Luken dieser gewaltigen Schiffe.

    Tanker sind für den Transport von flüssigen Energierohstoffen wie Öl oder Flüssiggas bestimmt – aber auch von Agrarrohstoffen wie Orangensaftkonzentrat, für deren Verschiffung spezialisierte Tanker betrieben werden. Supertanker fassen Volumen von bis zu 2 Millionen Fass Rohöl, dem Äquivalent von rund 128 olympischen Schwimmbecken.

Schweizer Rohstoffkonzerne spielen in der globalen Hochseeschifffahrt inzwischen eine Schlüsselrolle. So gehört Cargill laut Branchenanalysten mittlerweile zu den wichtigsten Betreibern von Massengutfrachtern überhaupt. 2022 verschiffte der weltgrösste Agrarhändler über 225 Millionen Tonnen Fracht, das entspricht mehr als fünfeinhalb Mal dem jährlich in der Schweiz verbauten Beton.

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Heute verstehen sich Rohstoffhändler als «moderne Schiffskapitäne, als Navigatoren», wie der Chef von Vitol im November 2023 gegenüber der NZZ betonte. Sein Unternehmen, notabene der umsatzstärkste Konzern der Schweiz, kontrolliert über 250 Schiffe auf den Weltmeeren. Wie die Rohstoff-Kapitäne im Binnenland Schweiz operieren, erklärte die Generalsekretärin des Branchenverbands Suissenégoce Ende 2022 der SRF Rundschau: «Wenn man als Rohstoffhändler ein Boot chartert, dann sagt man dem Kapitän wohin er steuern soll. Man verfolgt sein Schiff auf dem Bildschirm, um sicherzugehen, dass die Ware nicht verschwindet.»

Chartern statt bereedern 

Viele der grossen Schweizer Rohstoffhändler betonen auf unsere Nachfrage zu ihren Hochseeflotten, sie würden keine Schiffe besitzen, sondern diese lediglich chartern. Bei einem Chartervertrag übernehmen Rohstoffhändler für einzelne Fahrten (voyage charter) oder eine gewisse Zeit (time charter) die Kontrolle über ein Schiff. Time-Charter-Verträge gelten nicht selten mehrere Jahre, wodurch Handelsfirmen den Einsatz und Betrieb eines Frachtschiffs wesentlich prägen. Sie können gecharterte Schiffe auch weiterverchartern und durch den Schiffbetrieb als quasi-Reeder kräftig dazuverdienen.

Eigentümer der Schiffe sind üblicherweise Reedereien, die auch für den technischen Betrieb und die Besatzung verantwortlich sind. Weil Reedereien aber auch Schiffe chartern und Rohstoffhändler teilweise auch (Mit-)Eigentümer von Schiffen sind oder eigene Reedereien betreiben, unterscheiden sich die Besitzverhältnisse von Schiff zu Schiff.

Mittlerweile betreibt jeder der zehn grössten Schweizer Rohstoffkonzerne dafür eine eigene Frachtabteilung, häufig auch in der Schweiz (siehe Tabelle unten). Oft ist deren Sitz in Singapur, was auch daran liegen dürfte, dass die Schifffahrtsbranche im Kleinstaat eine komplette Steuerbefreiung geniesst – allerdings nur, wenn dort alle strategisch und kommerziell relevanten Entscheide getroffen werden. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist unklar und kaum überprüfbar. Auf Anfrage will jedenfalls keine der Firmen die Anzahl Schiffe bekanntgeben, die sie aus ihren Schweizer Büros steuert.

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Das Schifffahrtsgeschäft der Schweizer Rohstoffhändler

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  • Trafigura

    Trafigura hat seine Schifffahrtssparte Trafigura Maritime Logistics in den letzten Jahren stark ausgebaut. Laut Jahresbericht kontrollierte der Konzern 2023 zu jeder Zeit zwischen 280 und 290, laut Website sogar 400 Schiffe auf den Weltmeeren, von Tankern bis Trockenfrachtern. Trafigura hält auch 75% an TFG Marine, einem in der sogenannten Bunkerschifffahrt, dem Betanken anderer Schiffe, tätigen Unternehmen. Gemäss dem Branchenmagazin «Ship & Bunker» gehört TFG Marine zu den zehn grössten Anbietern im Sektor. Ein weiterer Tochterkonzern von Trafigura, Puma Energy, betreibt eigenen Angaben zufolge «eine der weltweit grössten und fortschrittlichsten Flotten» für die Verschiffung des Erdölprodukts Bitumen. Trafigura handelt zudem selbst mit Schiffen und hat damit in den fünf Jahren von 2017 bis 2021 5 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Beispielsweise kontrolliert Trafigura zahlreiche Firmen mit dem Namen White Flag Ventures, deren Aufgabe einzig darin zu bestehen scheint, Schiffe zu kaufen, zu besitzen und weiterzuverkaufen.

  • Vitol

    Vitol bestätigt auf Anfrage, durchgehend über 250 Schiffe auf den Ozeanen zu kontrollieren. Dies hauptsächlich über die auf den Bermudas registrierte Firma Mansel Ltd, mit der Vitol längerfristige Charterverträge für Schiffe unterhält. Der Konzern hat 2018 zudem die ehemalige staatliche lettische Schifffahrtsgesellschaft LSC SIA übernommen und betreibt sie seitdem als eigene Reederei. Die mit Vitol in Verbindung stehende auf den Britischen Jungferninseln eingetragene Elandra Holdings Ltd. liess bereits mehrere Schiffe bauen, die LSC SIA anschliessend betrieb. Für seinen regen Handel mit Schiffen wird Vitol in der Branche als «Serienverkäufer» bezeichnet. Zudem gehört Vitol Bunkers zu den zehn weltgrössten Anbietern von Schiffstreibstoff.

  • Glencore

    Glencore zeigt sich in Sachen Schifffahrt hingegen sehr zugeknöpft. Auch auf Anfrage wollte der Zuger Konzern keine Angaben zu seiner Flottengrösse machen. Dem Informationsportal MarineTraffic zufolge verfügte Glencore im November 2023 über eine Flotte von 59 Hochseeschiffen. Diese betreibt das Unternehmen unter anderem über seine Tochtergesellschaft ST Shipping & Transport. Die Tochter erzielte laut Jahresbericht im Jahr 2021 mit Schiffscharter einen Umsatz von über 2 Milliarden US-Dollar und operiert wegen der Sonderregel in Singapur weltweit steuerbefreit, so auch in ihrer Schweizer Zweigstelle in Baar. Mit der Topley Corporation verfügt Glencore zudem über eine eigens fürs Schiffseigentum bestimmte Tochtergesellschaft auf den Britischen Jungferninseln. Der Konzern ist an verschiedenen Joint-Ventures als Schiffseigner beteiligt.

  • Gunvor

    Clearlake Shipping heisst die von Gunvor betriebene Schifffahrtsgesellschaft mit Büros in Genf, Singapur und den USA. Der Ölhandelskonzern nennt sich «einer der grössten Charterer von Tankschiffen» weltweit. Auf Anfrage gibt Gunvor an, zwischen 80 und 100 Tanker zu betreiben, Anfang Dezember 2023 seien es über 90 gewesen. Bis 2017 hatte Clearlake auch Trockenfrachter betrieben. 2019 erzielte Gunvor über 1 Milliarde US-Dollar Umsatz im Transportgeschäft, wie aus dem damaligen Jahresbericht hervorgeht. Seit einigen Jahren ist Gunvor auch direkt an sechs von Clearlake gecharterten Schiffen beteiligt.

  • Mercuria

    Mercuria fokussiert in seiner Kommunikation auf seine Bunkerschifffahrtstochter, Minerva Bunkering. Unter den Schweizer Rohstoffhändlern ist Mercuria der grösste Anbieter von Schiffstreibstoffen. Das Genfer Unternehmen betreibt die Schiffe von Minerva Bunkering über die in den Marshall Islands registrierte Gesellschaft MM Marine. Im einem Joint-Venture mit dem US-Reeder Scorpio betreibt Mercuria unter dem Namen Mercury Pool Limited zudem eine Gruppe von Tankschiffen. Mehr zu seinen Schifffahrtsaktivitäten gibt Mercuria nicht preis. Auf Anfrage heisst es lediglich, die Grösse der Flotte sei abhängig von der Handelsaktivität. Laut MarineTraffic verfügte der Konzern Ende November 2023 über 54 Schiffe.

  • Cargill

    Unter den Rohstoffhändlern kommandiert Cargill die mit Abstand grösste Hochseeflotte. Sie umfasst mindestens 650 Schiffe und das Hauptquartier von Cargill Ocean Transportation ist in Genf. Neben dem Hauptgeschäft der Trockenfracht unterhält Cargill eine kleinere Tankerflotte und ist gemäss eigenen Angaben einer der grössten Containerschiffer weltweit. Cargill fährt mitnichten nur auf eigene Rechnung: Drei Viertel der transportierten Fracht entfallen auf Dritte. Unter dem klingenden Namen Pure Marine Fuels vertreibt Cargill in einem Joint-Venture mit der dänischen Reederei Maersk Tankers zudem Schifftreibstoffe.
    Der Konzern präsentiert sich als Pionier der emissionsarmen Schiffsantriebstechnologien. Letzten Sommer berichteten zahlreiche Medien über sein mit Flügelsegeln ausgestattetes Frachtschiff. Die Gesamtperspektive sieht weniger rosig aus. In der Sea Cargo Charter, der ohnehin wenig ambitionierten Dekarbonisierungsinitiative der Branche, liegt Cargill bereits hinter der Konkurrenz zurück.

  • Bunge

    Zu seiner Flotte verliert der Agrarhändler Bunge auf seiner Website nur wenige Worte. Auf Anfrage bestätigt das Unternehmen aber, dass es rund 200 Trockenfrachter zur Verschiffung von Agrarrohstoffen kontrolliere. Weil Bunge plant, den Konkurrenten Viterra zu übernehmen, wird bald dessen «grosse, flexible und diversifizierte Flotte» mit über 200 Schiffen dazustossen. Keiner der beiden Händler scheint Schiffe zu besitzen, stattdessen nehmen sie diese jeweils mittels Charterverträgen unter kurz- oder langfristige Kontrolle.

  • COFCO International

    Während andere Rohstoffhändler im Geschäft mit der Schiffsfracht auch mit Ladungen für Dritte substantielle Einnahmen erzielen, scheint dies bei COFCO International nur in kleinem Umfang der Fall zu sein. Der in Genf ansässige Agrar-Arm des chinesischen Staatskonzerns COFCO gibt an, vor allem auf der Route zwischen Lateinamerika und Asien zu verschiffen. 2019 entfielen rund 80% der Fracht auf eigene Rohstoffe. Dafür betreibt COFCO International eine Flotte von rund 200 Schiffen.

  • Louis Dreyfus Company

    Der Agrarhändler Louis Dreyfus Company (LDC) bestätigt auf Anfrage eine Flotte von 200-250 Schiffen unter Vertrag oder im Besitz zu haben. Diese kontrolliert der Konzern über seinen Genfer Hauptsitz, wo der Chef der Abteilung stationiert ist. Neben seinen eigenen Landwirtschaftsgütern transportiert LDC auch Aluminium- und Eisenerz sowie Frachtcontainer. Das Unternehmen tritt dabei nicht als Schiffeigentümer in Erscheinung, kontrolliert aber mehrere Schiffe auf langfristiger Charterbasis, die dann auch das Konzernlogo tragen.

  • Archer Daniels Midland

    Der Agrarhändler Archer Daniels Midland (ADM) schliesslich gibt an, jährlich über 100 Millionen Tonnen Hochseefracht zu vermitteln. ADM chartert nicht nur Schiffe, sondern besitzt auch einige. Gemeinsam bilden sie das «Rückgrat» seines Getreidehandels. Dem Jahresbericht der Firma zufolge soll die Flotte nur 27 Schiffe umfassen, eine für die grossen Transportvolumen des Konzerns eher tiefe Zahl. Anfragen nach der effektiv kontrollierten Anzahl Schiffe liess ADM unbeantwortet.

Zu den grössten zehn kommen zahlreiche weitere Schweizer Handelsfirmen, die sich während der letzten Jahre eine Präsenz in der Hochseeschifffahrt aufgebaut haben. So verschifft beispielsweise die Handelsabteilung des Zementriesen Holcim 1'500 Schiffsladungen jährlich und auch die Energiekonzerne TotalEnergies und Orlen wickeln zumindest Teile des Frachtgeschäfts über ihre Schweizer Handelsbüros ab.

Der Ölhändler Litasco der russischen Lukoil-Gruppe koordiniert seine Flotte derweil in der Eiger Shipping SA und die Nyala Shipping SA kümmert sich um den Seetransport der im Öl- und Gasgeschäft tätigen Addax & Oryx Group. Die aserbaidschanische Socar-Gruppe betreibt neben ihrem bedeutenden Handelsbüro in der Schweiz mit United Maritime Logistics (Switzerland) SA auch eine eigene Schifffahrtsgesellschaft.  Zahlreiche weitere der über 900 Schweizer Rohstoffhändler chartern regelmässig Hochseeschiffe für ihre Geschäfte.

Unseren Berechnungen zufolge kontrollieren in der Schweiz ansässige Rohstoffhändler heute insgesamt mindestens 2’200 Hochseeschiffe. Diese Riesenflotte ist über sieben Mal so gross wie jene der US-Marine. 

Ein Binnenland als Reederei-Hub

Seit geraumer Zeit besiedelt eine Reihe weiterer Unternehmen das maritime Geschäftszentrum zwischen den Küsten von Genfer-, Zürich- und Luganersee. So hat sich im Alpenland neben den Rohstoffhändlern auch der weltgrösste Containerreeder angesiedelt, die Mediterranean Shipping Company MSC. Die eingeschworene Besitzerfamilie – die Apontes – gehört laut Bilanz mittlerweile zu den fünf reichsten der Schweiz. MSC erlebte in den letzten beiden Jahrzehnten einen kometenhaften Aufstieg. Seit 2006 hat die Reederei unter Führung von «Kapitän Gianluigi Aponte» seine Flottenkapazität beinahe versechsfacht. Heute gibt MSC an, 800 Schiffe zu bereedern. Das entspricht rund einem Fünftel der weltweiten Containerflotte und in den nächsten Jahren sollen nochmals rund 120 Frachter hinzukommen. Ganz nebenbei betreibt MSC auch noch 24 Kreuzfahrtschiffe.

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Neben MSC führen weitere Hochseereedereien ihre Geschäfte in der Schweiz. Beispielsweise die auf Trockenfracht spezialisierte Nova Marine Carriers SA im Tessin, die auf Fruchtsaftschifffahrt fokussierte Atlanship SA in der Waadt, und die Gearbulk Management Switzerland AG im Kanton Schwyz, die angibt, die weltgrösste Flotte offener Trockenfrachter zu betreiben. Oder die Reederei Zürich AG und die Suisse-Atlantique Société de Navigation Maritime SA in der Waadt, die beiden einzigen Reedereien, die noch unter Schweizer Flagge zur See fahren.

Der Staat macht Zahlensalat 

«Die rund 60 in der Schweiz ansässigen Reedereien betreiben etwa 900 Schiffe», schätzte der Bundesrat in seiner im Juni 2023 veröffentlichten «Maritimen Strategie 2023-2027» die Grösse des Sektors. Die Zahl stammt jedoch nicht aus einer offiziellen Statistik, sondern direkt aus der Feder des Branchenverbands der Schiffseigner, der Swiss Shipowners Association (SSA). Unhinterfragt übernommen aus dessen «Weissbuch der Schweizer Hochseeschifffahrt». 

Weil der Verband aber keine öffentliche Mitgliederliste führt, ist unklar, worauf diese Daten beruhen. Die Zahl ist zudem weit überholt: Als die SSA ihr Weissbuch 2020 publizierte, betrieb nur schon MSC noch 250 Schiffe weniger als heute. Auch der emeritierte Strafrechtsprofessor Mark Pieth und die Advokatin Kathrin Betz kritisierten in ihrem Buch über die «Seefahrtsnation Schweiz» den Mangel an offiziellen Daten. Dennoch sei klar, dass die Schweiz ein «Reedereiriese» ist. Das zeigen auch Zahlen aus dem Jahresbericht 2023 des dänischen Reedereiverbands: Demnach ist die Schweiz die achtgrösste Reedereination der Welt und die zweitgrösste in Europa.

Angesichts des Fehlens verlässlicher Daten sahen wir uns veranlasst, etwas Licht ins Dunkel dieser schweigsamen Branche zu bringen. Dafür haben wir alle kantonalen Handelsregister mittels einer Stichwortrecherche nach Unternehmen im maritimen Geschäft durchkämmt. Neben den im maritimen Geschäft tätigen Rohstoffhändlern, Schiffbrokern und Schiffmanagementgesellschaften konnten wir auch die wesentlichen Schweizer Reedereien identifizieren. Nicht wenige von ihnen führen eine öffentliche Flottenliste, aufgrund derer wir die von Schweizer Reedereien kontrollierten Hochseeschiffe abschätzen konnten.

Unsere Recherche zeigt erstmals das grosse Ausmass der Hochseeflotte Schweizer Reedereien. Sie betreiben heute gemeinsam über 1'400 Schiffe. Zählt man die 2'200 Schiffe der Rohstoffhändler dazu, kontrollieren Schweizer Unternehmen eine Flotte von mindestens 3'600 Hochseeschiffen.

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Billigflaggen und Diskretion als Geschäftsmodell 

Im Alpenland denken die meisten beim Begriff «Schifffahrt» eher an den nächsten Wochenendausflug auf dem Vierwaldstättersee als an die Weltmeere und auch der Bundesrat schaut der Branche augenscheinlich kaum auf die Finger. Das dürfte den Schifffahrtsfirmen entgegenkommen, denn die Branche hat eine fast zwanghafte Neigung zur Diskretion.

Einer Analyse der Pariser Hochschule HEC zufolge sind neun von zehn Hochseeschiffen im Besitz einer Firma, deren Zweck sich darauf beschränkt, dieses eine Schiff zu besitzen. Diese sogenannten «single-ship companies» bieten Reedern nicht nur die eingangs erwähnte Diskretion, sondern können im Schadensfall vor allem die Haftung limitieren. Über solche Firmenstrukturen verwalten auch einige der grossen Schweizer Rohstoffkonzerne ihre Hochseeschiffe oder Anteile daran.

Zudem bemühen sich Schifffahrtsgesellschaften um einen möglichst schlanken regulatorischen Rahmen für ihr Geschäft. Das Hauptinstrument dafür ist die sogenannte «Billigflagge». Der Grund: In internationalen Gewässern gelten auf dem Schiff die Gesetze des jeweiligen Flaggenstaats, dessen Regierung zudem für die Durchsetzung des Seevölkerrechts verantwortlich ist.

Einige kaum regulierte Offshore-Jurisdiktionen haben sich deshalb als Heimathäfen in von grossen Teilen der Weltflotte durchgesetzt. So geht etwa das liberianische Flaggenregister auch in der Schweiz auf Kundenjagd, wie das Onlinemagazin Reflekt kürzlich aufzeigte. Unter den Schweizer Rohstoffhändlern sind die Marshallinseln besonders beliebt. Der Inselstaat firmierte Anfang 2023 zwischenzeitlich auf der EU-Liste der nicht-kooperativen Länder in steuerlichen Angelegenheiten.

Steuergeschenk für Rohstoffhändler  

Das Schweizer «Ökosystem von Unternehmen, die im Bereich des Seetransports und in verwandten Bereichen wie Charter […] tätig sind», wie es die Maritime Strategie beschreibt, scheint im Verborgenen munter zu wachsen. Dennoch hält es der Bundesrat für nötig, die Hochseebranche aktiv zu fördern. Politisches Mittel dafür ist, wie so oft: das Steuergeschenk. 

Mit der sogenannten Tonnage Tax, einer pauschalen Sondersteuer auf Hochseeschiffe, soll laut Bundesrat die Standortattraktivität für Seeschifffahrtsunternehmen weiter gesteigert werden. Dass eine solche Subvention vor allem die Schweizer Rohstoffbranche mit ihrer beträchtlichen Flotte begünstigen würde, wird dabei grosszügig in Kauf genommen. 

Just jene Konzerne, welche in den vergangenen Jahren exzessive Milliardenprofite erwirtschaftet haben, sollen nun noch steuerlich privilegiert werden. Weshalb diese Vorlage gewaltig Schlagseite hat, lesen Sie in unserer Analyse zum über 20-jährigen politischen Entstehungsprozess der Tonnage Tax.

Licht in dunkle Geschäfte Recherchen zum Rohstoffhandel