Wenn Rohstoffhändler erwischt werden
SchliessenDas geheime Öl von Gunvor in Ecuador
Betroffene Unternehmen / Personen: Gunvor SA (Schweiz) / Raymond K., Antonio und Enrique Peré Ycaza, Nilsen Arias Sandoval, Javier Aguilar
Vorwürfe: Bestechung ausländischer Amtsträger (Art. 322septies StGB) in Zusammenhang mit Organisationsmängeln (Art.102 StGB) / Verletzung des Foreign Corrupt Practices Act (USA)
Schweizer Anwält*innen: Benjamin Borsodi und Charles Goumaz (Schellenberg Wittmer, Genf)
Schauplätze des Geschehens: Ecuador, Schweiz
Schauplätze der Verfahren: USA (Department of Justice, DoJ), Schweiz (Bundesanwaltschaft, BA), Ecuador (Fiscalía General del Estado)
Verfahrensstand:
- DoJ: Schuldanerkenntnis, 661 Millionen US-Dollar (darunter 287 Millionen US-Dollar Geldbusse). Hiervon können die in der Schweiz und in Ecuador gezahlten Bussen teilweise abgezogen werden.
- BA: 86,7 Millionen Franken (davon 4,3 Millionen Franken Geldbusse)
- Fiscalía General del Estado: 93,6 Millionen US-Dollar
Wiedergutmachung: keine
Der Fall
Wäre die Geschichte der ecuadorianischen Ölförderung nicht so tragisch, hätte man den Fall «Die Kunst, sich unentbehrlich zu machen» nennen können. Während in fast ganz Lateinamerika ein neuer Wind weht, verkündet Präsident Rafael Correa 2009, dass das von den internationalen Märkten geächtete Ecuador «strategische Allianzen» mit befreundeten Ländern eingehen werde, um sein Rohöl abzusetzen. Durch umfangreiche Vereinbarungen zur Vorfinanzierung – die mit den asiatischen Staatsunternehmen Unipec, Oman Trading International und PetroThailand (PTT) oder Ancap aus Uruguay abgeschlossen wurden – sichert sich die Regierung des jungen Ökonomen Kredite, die mit zukünftigen Lieferungen von Rohöl der im Amazonasgebiet geförderten Sorten Napo und Oriente im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar zurückgezahlt werden sollen.
Diese Beziehung zwischen willigen Staaten ist in Wirklichkeit eine Dreiecksbeziehung. Um günstiger an Rohöl zu kommen, geht Gunvor ein Bündnis mit den Vertriebstöchtern der Staatsunternehmen ein und streckt ihnen die Petroecuador gewährten Vorfinanzierungen im Austausch gegen Rohöl vor. Die gleichen Tochtergesellschaften verkaufen die Ware an Gunvor auf der Grundlage eines neuen Vertrags, der zu ähnlichen Bedingungen (gleiche Mengen und gleicher Preis) abgeschlossen wird. Anstatt es zur Raffinierung nach Asien zu bringen, wird das Rohöl von dem Genfer Händler zu Häfen in den USA oder Peru transportiert, wo er einen saftigen Gewinn einstreicht. All dies, ohne jemals den Zuschlag in einer Ausschreibung erhalten zu haben.
Um diese Vereinbarungen zu «erleichtern», zahlt Gunvor lokalen Beratern, den Gebrüdern Peré, 91,8 Millionen US-Dollar an Provisionen. Ein Teil dieser Gelder dient zum Schmieren ecuadorianischer Amtsträger. Alarmiert durch den ehemaligen Petroecuador-Gewerkschafter Fernando Villavicencio, ermitteln die Staatsanwälte des US-Justizministeriums seit 2012 gegen Gunvor, ein Unternehmen, dem eine gewisse Nähe zu Putin nachgesagt wird und das damals mit einem Paukenschlag auf den lateinamerikanischen Markt drang. Doch erst Jahre später liess sich Raymond K., ein Mittelsmann von Gunvor (von 2009 bis 2019), zu Indiskretionen über Bestechungsgelder hinreissen, die im Auftrag von Gunvor gezahlt wurden. Sein Pech: Das FBI zeichnete diese Gespräche auf.
Für Ecuador sind diese von Gunvor unter der Hand erzielten Vereinbarungen, die am Rande der Legalität durchgeführt wurden und bei denen eine Handvoll Personen reichlich entlohnt wurden, eine Katastrophe. Seit Rafael Correa an die Macht gekommen ist, hat sich die Verschuldung des Landes immer weiter erhöht, während immer tiefer im Amazonas-Regenwald nach Rohöl gebohrt wird. In einer seiner letzten Untersuchungen im Jahre 2022 schätzte Fernando Villavicencio die entgangenen Gewinne aus diesen Vorfinanzierungsverträgen, die weit unter Marktpreis abgeschlossen wurden, auf 4,8 Milliarden US-Dollar. Fernando Villavicencio wurde am 9. August 2023 ermordet, als er sich mitten im Präsidentschaftswahlkampf befand und sich viele Feinde gemacht hatte, weil er die Korruption anprangerte, an der die Institutionen seines Landes kranken.
Anfang 2024 jagt in Brooklyn (USA) im Rahmen des Prozesses gegen einen ehemaligen Vitol-Manager, eine Enthüllung über die in Ecuador involvierten Netzwerke und Firmen die nächste. Sowohl Gunvor als auch seine Konkurrenten Vitol und Trafigura sollen staatliche Unternehmen als Deckmantel benutzt haben, wobei sie über dieselben ecuadorianischen Mittelsmänner – die Peré-Brüder – die Schlüsselfiguren des ecuadorianischen Ölgeschäfts schmierten. Nilsen Arias Sandoval, Leiter der Abteilung für internationalen Handel bei Petroecuador bis 2017, wurde von der US-Justiz vernommen. José Agusto Briones, Energieminister unter dem Nachfolger von Rafael Correa, wurde am 23. Mai 2021, fünf Wochen nach seiner Verhaftung, tot in seiner Zelle aufgefunden. Die mit der US-Justiz abgestimmte Verurteilung von Gunvor wegen Organisationsmängeln im Zusammenhang mit Korruption durch die Schweizer Bundesanwaltschaft erging nach Abschluss des Prozesses am 1. März 2024.
Schlüsseldokumente
- US-Justizministerium: Commodities Trading Company Will Pay Over $661M to Resolve Foreign Bribery Case (01.03.2024)
- BA: GUNVOR SA wegen strafrechtlicher Verantwortlichkeit in Zusammenhang mit Korruptionsdelikten in Ecuador verurteilt (01.03.2024)
Chronologie
Datum | Ereignis | Quelle |
2009-2017 | Die von den internationalen Gläubigern boykottierte Regierung von Rafael Correa schliesst umfangreiche Vereinbarungen über Vorfinanzierungen (Kredite gegen künftige Rohöllieferungen) mit asiatischen und lateinamerikanischen Staatsunternehmen ab. Ein Teil des billigen Öls gelangt jedoch in die Hände der Rohstoffhändler Gunvor und Vitol, die hinter den Kulissen die Fäden ziehen. | Public Eye |
2012-2020 | Gunvor wird von der US-Justiz verdächtigt, in diesem Zeitraum mindestens 70 Millionen US-Dollar (der Betrag belief sich schliesslich auf 91,8 Millionen US-Dollar) an zwei Mittelsmänner gezahlt zu haben, um Lieferungen von der staatlichen Ölgesellschaft Petroecuador zu erwirken. Von diesem Betrag landeten mindestens 22 Millionen US-Dollar in den Taschen hochrangiger ecuadorianischer Amtsträger. | US Department of Justice |
18. Februar 2018 | Raymond K., ein damaliger Angestellter von Gunvor, wird ohne sein Wissen vom FBI mitgeschnitten, als er in einem Nobelrestaurant in Miami mit zwei ecuadorianischen Mittelsmännern über Bestechung diskutiert. Der kanadische Staatsbürger plaudert aus dem Nähkästchen über die brisante Frage der Verantwortungskette innerhalb des Genfer Handelshauses. | US Department of Justice |
14. Oktober 2019 | Gunvor wird in der Schweiz wegen «Organisationsmängeln» im Zusammenhang mit Korruption in Kongo-Brazzaville und der Elfenbeinküste verurteilt. Um einen Prozess zu vermeiden, räumt das Handelshaus seine Schuld ein und erklärt sich bereit, knapp 94 Millionen Franken zu zahlen, davon 4 Millionen Franken Geldbusse. In ihrem Strafbefehl kommt die Schweizer Justiz zu dem Schluss, dass das Handelsunternehmen «weder über ein Compliance-Programm» noch «über interne Revisionsstrukturen verfügte und {dass} kein Mitarbeiter dafür zuständig war, Korruptionsrisiken zu identifizieren, zu analysieren oder zu reduzieren». |
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3. Dezember 2020 | Im Rahmen einer Vereinbarung mit dem US-amerikanischen Justizministerium (DoJ) über die Einstellung der Strafverfolgung räumt Vitol ein, in Brasilien, Mexiko und Ecuador Bestechungsgelder gezahlt zu haben, und verpflichtet sich, 164 Millionen US-Dollar Wiedergutmachung zu zahlen. Vitol und Gunvor nutzten in Ecuador die gleichen Schmiergeldnetzwerke. | US Department of Justice |
6. April 2021 | Raymond K. bekennt sich der Mitwirkung an Taten schuldig, die durch die US-Staatsanwälte als «der Bestechung und Geldwäsche dienende Machenschaften» bezeichnet werden, um Rohöllieferungen von der staatlichen Ölgesellschaft Petroecuador zu erhalten. | Reuters |
30. Juni 2021 | Die Bundesanwaltschaft eröffnet eine Untersuchung gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Bestechung ausländischer Amtsträger im Zusammenhang mit dem ecuadorianischen Ölmarkt. | Bundesanwaltschaft |
25. August 2023 | Gunvor teilt mit, Rückstellungen von bis zu 650 Millionen US-Dollar gebildet zu haben, um die Zahlung einer möglichen US-Geldbusse im Ecuador-Skandal sicherzustellen. | Reuters |
Januar- Februar 2024 | In Brooklyn (USA) wird der Prozess gegen Javier Aguilar eröffnet. Der ehemalige Vitol-Manager plädiert auf nicht schuldig, andere Angeschuldigte sind jedoch bereit auszupacken und erläutern detailliert das zur Zahlung von Bestechungsgeldern an mexikanische und ecuadorianische Beamte eingerichtete System. Vitol, Trafigura und Gunvor scheinen die gleichen Mittelsmänner und Vorgehensweisen genutzt zu haben, um Erdöllieferungen zu Billigpreisen zu erhalten. | US Department of Justice |
1. März 2024 | Das DoJ verkündet die Verhängung einer Strafe von 661 Millionen US-Dollar gegen Gunvor. Der Rohstoffhändler gesteht seine Schuld in einem betrügerischen System ein, das knapp ein Jahrzehnt lang angedauert und ihm 384 Millionen US-Dollar an unrechtmässigen Gewinnen eingebracht hat. Parallel dazu verurteilt die Bundesanwaltschaft Gunvor zu einer Geldbusse von 4,3 Millionen Franken und einer Ersatzforderungssumme von 82,3 Millionen Franken. Sie konzentriert sich auf Geldbewegungen über in der Schweiz ansässige Bankinstitute und zeichnet korrupte Zahlungen in Höhe von 7,5 Millionen US-Dollar zwischen 2013 und 2020 nach. Von der Geldbusse in den USA können die allenfalls in der Schweiz und in Ecuador bezahlten Beträge abgezogen werden. |
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11. Juni 2024 | Gunvor erzielt eine gütliche Vereinbarung mit der ecuadorianischen Justiz. Das Handelshaus zahlt 93,6 Millionen US-Dollar als Ausgleich an die ecuadorianische Staatskasse. | El Universo |
Lücken und Schwächen der Rechtsordnung
- Ölbesicherte Vorfinanzierungen: Eine Praxis, die zahlreiche Korruptions- und Untreuerisiken birgt
- Verschleierung der Verantwortung durch Einschaltung von Mittelsmännern für die Zahlung von Bestechungsgeldern
- Systematische Bestechung als Organisationsproblem
- Tätigkeit in einem Land mit nicht funktionsfähigen Institutionen, das an Drogenhandel und Gewalt krankt und nicht in der Lage ist, Zeug*innen und Whistleblower*innen zu schützen
- Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler