Wenn Rohstoffhändler erwischt werden

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Chiquita und die kolumbianischen Paramilitärs

Betroffene Unternehmen / Personen: Chiquita Brands International, INC. (USA), Chiquita Fresh North America LLC. (USA)

Vorwürfe: Finanzierung einer auf der Sanktionsliste der US-Finanzbehörde stehenden terroristischen Organisation, Verletzung des Alien Tort Claims Act und des Torture Victims Protection Act, Finanzierung der Morde an acht Kolumbianer*innen

Schweizer Anwält*innen: keine

Schauplätze des Geschehens: Kolumbien, Schweiz (nach der Ansiedelung von Chiquita im Jahre 2008)

Schauplätze der Verfahren: USA, Kolumbien

Verfahrensstand:

  • USA: Strafurteil im Jahr 2007: Busse in Höhe von 25 Millionen US-Dollar; Zivilurteil im Jahr 2024: Zahlung von 38,3 Millionen US-Dollar an die Familien von acht Opfern (Chiquita hat bereits Berufung angekündigt)
  • Kolumbien: pendent

Wiedergutmachung: Keine

Der Fall

Das Geschick von Chiquita ist eng mit der blutigen Geschichte Lateinamerikas verbunden. 1928 schaltet die damals unter dem Namen United Fruit Company bekannte Firma Polizei und Armee Kolumbiens ein, um den Protest der 25’000 Mitarbeitenden niederzuschlagen, die für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Hunderte Personen werden in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember im sogenannten «Bananenmassaker» erschossen. 1954 gelingt es der United Fruit Company, die sich von einer Agrarreform in Guatemala bedroht sieht, Washington dazu zu bringen, den amtierenden Präsidenten Jacobo Arbenz zu stürzen. Der von der CIA gesteuerte Militärputsch löst einen 36-jährigen Bürgerkrieg aus, der rund 200’000 Opfer fordert.

1989 beschliesst der Konzern, sein Image zu ändern und nimmt den Namen seines Maskottchens «Chiquita» an. Doch das Unternehmen ist in Kolumbien auf schwierigem Terrain unterwegs und wird rasch in den blutigen Konflikt einbezogen, der das Land seit 1964 im Griff hat. Da die Region Antioquia von den Rebellen der Farc (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) und der ELN (Nationale Befreiungsarmee) gehalten wird, beginnt Chiquita Zahlungen an die linksgerichteten Guerillas zu leisten. Doch 1997 wechselt die Herrschaft über das Gebiet und der multinationale US-amerikanische Konzern wechselt die Seiten. In den Folgejahren leistet er rund einhundert Zahlungen in Höhe von insgesamt 1,7 Millionen US-Dollar an die paramilitärische Gruppe Autodefensas Unidas de Colombia (AUC, Vereinigte Bürgerwehren Kolumbiens). Diese paramilitärische Gruppe ist dafür berüchtigt, Zivilpersonen in Nacht-und-Nebelaktionen zu kidnappen, die dann irgendwann als verstümmelte Leichname von den Familien entdeckt werden.

In den von ihnen besetzten Gebieten terrorisieren die AUC-Kräfte die lokalen Gemeinschaften, erpressen Schutzgelder oder stehlen ihr Land, um es reichen Kolumbianer*innen oder ausländischen Firmen zu schenken. Landwirt*innen, Gewerkschafter*innen, Afrokolumbianer*innen oder Indigene werden ermordet, während die Paramilitärs der AUC Gegenstimmen zum Schweigen bringen und sich dem Drogenhandel widmen.

Ehemaligen Kadern von Chiquita in Kolumbien und internen Aufzeichnungen zufolge waren zahlreiche Führungskräfte und Direktor*innen des multinationalen Konzerns über die Schutzgeldzahlungen unterrichtet und haben diese bewilligt. Einige von ihnen haben sogar entsprechende Zahlungssysteme entwickelt und sich persönlich mit AUC-Kräften abgesprochen, um die Details abzustimmen. Chiquita gab diese Tatbestände im März 2007 zu und zahlte eine Geldbusse von 25 Millionen US-Dollar, verneinte jedoch stets, um die endgültige Verwendung dieser Gelder gewusst zu haben.

Bis zum heutigen Tage wurde keine einzige Führungskraft von Chiquita belangt. Und keine einzige der Familien der Opfer erhielt die geringste Entschädigung. Eine Gruppe von 17 betroffenen Familien, angeführt von der NGO EarthRights International, kämpft jedoch seit zwei Jahrzehnten darum, dass der multinationale Konzern seine Mitverantwortung für den Tod ihrer Angehörigen anerkennt. Mehr als 4’000 Kläger*innen haben sich in den USA unterdessen Klagen angeschlossen. Darüber hinaus wurden im Jahr 2018 in Kolumbien Verfahren gegen 13 ehemalige Führungskräfte von Chiquita eingeleitet.

Der Konzern Chiquita, der sich 2008 am Genfersee niedergelassen hat, hat 16 Jahre lang versucht, die gegen ihn angestrengten Klagen niederzuschlagen. Der Konzern behauptet, in Kolumbien erpresst worden zu sein, und nur bezahlt zu haben, um seine eigenen Angestellten zu schützen, die von paramilitärischen Gruppen bedroht wurden. Die Unklarheit über die Umstände der Morde zog die Verfahren zusätzlich in die Länge. Chiquita argumentiert, dass es für die Kläger*innen unmöglich sei, zu beweisen, dass ihre Angehörigen von der AUC getötet worden seien, da es im Land viele konkurrierende gewalttätige Gruppen gab.

Im Juni 2024 wurde Chiquita bei einem Prozess in Florida für die Finanzierung von acht von der AUC verübten Morden verantwortlich gemacht. Der multinationale Konzern, der Berufung einlegen wird, behauptet, in dieser Angelegenheit erpresst worden zu sein. Sein Anwalt sagt, Kosten zu sparen und das Weite zu suchen sei keine Option gewesen.

Schlüsseldokumente

Chronologie

Datum

Ereignis

Quelle

1987Banadex, die kolumbianische Tochtergesellschaft von Chiquita (damals United Fruit Company), versorgt linksgerichtete Guerillaorganisationen wie die Farc und die ELN mit erheblichen Finanzmitteln. Diese Zahlungen erstrecken sich über ein Jahrzehnt.Time
1989Die United Fruit Company wird in Chiquita umbenannt und führt eine Politik der sozialen und ökologischen Verantwortung (CSR) ein, die seit Anfang der 1990er Jahre von der gemeinnützigen Organisation Rainforest Alliance zertifiziert wird.Britannica
1997-2004Als es den Paramilitärs der Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) gelingt, die Guerilleros aus den Bananenanbaugebieten zu vertreiben, wechselt Chiquita die Seiten. Die Gruppe leistet über hundert Zahlungen an die AUC im Gesamtwert von über 1,7 Millionen US-Dollar. Diese paramilitärische Gruppe, die vom US-Aussenminister als terroristische Organisation eingestuft wurde, ermordet Tausende von Zivilist*innen in den Bananenanbaugebieten, in denen Chiquita aktiv ist.

Chiquita entledigt sich seiner kolumbianischen Tochtergesellschaft Banadex.
US Department of Justice
19. März 2007Chiquita Brands International wird von einem US-amerikanischen Strafgericht zu einer Geldstrafe von 25 Millionen US-Dollar verurteilt. Dies ist damals die höchste Geldbusse, die jemals in den USA für Verstösse gegen Sanktionen zur Bekämpfung des globalen Terrorismus verhängt wurde. Der Konzern mit einem Umsatz von 4,5 Milliarden US-Dollar räumt seine Schuld ein, sagt aber, er sei erpresst worden und habe «diese Zahlungen nur geleistet, um das Wohlergehen und das Leben seiner Angestellten zu schützen».US Department of Justice
14. November 2007Im Zuge der Verurteilung reichen 17 kolumbianische Familien, vertreten durch die NGO EarthRights International, in den USA Klage gegen Chiquita Brands International wegen ihrer Rolle bei der Finanzierung der Paramilitärs ein. Tausende weiterer Kläger*innen schliessen sich im Laufe der Jahre an. Business & Human Rights
2008Das aus den USA stammende Unternehmen Chiquita lässt sich in Rolle im Kanton Waadt nieder. Der internationale Hauptsitz wird später nach Etoy VD verlegt. Dort sind 100 Mitarbeitende beschäftigt.Waadtländer Wirtschafstdepartement
27. März 2012Klagen, die in den USA nach kolumbianischem Recht eingereicht werden, werden nach dem Alien Tort Statute (ATS), einem US-amerikanischen Bundesgesetz, das internationale Menschenrechtsstandards einbezieht, als zulässig erachtet. Ein Gericht in Florida nimmt sich des Falls anEarth Rights International
2014Der brasilianische Konzern Cutrale (mit Handelsabteilung in Lausanne) und der Investmentfonds Safra Group erwerben Chiquita für 682 Millionen US-Dollar. Chiquita wird von der New Yorker Börse genommen und veröffentlicht seither kaum noch Finanzinformationen.Reuters
23. Juni 2016Nach langen Verhandlungen unterzeichnen die Regierung von Juan Manuel Santos und der Farc-Vertreter Timoleón Jiménez in Havanna, Kuba, einen bilateralen und endgültigen Waffenstillstand.Wola
November 2016Nach einem neunjährigen Rechtsstreit über die Territorialität der Sachverhalte und die Kausalität zwischen den Zahlungen und der Ermordung der Angehörigen der Kläger*innen bestätigt Bundesrichter Kenneth Marra die Zuständigkeit der US-amerikanischen Gerichtsbarkeit. Cohen Milstein
19. Mai 2017Eine Koalition aus kolumbianischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen fordert den Internationalen Strafgerichtshof auf, gegen 14 Führungskräfte und Angestellte von Chiquita (von denen einige nach wie vor im Amt sind) zu ermitteln. Der Gegenstand: ihre mutmassliche Beteiligung an der Erleichterung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Finanzierung paramilitärischer Organisationen. 2018 findet eine vorläufige Untersuchung statt. Business & Human Rights
15. März 2023Nach 16 Jahren juristischem Hin und Her wird der Prozess gegen Chiquita für Anfang 2024 angekündigt. «Der Konzern Chiquita hat Todesschwadronen finanziert, die Tausende von Menschen ermordet haben, und obwohl er zugegeben hat, eine Straftat nach Bundesrecht begangen zu haben, hat er nie die Familien entschädigt, die durch sein illegales und abscheuliches Verhalten zerbrochen sind», erklärt Marco Simons, Anwalt bei EarthRights International.Business & Human Rights
10. Juni 2024Chiquita wird von einem Gericht in West Palm Beach, Florida, in acht von neun untersuchten Morden für verantwortlich erklärt. Der multinationale Schweizer Konzern wird zur Zahlung von 38,3 Millionen US-Dollar Schadenersatz an die Familien der Opfer verurteilt. 

Der Konzern Chiquita will gegen diesen Entscheid Berufung einlegen und versichert, es gebe  «keine gesetzliche Grundlage für die Klagen».
BBC

Lücken und Schwächen der Rechtsordnung 

  • Rohstoffproduzenten, die in Gebieten tätig sind, in denen Gewalt und Erpressung herrschen, werden dadurch de facto involviert
  • Mangelnde Kontrolle der Wahrung von rechtlichen Mindeststandards auf Gruppenebene sowie des Verhaltenskodex
  • Langwieriges Verfahren zur Anerkennung der territorialen Zuständigkeit der Justiz und der Verantwortung des Unternehmens
  • Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler