Ihr Name ist Kohle
Adrià Budry Carbó und Robert Bachmann, 7. November 2022
Im Gegensatz zum schmierigen Cousin Erdöl ist Kohle nicht besonders glamourös. Der Rohstoff erinnert weder an die grossen Vermögen, die auf Petrodollar gebaut wurden, noch an die geopolitischen Intrigen, sondern an die Schattenseiten der industriellen Revolution. Dennoch wurde die Kohle nicht in die Geschichtsbücher verbannt. Im Gegenteil: Noch nie wurde so viel Kohle abgebaut, transportiert und verbraucht wie im Jahr 2022, in dem die Produktion die symbolische Marke von 8 Milliarden Tonnen überschreiten dürfte. Das sind 72% mehr als zu Beginn des neuen Jahrtausends. Dies veranlasst den französischen Wissenschaftshistoriker Jean-Baptiste Fressoz in seinem Vortrag «Une histoire politique du CO₂» zu der Aussage: «Es hat nie eine Energiewende gegeben.»
Das Bevölkerungswachstum, die Elektrifizierung und die chaotischen Energiemärkte sichern König Kohle eine rosige Zukunft. Mit der Finanzialisierung und Internationalisierung des Kohlemarktes hat die Schweiz wieder einmal ein gutes Geschäft gemacht, denn seit Anfang der 2000er-Jahre haben grosse Bergbaukonzerne ihre Sitze in Zug, Genf und Lugano installiert.
«Und warum sollte man darauf verzichten? Kohle ist die billigste und am häufigsten vorkommende fossile Energie auf der Erde. Sie ist unumgänglich, um ein Viertel der Menschheit aus der Energiearmut zu befreien», argumentiert ein Händler, der sich bereit erklärt hat, für diesen Fachbericht, der ein Jahr Recherche erforderte, mit Public Eye über seine Arbeit zu sprechen.
Das entwicklungspolitische Argument kann nicht einfach vom Tisch gewischt werden. Die Elektrifizierung eines Teils des afrikanischen Kontinents und der südasiatischen Länder bleibt eine grundlegende Herausforderung im Kampf gegen den wirtschaftlichen Abschwung. Aber man darf sich auch nicht täuschen lassen: Kohle ist der Rohstoff mit dem schlechtesten Verhältnis zwischen produzierter Energie und Umweltverschmutzung. Der Rohstoff ist für 40% des Anstiegs der Kohlendioxidemissionen (CO₂) verantwortlich.
Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen sollten daher vermeiden, in die gleichen Fallen wie Europa zu tappen, indem sie sich langfristig an den Russ binden, dessen Auswirkungen auf das Klima verheerend sind. Und Staaten wie die Schweiz, die sich auf der Konferenz in Glasgow 2021 für einen weltweiten Kohleausstieg eingesetzt haben, haben ebenfalls eine Verantwortung zu tragen.