Erst mutig, dann opportunistisch: Die inkonsequente Schweizer Reaktion auf den Krieg in der Ukraine
Zürich, Lausanne, 21. Februar 2025
Die bis heute wichtigste Reaktion der Schweiz auf die Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 war die Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland. Mittlerweile wurden insgesamt 15 Sanktionspakete verabschiedet, die die Schweiz – bis auf eine bedeutsame Ausnahme – alle übernommen hat. Allerdings weigert sie sich, diese konsequent umzusetzen.
Viele dieser Massnahmen betreffen direkt den Schweizer Handelsplatz, der über Jahrzehnte eng mit russischen Rohstoffunternehmen und deren häufig milliardenschweren Eigentümern verbandelt war. Wie entschlossen und wirksam die Schweiz die Sanktionen umsetzt, ist daher der Gradmesser dafür, wie ernst es Bundesrat und Parlament mit ihrer Unterstützung der Ukraine-Koalition, aber auch der Integrität und Transparenz ihres skandalträchtigen Rohstoffsektors ist. Das Hin und Her seit 2022 zeigt, dass die Politik immer noch lieber wegschaut – spätestens dann, wenn es Gegenwind der Sanktionierten gibt.
Die Schweiz nach anfänglichem Zögern auf Kurs
Drei Tage nach der Invasion hoffte Wirtschaftsminister Guy Parmelin noch, jene Strategie weiterverfolgen zu können, die die Schweiz seit der Annexion der Krim acht Jahre zuvor praktiziert hatte: bloss keine der damals schon zahlreichen EU-Sanktionen übernehmen, aber wenigstens deren Umgehung über die Schweiz verhindern. Konkret hiess das zum Beispiel, dass Banken die Konten von sanktionierten Personen nicht sperren, sondern lediglich melden mussten. Am 28. Februar kollabierte dieses Wegducken, weil der russische Angriff auf die Ukraine immer grössere Dimensionen annahm und der Druck aus dem In- und Ausland dadurch massiv stieg.
Der Bundesrat schloss sich den Sanktionen vollumfänglich an.
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Unter den ersten Massnahmen, welche die Schweiz von der EU übernahm, waren Einreise- und Vermögenssperren gegen natürliche Personen sowie ein Importverbot von Produkten aus den besetzten Gebieten. Die Vermögenssperren zielten insbesondere auf die russische Wirtschaftselite ab, welche zu einem beträchtlichen Teil durch die Privatisierung vormals staatlicher Rohstoffunternehmen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion reich geworden war.
Als Reaktion auf die Gräueltaten in Butscha kam Anfang April ein Verbot des Imports und Handels von russischer Kohle hinzu, später folgten ähnliche Massnahmen gegen Erdöl, Gold und Diamanten. Diese Massnahmen trafen den Schweizer Rohstoffhandelsplatz ganz unmittelbar, denn durch die Übernahme der EU-Sanktionen waren die Unternehmen der Rohstoffdrehscheibe Schweiz erstmals mit Leitplanken konfrontiert, die wesentliche Geschäftsbereiche einschränkten.
Putins Zuger Kohlekraftwerk weiter in Betrieb?
Zum Beispiel bei der Kohle. Noch zu Beginn der Invasion lief der Verkauf von 75% der russischen Exporte dieses Energierohstoffs über Firmen in der Schweiz. Bei den mehrheitlich in Zug und der Ostschweiz angesiedelten Unternehmen handelt es sich in erster Linie um die Handelsabteilungen grosser russischer Bergbaufirmen – teilweise aber auch um deren Hauptsitz. Diese heissen Suek, Elga Coal oder Sibanthracite Overseas. Durch die Sanktionen wurde ihre Geschäftstätigkeit zwar nicht komplett verboten, aber massiv eingeschränkt. Sie bestehen weiter, geändert hat sich aber der Firmenname. Und zwar in unverdächtige Bezeichnungen wie TerraBrown, Trading Solutions oder Pacific Commodities.
Niemand scheint wirklich wissen zu wollen, welche Rolle diese Firmen im Verkauf von russischer Kohle heute spielen. Bei einem Augenschein im Frühling 2023 waren alle Büros besetzt, es gab keine äusserlichen Anzeichen von eingeschränktem Betrieb oder gar Schliessungen. Die Zuger Behörden bemühten sich in erster Linie darum, die Auswirkungen der Sanktionen auf ihren Wirtschaftsstandort zu minimieren. Über die Jahre haben wir das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, das neben der Standortförderung auch für die Sanktionen zuständig ist, mehrfach auf diese Situation hingewiesen –ohne Reaktion.
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Schwarzes Gold per Schattenflotte
Im Sommer 2022 verhängte Brüssel ein Embargo gegen den Import von russischem Erdöl, Moskaus mit Abstand grösster Einnahmequelle. Damit der globale Erdölmarkt nicht im Chaos versinkt und die Energiekosten unter Kontrolle bleiben, beschlossen die EU und andere westliche Staaten einen Preisdeckel für den per Schiff betriebenen Handel mit dem schwarzen Gold. Die Schweiz schloss sich dieser Massnahme an, die es Unternehmen erlaubt, weiterhin russisches Erdöl in Staaten zu verkaufen, die keine Sanktionen ergriffen haben, aber nur bis zu einem bestimmten Preis (der anfänglich bei 60 US-Dollar pro Fass lag). So sollten die russischen Einnahmen beschnitten werden, ohne den weltweiten Ölpreis durch die Decke zu treiben.
Von Anfang an war klar, dass diese komplexe Massnahme nur Wirkung zeigen würde, wenn sie mit strikten Kontrollen und Konsequenzen durchgesetzt würde. Besonders relevant wäre das für die Schweizer Rohstoffunternehmen gewesen, die bis zur Invasion vor allem via Genf 50-60% allen russischen Erdöls gehandelt hatten.
Die Schweizer Behörden sind damals jedoch viel zu passiv geblieben.
Andere Staaten, wie das Vereinigte Königreich, erarbeiteten detaillierte Richtlinien, mit welchen Dokumenten die Händler nachweisen mussten, dass sie sich an den Preisdeckel halten. Später folgten auch Sanktionen gegen eine Reihe von Schiffen, welche die Massnahme ignoriert respektive gezielt unterlaufen hatten. Das Seco aber unternahm nichts dergleichen und setzte voller Naivität darauf, dass die fraglichen Schweizer Firmen sich schon an die EU-Empfehlungen halten würden.
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Nicht untätig blieben derweil die Erdölhändler. Sie entzogen sich systematisch dem Zugriff westlicher Staaten. Zum einen liess die russische Regierung eine Flotte von wohl über 600 alten und oft maroden Tankern zusammenkaufen, womit das Erdöl ohne westliche Reedereien, Financiers und Versicherer (die sich alle an die Sanktionsmassnahmen halten müssen) zu seiner neuen Käuferschaft findet. Dass diese «Schattenflotte» immer mehr zu einem Umwelt- und Sicherheitsrisiko wird, zeigen verschiedene Vorfälle.
Andererseits begannen Schweizer Händler ihre zum Teil neu gegründeten Ableger in Dubai zu nutzen, denn das Emirat kennt keine Sanktionen. Die Schweizer Gesetzgebung wird so ausgelegt, dass «rechtlich unabhängige» Tochtergesellschaften im Ausland nicht von den Sanktionen betroffen sind. Inwiefern diese Firmen wirklich unabhängig agieren – also keine Entscheide aus der Schweiz umgesetzt werden und kein Geld hin- und her fliesst – lässt sich nicht sagen. Die Schweizer Behörden hätten sich dafür um Einblick in die Black Box bemühen müssen. Dazu fehlte jedoch der politische Wille.
Nach einigem in- und ausländischen Druck untersuchte das Seco immerhin den Fall des Genfer Erdölhändlers Paramount, in dem die Sanktionen mittels einer Tochtergesellschaft in Dubai mutmasslich untergraben wurde.
Offene Ohren für die Rohstoffhändler
Im Herbst 2024 hätte der Bundesrat diese offene Flanke schliessen können: bei Übernahme des mittlerweile 14. Sanktionspaket hätten Schweizer Unternehmen ihre Tochtergesellschaften im Ausland nämlich dazu verpflichten müssen, die Sanktionsmassnahmen nicht zu untergraben. Diese Massnahme zielte direkt auf den Rohstoffsektor ab, weshalb eine Übernahme durch die Schweiz – wo mittlerweile gar die Bundesanwaltschaft zu solchen Fällen ermittelte - besonders wichtig gewesen wäre.
Leider wollte der Bundesrat nichts davon wissen und foutierte sich erstmals um eine für die Schweiz hochrelevante Sanktionsmassnahme, was auch international auf Kritik stiess.
Begründet hat er diese brisante Ausnahme mit der Vermeidung «rechtlicher Unsicherheit». Diese «Unsicherheit» - beziehungsweise der Arbeitsaufwand, um sie mit konkreten Vorgaben zu entschärfen – hat bei der bundesrätlichen Interessensabwägung überwogen. Dass damit eine schon lange identifizierte und für den früher via Genf und heute über Dubai abgewickelten Handel mit russischem Erdöl höchst nützliche Lücke weiter offen blieb, spielte eine Nebenrolle.
Dass der Branchenverband der Rohstoffhändler, Suissenégoce, beim federführenden Seco mit exakt demselben Argument für dieses Laisser-faire lobbyiert hatte, gibt dem Regierungsentscheid einen besonders schlechten Beigeschmack.
Bloss das Geschäftsmodell nicht gefährden
Erklären lässt sich diese opportunistische und die Schweizer Reputation gefährdende Standortpolitik wohl mit der Tatsache, dass der Rohstoffhandel mittlerweile gegen 10% zum Schweizer Bruttoinlandprodukt beiträgt. Hinzu kommt, dass die von Glencore, Trafigura & Co eingefahrenen Gewinne durch die russische Invasion der Ukraine nochmals massiv gestiegen sind, was zusätzliche Millionen in die Staatskasse gespült hat, wie Finanzministerin Karin Keller-Sutter kürzlich bestätigte. Mit einer Übergewinnsteuer wollte die Schweiz diese Krisengewinne – im Gegensatz zur EU – jedoch nicht belegen.
Und auch dem Transithandel mit Gütern aus den besetzten ukrainischen Gebieten will die Schweiz keinen Riegel schieben.
Im Gegensatz zum Import solcher Waren bleibt dieser trotz der massiven Getreideplünderungen durch die russischen Besatzer weiterhin erlaubt. Eine Recherche zu einer Zuger Handelsfirma, welche 2023 wohl mit geplündertem Weizen gehandelt hatte, zeigte auf, dass Schweizer Händler den Beweis für eine angemessene Sorgfalt bei Geschäften in Kriegsgebieten schuldig bleiben.
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Rutscht die Schweiz, drei Jahre nach dem Entscheid, mit Sanktionen auf die russischen Völkerrechtsverletzungen und mutmasslichen Kriegsverbrechen zu reagieren, also in alte Muster zurück? Überlässt sie den Rohstoffhandelsplatz weiter sich selbst und verzichtet auf die überfälligen gesetzlichen Leitplanken? Dessen geopolitische Bedeutung und diversen Risiken hat der Bundesrat zwar mehrfach offiziell anerkannt. Diese endlich einzudämmen, weigert er sich aber bis heute.
Deshalb muss das Parlament hier korrigierend eingreifen. Bereits in der kommenden Frühjahrssession hat der Ständerat die Möglichkeit, einer längst überfälligen gesetzlichen Grundlage zur Regulierung des Rohstoffsektors zuzustimmen. Damit könnten unter anderem Sorgfalts- und Transparenzpflichten definiert werden, die den Umgang mit Rohstoffen aus Hochrisikogebieten oder mit politisch exponierten Personen – wie den russischen Oligarchen – regeln.
Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs ist der internationale Druck auf die Schweiz, die Risiken ihres Rohstoffhandelsplatzes besser zu kontrollieren, nochmals massiv gestiegen.
Die Schweiz darf nicht weiter passiv bleiben, sondern muss politische Verantwortung übernehmen und der Rohstoffbranche klare Leitplanken setzen.