Wenn Rohstoffhändler erwischt werden

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Die Versprechen von Swiss International Commodity

Betroffene Unternehmen / Personen: Swiss International Commodity AG (Schweiz)

Vorwürfe: Betrug

Schweizer Anwält*innen: Adrian Bürgi, Pfäffikon SZ

Schauplatz des Geschehens: Schweiz

Schauplätze der Verfahren: Schweiz (Eidgenössische Finanzmarktaufsicht, Staatsanwaltschaft Zug, Kantonsgericht Zug); Deutschland (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Staatsanwaltschaft Ingolstadt, Staatsanwaltschaft Frankfurt); Österreich (Finanzmarktaufsicht)

Verfahrensstand:

  • Eidgenössische Finanzmarktaufsicht: Untersuchung abgeschlossen, Ergebnisse nicht öffentlich
  • Finanzmarktaufsicht: pendent
  • Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: pendent
  • Staatsanwaltschaft Zug: Abgabe des Verfahrens
  • Kantonsgericht Zug: Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse
  • Staatsanwaltschaft Ingolstadt: pendent
  • Staatsanwaltschaft Frankfurt: pendent

Wiedergutmachung: keine

Der Fall

«Globale Krisen als erfolgreiches Geschäftsmodell» - So umwarb die Zuger Swiss International Commodity AG (SIC AG) im Jahr 2021 Privatanleger*innen.

Das klingt unsympathisch. Und war es auch.

Schon die Anfänge von SIC AG waren speziell: Im Jahr 2020 entschied sich die Cateringfirma Introfoods AG, fortan als SIC AG mit Rohstoffen zu handeln. Sie erhöhte ihr Stammkapital von 6 auf 90 Millionen Franken, im Wesentlichen durch die Einlage von Anteilen am türkischen Kraftstoffhändler Lusso Petrolcülük Dagitim A.S. Ob die Anteile tatsächlich so viel wert waren, ist nicht nachvollziehbar.

Mitte Juni 2020 meldete die SIC AG über einen bezahlten Nachrichtendienst, dass sie am 8. Mai 2020 eine Zulassung der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erhalten habe, «Investoren und privaten Anlegern ihre Aktien und Aktienanleihen in Form von festverzinslichen Wertpapieren zu offerieren».

Am 12. April 2021 veröffentlichte SIC AG eine Erfolgsmeldung zu ihrer Strategie, türkischen Tankstellen Benzin und Diesel direkt und lukrativ zu liefern. Das Unternehmen zitierte dabei auch seinen CEO, einen Schweizer Anwalt. Am 28. April 2021 trat er zurück.

Auch am 11. Oktober 2021 vermeldete die SIC AG Rekordergebnisse für die türkische Tochter – allerdings sei deren Bilanz nicht geprüft.

Die Angaben lassen sich heute kaum mehr überprüfen: Das Unternehmen ist in Liquidation, die Website ist gelöscht. Der türkische Verwaltungsratspräsident ist unauffindbar.

Stattdessen finden sich Berichte zu getäuschten Investor*innen: Die SIC habe über die sozialen Medien und über sogenannte Cold Calls, also unerbetene Anrufe aus dem Nichts heraus, Anleger*innen angelockt und überzeugt, Aktien und Anleihen zu erwerben. Nach dem für Ende 2021 geplanten Börsengang werde der Kurs auf das Dreifache oder mehr steigen.

Dieses unrealistische Versprechen war gemäss den Berichten nicht das einzige Warnsignal: Das Geld sei auf ausländische Konten einer anderen Gesellschaft zu überweisen gewesen. Ausserdem hätten SIC-Mitarbeitende die Anleger*innen aufgefordert, ihnen direkten Zugriff auf ihre Computer und damit auf ihre Konten zu geben. 

Am 21. Dezember 2021 wurde der Börsengang dann überraschend abgesagt. Stattdessen meldete die SIC AG am 5. Januar 2022, dass die türkische Mineralölgesellschaft Sanoil die SIC AG kaufen wolle. In derselben Meldung sagte sie allerdings auch, dass die Sanoil nicht die SIC AG, sondern deren Tochter Lusso kaufen wolle. Beides ist nicht miteinander vereinbar. Die SIC AG drängte die Anleger jedoch zu weiteren Käufen: Nur Aktionär*innen, die eine bestimmte Mindestanzahl von Aktien hielten, dürften diese Aktien an die Sanoil verkaufen —mit einem grossen Gewinn, wie es hiess.

Ab Februar 2022 kam es Schlag auf Schlag: Die BaFin und die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) warnten. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) setzte einen Untersuchungsbeauftragten ein. Die Zuger Staatsanwaltschaft ermittelte, gab das Verfahren aber bereits im Frühling 2022 nach Ingolstadt in Deutschland ab. Inzwischen wird in Frankfurt ermittelt.

Am 4. August 2022 wurde in Zug das Konkursverfahren über die SIC AG eröffnet und am 14. Februar 2023 mangels Aktiven eingestellt.

Die geprellten Anleger*innen haben nie mehr etwas von ihrem Geld gesehen.

Schlüsseldokument

Chronologie

Datum

Ereignis

Quelle

28. November 2003Gründung der Introfoods AG in Zug als Cateringfirma.Moneyhouse
20. Februar 2020Umfirmierung in Swiss International Commodity AG (SIC AG). Neuer Gesellschaftszweck ist der Rohstoffhandel.Moneyhouse
16. Juni 2020Pressemitteilung der SIC, sie habe am 8. Mai 2020 eine Zulassung der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erhalten, Investor*innen und privaten Anleger*innen ihre Aktien und Aktienanleihen in Form von festverzinslichen Wertpapieren zu offerieren. Sie plane, selbst Land für Fracking in Texas zu erschliessen.Meldung online nicht verfügbar
30.  November 2020Erhöhung des Kapitals von 6 auf 90 Millionen Franken durch Übertragung von Anteilen an der türkischen Lusso Petrolcülük Dagitim A.S.Handelsregister
Datum unklarDie SIC AG verkauft Aktien und Anleihen an Privatanleger*innen mit dem Versprechen, beim bevorstehenden Börsengang ca. das Dreifache einzunehmen.SGK
12. April 2021Eine Pressemitteilung der SIC AG vermeldet 400% Wachstum des türkischen Tankstellennetzes.Pressemitteilung
11. Oktober 2021Die SIC AG veröffentlicht eine Meldung zu einem «Rekord-Halbjahresergebnis 2021».OpenPR
22. November 2021Die SIC AG lanciert eine Pressemeldung zur Verdoppelung der Jahreserlöse.OpenPR
21. Dezember 2021Die SIC AG sagt den Börsengang ab.SGK
5. Januar 2022Die SIC AG informiert über ein Übernahmeangebot der Sanoil. Nur Aktionär*innen mit einer Mindestzahl von Aktien könnten teilnehmen.Pressemeldung SIC
7. Februar 2022Publikation der BaFin wegen des Verdachts eines fehlenden Verkaufsprospekts.BaFin
Frühling 2022Die Zuger Staatsanwaltschaft gibt ihr Verfahren an die Staatsanwaltschaft im bayerischen Ingolstadt ab.Zentralplus
26. April 2022Untersuchungsverfahren der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA)Moneyhouse
6. Mai 2022Die Finanzmarktaufsicht in Österreich veröffentlicht eine Mitteilung, wonach die SIC AG ihren Pflichten nicht nachgekommen sei.FMA
4. August 2022Auflösung der Gesellschaft, Anordnung der Liquidation.Moneyhouse
14. Februar 2023Einstellung des Konkursverfahrens mangels Aktiven.Moneyhouse
20. März 2023Beendigung des Mandats des Untersuchungsbeauftragten der FINMA. Die Ergebnisse der Untersuchung sind nicht öffentlich.Moneyhouse
10. Dezember 2023Gemäss einem Pressebericht ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main.Zentralplus

Lücken und Schwächen der Rechtsordnung

  • Schwächen bei der Kontrolle der Bewertung von Sacheinlagen im Rahmen von Kapitalerhöhungen
  • Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler