Die Tonnage Tax: Ein Steuerschlupfloch für Schweizer Rohstoffhändler
25. Januar 2024
Die Tonnage Tax ist ein alternatives Steuerregime zur Förderung von Unternehmen in der Hochseeschifffahrt. Das «Spezielle» an dieser Steuer: Unternehmen werden nicht, wie üblich, aufgrund ihres erwirtschafteten Gewinns oder Verlusts, sondern pauschal aufgrund der Ladekapazität – der sogenannten Tonnage – der von ihnen kontrollierten oder gemanagten Schiffe besteuert.
Dumping-Steuersätze für Unternehmen
Dies beschert den betroffenen Unternehmen massiv tiefere Steuersätze. Eine Studie des International Transport Forum (ITF) der OECD berechnete 2020, dass die effektive Steuerrate des Schifffahrtssektors weltweit bei ca. 7% liegt– also weit unter den meisten ordentlichen Gewinnsteuersätzen. Dass noch tiefere Raten möglich sind, zeigt das Beispiel des Reedereiriesen Hapag-Lloyd.
Wie der NDR im November 2022 berichtete, zahlte der Hamburger Konzern aufgrund der Tonnage Tax im Jahr 2021 nur 0,65% Steuern. Selbst Klaus-Michael Kühne, einer der reichsten (Wahl-)Schweizer, der 30% an Hapag-Lloyd hält und Mehrheitsaktionär des Schwyzer Logistikunternehmens Kühne + Nagel ist, gab den Kritiker*innen im NDR-Gespräch denn auch Recht, dass durch solch tiefe Steuersätze bei den derzeitigen Erträgen «obszön wenig» Geld in die Steuerkasse fliesse.
Milliardenverluste für Staaten
Eine andere ITF-Studie hatte die Tonnage Tax bereits ein Jahr zuvor als «implizite Subvention» klassifiziert. Sie sei als «Steueraufwand» zu verstehen, der zu Einnahmeverlusten führe, da jene Einkünfte fehlten, die dann erhoben würden, wenn die Schifffahrt wie alle anderen Sektoren behandelt würde. Gemäss der Studie gehen den OECD-Ländern pro Jahr durchschnittlich 1 Milliarde Euro «verloren». Dennoch wenden eine Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten sowie Norwegen, Grossbritannien, die USA, Indien, Südafrika, Japan oder China die Tonnage Tax weiterhin an.
Gegen die Mindereinnahmen hilft auch die ins Wanken geratene internationale Steuerreform der OECD nicht, welche seit dem 01.01.2024 in Teilen auch in der Schweiz in Kraft ist. Denn Erträge aus der Schifffahrt sind aus der Mindeststeuer von 15% für multinationale Konzerne explizit ausgenommen. Jene Länder, die eine Tonnage Tax anwenden, kommt diese also auch weiter teuer zu stehen.
Gleichzeitig hat sich der Geltungsbereich dieser Regimes laufend ausgeweitet. In den meisten Ländern ist dieser mittlerweile sehr breit und umfasst eine ganze Reihe maritimer Tätigkeiten, die weit über die eigentliche Hochseeschifffahrt hinausgehen. Neben der internationalen Beförderung von Waren und Personen auf dem Seeweg sind auch Rettungs- und Unterstützungsdienste, Schiffstätigkeiten zur Kabel- und Rohrverlegung, die Errichtung von Offshore-Bauwerken sowie wissenschaftliche Meeresforschung eingeschlossen.
Kaum Auflagen, begrenzte Wirkung…
Zudem haben die meisten Staaten im Gegenzug für diese Subvention keine strengen Auflagen eingeführt. Zwar gibt es vielerorts ein sogenanntes Flaggenerfordernis, das die Ausflaggung in Offshore-Länder verhindern soll. Jene Unternehmen, die von der Tonnagesteuer Gebrauch machen wollen, müssen ihre Flotte (oder im Fall der EU-Mitgliedstaaten 60% davon) unter der jeweiligen Landesflagge «segeln» lassen.
Mit der Tonnage Tax verbundene Vorschriften für den Schutz der Umwelt oder der Arbeitsbedingungen von Seeleuten sind gemäss der ITF-Studie von 2019 – wenn überhaupt vorhanden – sehr schwach. So kommt die Untersuchung zum ernüchternden Schluss, dass der Nachweis dafür, dass «die Subventionen für die Seeschifffahrt ihre erklärten Ziele erreichen», sehr begrenzt ist.
…und die Schweiz will dennoch
Trotz all dieser Mängel ist der fiskalische «Wettlauf nach unten» zwischen den beteiligten Ländern in vollem Gang. Bob Michel vom Tax Justice Network bezeichnet die Tonnage Tax Regimes entsprechend als eine «lose-lose Situation», bei der es für keinen Staat mehr etwas zu gewinnen gibt. Nichtsdestotrotz will die Schweiz nun auch noch auf dieses sinkende Schiff aufspringen.
Erstmals Erwähnung fand diese indirekte Subvention in der Schweizer Politik bereits 2001 sowie 2007 im Kontext der Bürgschaftskredite für Hochseeschiffe, wurde damals aber vom Bundesrat als «nicht geeignet» eingestuft und deshalb verworfen. Seit dem Zweiten Weltkrieg führt die Schweiz eine Hochseeflotte unter eigener Flagge, die im Krisenfall zur Landesversorgung genutzt werden soll. Deshalb förderte der Bund den Erwerb von Hochseeschiffen durch einheimische Reedereien, seit den 1990er Jahren auch mittels Solidarbürgschaften.
Diese damals als unbedenklich eingeschätzte Fördermassnahme ging allerdings nach hinten los. Nach der Finanzkrise 2008 gerieten mehrere Reedereien in finanzielle Schieflage und deren Gläubiger baten den Bund zur Kasse. Bis Anfang August 2022 kostete das wirtschaftspolitische Experiment schätzungsweise 340 Millionen Franken.
Weiteres finanzpolitische Experiment
Ein Bericht der Finanzdelegation der eidgenössischen Räte von 2019 urteilte denn auch vernichtend über dieses Förderexperiment des Bundesrats und empfahl: «Hände weg von Solidarbürgschaften!». Dessen ungeachtet hält sich mit der Tonnage Tax ein weiterer, finanzpolitisch nicht weniger risikoreicher Anlauf zur Privilegierung dieses Schweizer Wirtschaftssektors vorerst noch knapp über Wasser.
Dies obwohl sich der Bundesrat 2013 bei der Ausarbeitung des Unternehmenssteuerreformgesetz III (USR III) erneut gegen die Tonnage Tax ausgesprochen hatte, da eine Mehrheit der Kantone diese als nicht prioritär erachtete. 2014 hievte der damalige Genfer CVP-Nationalrat Guillaume Barazzone, dessen Kanton besonders viele Rohstoffhändler und Reedereien beheimatet und die Vorlage deshalb befürwortete, die Steuer mittels einer Motion erneut aufs politische Parkett.
In seiner Botschaft zur USR III vom Juni 2015 beharrte der Bundesrat auf seiner Einschätzung und stufte die Tonnage Tax gar als verfassungswidrig ein. In einem vom Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) mandatierten Gutachten war Robert Danon, Professor für Schweizer und Internationales Steuerrecht an der Universität Lausanne, zum Schluss gekommen, dass eine solch branchenspezifische Massnahme nicht verfassungskonform sei, da sie die Rechtsgleichheit bei der Besteuerung verletzen würde.
Zudem zweifelte der Bundesrat an, ob es aufgrund der Tonnage Tax überhaupt zu Neuansiedlungen von Unternehmen und damit zu den erhofften Mehreinnahmen kommen würde, da verschiedene andere Staaten eine solche Steuer bereits seit längerem kennen. Nicht nur der Bundesrat fragt sich, welche Unternehmen – und woher – durch eine Schweizer Umsetzung angelockt werden sollen.
Verfassungswidrigkeit umstritten
Die Frage der Verfassungsmässigkeit liess dem Bundesrat keine Ruhe, weshalb das EFD ein weiteres Gutachten bestellte. Xavier Oberson, seinerseits Professor für Schweizer sowie Internationales Steuerrecht an der Universität Genf, kam kurz darauf wenig überraschend zum umgekehrten Schluss und bestätigte die Verfassungskonformität der Tonnage Tax – als fiskalische wie auch als ausserfiskalische Massnahme.
Seither gilt die Tonnage Tax in Bundesbern verfassungsrechtlich nur noch als «umstritten». Das Vorhaben wurde schliesslich aus der USR III ausgenommen und das Parlament beauftragte den Bundesrat, die Verfassungsgrundlage für eine Tonnage Tax nochmals zu prüfen, adäquate Gesetzesbestimmungen zu erarbeiten sowie eine Vernehmlassung durchzuführen, was dieser 2021 tat.
Die Vorlage stiess nun grösstenteils auf Zustimmung, vor allem seitens der Kantone und der bürgerlichen Parteien. Public Eye hatte das Vorhaben bereits damals in einer gemeinsamen Vernehmlassungsantwort mit Alliance Sud abgelehnt, da dies verfassungswidrige und unnötige Vorlage zu einem Steuerschlupfloch für Rohstoffhändler zu werden drohte. Auch der Branchenverband Suissenégoce, damals noch als Swiss Trading and Shipping Association, lehnte es in der damaligen Form ab, aber aus gegenteiligen Gründen: Für die Rohstoffhändler sei die Vorlage nur erschwert anwendbar und deshalb nur von geringer Bedeutung für die Branche, hiess es in der Stellungnahme. Besonders gestört hatte sich der Verband am Flaggenerfordernis, am zu engen Geltungsbereich sowie an der Berechnungsmethode.
Ein bestelltes Gesetz
Während der erläuternde Bericht des Bundesrats von 2021 noch ein Flaggenerfordernis enthielt, welches vorgab, dass 60% einer Flotte unter Schweizer, EU- oder EWR-Flagge fahren müsste, um von der Steuer zu profitieren, enthielt die Botschaft des Bundesrats von 2022 kein solches mehr. Begründet wurde dies mit der Unvereinbarkeit mit völkerrechtlichen Verträgen, konkret dem WTO-Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS, General Agreement on Trade in Services).
Neben der Streichung des Flaggenerfordernisses wurden in der Botschaft weitere Branchenanliegen berücksichtigt. Die Swiss Shipowners Association (SSA), der Schweizer Reedereiverband, hatte dem Bundesrat dafür eigens ein sogenanntes Weissbuch mit politischen Vorschlägen vorgelegt. Wie die Rundschau im November 2022 berichtete, wurden die dort versammelten Vorschläge inklusive der Berechnung der Tonnage Tax von der Schweizer Regierung eins zu eins übernommen. Auch bei den Daten zum Schifffahrtsstandort Schweiz stützt sich der Bund auf die im besten Fall fragwürdigen Verbandszahlen.
Steuerschlupfloch für Rohstoffhändler
Vordergründig geht es bei der Ausgestaltung also um die Stärkung des Schweizer Reedereistandorts. So ist die Tonnage Tax ein zentrales Element der im Juni 2023 vom Bundesrat verabschiedeten Maritimen Strategie. Wie in den meisten anderen Ländern soll der Anwendungsbereich auch in der Schweiz sehr breit sein. Das öffnet Rohstoffhändlern Tür und Tor, um konzerninterne Gewinne auf tonnagebesteuerte Schiffe zu verschieben. Das streitet der Bundesrat nicht etwa ab, sondern betont: «Indirekt können Rohstoffhandelsfirmen trotzdem von der Tonnagesteuer profitieren, wenn vermehrt in den maritimen Transport von Rohwaren investiert wird.»
Diese Befürchtung bestätigten Brancheninsider gegenüber dem Sonntagsblick. Die Tonnage Tax sei «eine der einfachsten Möglichkeiten, die Steuerlast zu verringern», denn die Händler würden den Ausbau ihrer Transportaktivitäten deshalb weiter vorantreiben. «Für Handelskonzerne mit grossen eigenen Flotten könnten sich erhebliche Steuerersparnisse ergeben, da sie ihre eigenen Verträge so umschichten werden, dass die Gewinne in den Schiffsbetrieb fliessen.»
Und über grosse Flotten verfügen sie. Unseren Schätzungen zufolge kontrollieren in der Schweiz ansässige globale Rohstoffhändler mindestens 2'200 Hochseeschiffe. Unter die hiesige Tonnagesteuer würden explizit auch all jene Schiffe fallen, die unter den bei Rohstoffhändlern üblichen Charterverträgen laufen. Gewisse Handelsfirmen bestätigten denn auch auf Anfrage, dass sie einer Anwendung der Schweizer Tonnagesteuer durchaus offen gegenüberstehen.
Fiskalischer Blindflug
Wie gross diese Gewinnverschiebungen und damit die Mindereinnahmen für den Fiskus sein könnten, weiss weder die Verwaltung noch der Bundesrat. So heisst es in der Botschaft von 2022: «Die finanziellen Auswirkungen einer Tonnagesteuer können mangels statistischer Daten nicht verlässlich geschätzt werden.» Mit der Tonnage Tax bahnt sich nach den Bürgschaftskrediten ein weiterer finanzpolitischer Blindflug an, den sich die Schweiz nicht leisten kann.
Zudem enthält die Vorlage – genau wie ihre internationalen Vorbilder – kaum ökologische Auflagen, welche die Unternehmen im Gegenzug erfüllen müssten. Wie deren Einhaltung kontrolliert werden soll, bleibt ebenfalls unklar. Ohne Flaggenerfordernis, stringente soziale und ökologische Kriterien und Kontrollen sowie ohne Belege für zu erwartende Mehreinnahmen ist diese dilettantische Vorlage politisch unhaltbar.
Leerstellen nicht geschlossen
Trotzdem stimmte ihr der Nationalrat im Dezember 2022 zu und weitete den Anwendungsbereich kurzerhand sogar noch auch auf Kreuzfahrtschiffe aus. Wenigstens dem Ständerat scheint die Sache mittlerweile suspekt zu sein. Nachdem die Debatte im Februar 2023 aufgrund vieler Unklarheiten von der ständerätlichen Kommission für Wirtschaft und Abgaben auf Oktober vertagt worden war, wurde sie schliesslich – fünf Tage vor den Parlamentswahlen – auf 2024 verschoben.
Der von der Verwaltung gelieferte Bericht zur Klärung der Unsicherheiten hätte die Leerstellen nicht befriedigend zu schliessen vermocht, hiess es in der Begründung für den erneuten Aufschub. Seit Anfang 2023 ist das heikle Geschäft nun in der Kommission des Ständerats hängig. Diese will die Vorlage an ihrer Sitzung vom 19. Februar 2024 nochmals prüfen.
Die als Förderinstrument getarnte Privilegierung der Rohstoffbranche könnte also doch noch Schiffbruch erleiden. Just dieser Hochrisikosektor, der in den letzten Jahren wegen Korruptionsbussen, der mutmasslichen Umgehung von Sanktionen sowie exzessiven Krisengewinnen nicht aus den Negativschlagzeilen kam, darf in der Schweiz nicht auch noch von zusätzlichen Steuererleichterungen profitieren. Nötig wären neben dem Verzicht auf die Tonnage Tax vielmehr eine Aufsicht über den Sektor, sowie eine angemessene rechtliche Grundlage zur Durchsetzung der dort regelmässig vernachlässigten Sorgfaltspflichten.