Wenn Rohstoffhändler erwischt werden

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Vitol und die kalifornische Ölraffinerie

Betroffene Unternehmen / Personen: Vitol, Inc. (USA); SK Energies Americas, Inc. (USA), SK Trading International Co., Ltd. (USA)

Vorwürfe: Kartellbildung, unlauterer Wettbewerb; Schädigung von Konsument*innen 

Schweizer Anwält*innen: keine

Schauplatz des Geschehens: USA

Schauplätze der Verfahren: USA (State of California Department of Justice – Office of the Attorney General, United States District Court for the Northern District of California)

Verfahrensstand:

  • Office of the Attorney General: Vergleichszahlung von Vitol, Inc. (USA), SK Energies Americas, Inc. (USA) und SK Trading International Co., Ltd. (USA) von insgesamt 50 Millionen US-Dollar; gerichtliche Genehmigung des Vergleichs steht aus.
  • United States District Court for the Northern District of California: Eine zivilrechtliche Gruppenklage von Endkonsument*innen wurde ebenfalls beigelegt, keine Details verfügbar

Gewinnabschöpfung / Restitution: keine

Der Fall

Am 8. Februar 2015 erschütterte eine Explosion die Raffinerie von ExxonMobil in Torrance, Kalifornien. Flammen schossen hoch, Asche regnete vom Himmel.

Die Raffinerie hatte ca. 10% des Benzins für Kalifornien produziert. Der Ersatz war schwierig, da der Bundesstaat im Westen der USA vom übrigen Öl- und Benzinmarkt des Landes abgeschnitten ist. Die Benzinpreise schnellten in die Höhe.

Zum Glück konnten Vitol Inc. und die US-Unternehmen SK Energy Americas, Inc. und SK Trading International Co., Ltd. (zusammen: «SK») in die Bresche springen. Vitol Inc. gehört zur Vitol-Gruppe, deren Hauptsitze in Rotterdam und Genf sind.

Die Unternehmen sagten die Lieferung von Benzin zu einem variablen Preis zu («floating price»). . 

Ende gut – alles gut?

Nicht ganz, findet der kalifornische Generalstaatsanwalt.

Er sieht es so: Die für den Benzinhandel zuständigen Trader bei Vitol Inc. und SK hatten zuvor bei Vitol miteinander gearbeitet. Die beiden hätten kurz vor der Explosion eine Zusammenarbeit vereinbart, um den aktuellen Tagespreis («Spot Price») für Benzin in Kalifornien in die Höhe zu treiben. Allerdings sei der Markt gesättigt gewesen, die Preise niedrig. Die Explosion habe dann die Karten neu gemischt.

In der Folge hätten die Beteiligten die Besonderheiten des kalifornischen Benzinmarktes ausgenutzt: Für den Rest der USA wird Benzin zumeist an der New Yorker Warenterminbörse (New York Mercantile Exchange, Nymex) gehandelt. Dort werden alle Transaktionen zentral erfasst und transparent ausgewertet. In Kalifornien hingegen handeln die Marktteilnehmer direkt miteinander. Sie können die Preise freiwillig an einen Preisinformationsdienst melden, aber sie sind nicht hierzu verpflichtet. Wenn sie es tun, nutzen sie meistens den Oil Price Information Service LLC («Opis»). Es gibt nur wenige Meldungen für Benzin in Standardqualität und oft gar keine für Benzin im Premium-Bereich und dem für seine Herstellung erforderlichen Alkylat.

Wenn der relevante Tageskurs bestimmt wurde, hätten die Beteiligten einander oder Dritten gezielt kleinere Mengen Standard-Benzin zu überhöhten Preisen verkauft und nur dies an Opis gemeldet. Manchmal hätten sie hiermit bewusst einen Verlust gemacht, manchmal auch gleich eine Transaktion in die umgekehrte Richtung abgeschlossen und so das Geschäft neutralisiert. Diesen sogenannten Waschhandel hätten sie Opis oft nicht gemeldet. Weitere Deals schlossen die Unternehmen gemäss der Staatsanwaltschaft ab, um ihre Aktivitäten zu verschleiern oder die Gewinne untereinander aufzuteilen. Opis habe nur von ausgewählten Geschäften zu den von den Unternehmen gewünschten Preisen erfahren.

Durch das selektive Melden überhöhter Preise hätten Vitol Inc. und die anderen Händler den Opis-Preis in die Höhe getrieben und dann ihre eigenen Produkte zu einem höheren Preis verkauft. Dies habe auch den Preis für die Konsument*innen erhöht.

Der kalifornische Generalstaatsanwalt erhob 2020 Klage. Konsument*innen reichten eine Gruppenklage ein. Vitol bestritt die Vorwürfe und bezeichnete die Geschäfte als marktübliche Absicherungsgeschäfte.

Auch in anderen Fällen wurde Vitol Kursmanipulation vorgeworfen:

  • Am 3. Dezember 2020 gab Vitol Inc. im Rahmen einer Einigung mit der US-amerikanischen Aufsichtsbehörde für den Handel mit Futures und Optionen (Commodity Futures Trading Commission, CFTC) zu, dass das Unternehmen im August 2014 und im Juli 2015 versucht hatte, bestimmte Referenzwerte für Öl zu manipulieren.
  • Am 9. Oktober 2018 verhängte die französische Commission de régulation de l’énergie (CRE), die Aufsichtsbehörde für den Energiemarkt, eine Busse gegen Vitol SA wegen Manipulationen auf dem französischen Energiemarkt. Das Unternehmen bestritt die Vorwürfe. Der Conseil d'État, Frankreichs oberstes Verwaltungsgericht, bestätigte den Entscheid am 18. Juni 2021.
  • Am 4. Januar 2024 gestand Vitol Inc. gegenüber der US-Bundesbehörde für die Regulierung des Energiesektors (Federal Energy Regulatory Commission, FERC) Manipulationen im kalifornischen Elektrizitätsmarkt im Oktober 2013 ein. Das Unternehmen verpflichtete sich zur Zahlung von über 2 Millionen US-Dollar.

Am 10. Juli 2024 informierte die kalifornische Staatsanwaltschaft über einen Vergleich. Um einen erbitterten und im Ausgang für beide Seiten offenen Rechtsstreit zu beenden, erklärten sich Vitol und SK bereit, insgesamt 50 Millionen US-Dollar zu bezahlen, ohne eine Schuld zuzugestehen. Ein Grossteil des Geldes soll direkt an betroffene Konsument*innen ausgezahlt werden. Die Details für diesen sehr aufwändigen Prozess sind bereits in der Vereinbarung enthalten. Einwohner*innen Kaliforniens, die an Eides Statt versichern, zwischen dem 20. Februar 2015 und dem 10. November 2015 Benzin in Südkalifornien gekauft zu haben, werden eine Auszahlung erhalten. Die Staatsanwaltschaft wird die Vorwürfe der Marktmanipulation nach dem Torrance-Zwischenfall nicht weiterverfolgen. Die gerichtliche Genehmigung steht noch aus. Auch die Gruppenklage sei beigelegt. Details hierzu sind nicht bekannt.

Schlüsseldokument

Chronologie

Datum

Ereignis

Quelle

Oktober oder November 2014Gemäss Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Kaliforniens (State of California Department of Justice - Office of the Attorney General) vereinbaren Vitol Inc., SK Energies Americas, Inc. und SK Trading International Co., Ltd. eine Kooperation, um den Preis von Benzin in Standardqualität in Kalifornien zu beeinflussen («Joint Venture Agreement»). Vitol bestreitet die Vorwürfe.Klageschrift
Dezember 2014Technische Probleme in der Raffinerie von ExxonMobil in Torrance bei Los Angeles.Klageschrift
8. Februar 2015Explosion in der Raffinerie von ExxonMobil in Torrance.Chemical Safety and Hazard Investigation Board
Februar 2015Vitol Inc. und SK erweitern die Vereinbarung auf Premium-Benzin.Klageschrift
Februar 2015 bis Ende 2016Vitol Inc. und SK kooperieren mit anderen Unternehmen, um den Benzinpreis in Kalifornien hochzutreiben.Klageschrift
Mitte bis Ende 2015Vitol Inc. und SK beziehen auch Alkylat in ihre Aktivitäten ein. Alkylat ist ein chemisches Vorprodukt, das für die Herstellung von Benzin und vor allem Premium-Benzin verwendet wird.Klageschriftt
9. Oktober 2018Der französische Regulator für den Energiemarkt (Commission de régulation de l’énergie, CRE) spricht eine Busse von 5 Millionen Euro gegen Vitol aus wegen Manipulation des Energiepreises in Südfrankreich vom 1. Juni 2013 bis zum 31. März 2014. Vitol kündigt an, in Berufung zu gehen.Commission de régulation d’ÉnergieVitol
4. Mai 2020Die Staatsanwaltschaft in Kalifornien erhebt Klage gegen Vitol Inc. und SK. Vitol bestreitet die Vorwürfe.State of California Department of Justice
1. Dezember 2020Die US-amerikanische Aufsichtsbehörde für den Handel mit Futures und Optionen (Commodity Futures Trading Commission, CFTC) erlässt eine Verfügung, nach der Vitol Inc. insgesamt mehr als 95 Millionen US-Dollar bezahlen muss. Die Verfügung betrifft unter anderem Bestechung in Brasilien, Ecuador und Mexiko und den Versuch, zwei Referenzwerte für Öl in den USA zu manipulieren.CFTC
18. Juni 2021Der französische Conseil d'État, das oberste Verwaltungsgericht, bestätigt den Entscheid der CRE gegen Vitol.CRE
26. Juni 2023Als Reaktion auf die bekannt gewordenen Fälle von Preismanipulation tritt in Kalifornien das Gesetz über Preisabsprachen und Preistransparenz bei Benzin in Kraft. Das Gesetz führt auch eine spezielle Aufsicht über den Benzinmarkt ein.California Energy Commission
4. Januar 2024Die US Federal Energy Regulatory Commission (FERC) schliesst einen Vergleich mit Vitol Inc. und einem ihrer Mitarbeiter. Vitol Inc. gibt zu, im Oktober 2013 den Preis auf dem kalifornischen Elektrizitätsmarkt manipuliert zu haben. Vitol zahlt 2,225 Millionen US-Dollar.FERC
10. Juli 2024Die kalifornische Staatsanwaltschaft informiert über einen Vergleich, wonach Vitol Inc. und SK insgesamt 50 Millionen US-Dollar zahlen sollen, um die Vorwürfe der Marktmanipulation nach dem Torrance-Zwischenfall beizulegen. Der Vergleich umfasst kein Schuldeingeständnis von Vitol.State of Califoria Department of Justice 2

Lücken und Schwächen der Rechtsordnung

  • Fehlende Überwachung von Preisbildungsmechanismen
  • Freiwilligkeit bei der Datenlieferung an Preisbildungsmechanismen
  • Fehlende Überwachung der gruppenweiten Einhaltung rechtlicher Mindeststandards
  • Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler