Sündenregister der Rohstoffhändler: Pionieranalyse von 20 Rechtsfällen zeigt Bandbreite der Vergehen – und die Schweizer Gesetzeslücken
Zürich, Lausanne, 17. September 2024
Als Standort vieler multinationaler Unternehmen, die weltweit Energieträger, Metalle oder Agrargüter abbauen und handeln, ist die Schweiz immer wieder in Menschenrechtsverletzungen, Umweltvergehen oder korrupte Geschäftspraktiken verwickelt. Angesichts der zunehmenden Zahl an nationalen und internationalen Verfahren gegen die zumeist in Genf oder Zug ansässigen Rohstoffkonzerne können Politiker*innen, Behörden und Medien inzwischen leicht die Übersicht verlieren. Public Eye leistet hier Orientierungshilfe und beschreibt 20 teils weit zurückreichende, teils brandaktuelle Gerichts- und ähnliche Fälle. Jedes einzelne Beispiel, wo ein Schweizer Rohstoffunternehmen bei illegalen Aktivitäten erwischt wurde, ist mit Originalquellen verlinkt und einer Chronologie versehen. Den Schlusspunkt setzen jeweils die dadurch offengelegten Schwachstellen im Schweizer wie auch im internationalen Rechtssystem.
Die Ermittlungen des britischen «Serious Fraud Office» gegen Glencore im Südsudan etwa, wo am Cash Desk des Schweizer Hauptsitzes gefüllte Geldkoffer den Weg für lukrative Rohstoffdeals ebneten, legen eine ganze Reihe von Gesetzeslücken bloss. Ende 2022 wurde der Zuger Konzern dafür und für ähnliche Handlungen in anderen Ländern zur Zahlung von fast 281 Mio. Pfund verurteilt. Die internationalen Verfahren gegen die am Genfersee domizilierten Chiquita wiederum reichen bis in die Nullerjahre zurück und mündeten jüngst in einem US-Urteil über 38 Mio. Dollar Schadensersatz für die Familien von acht Opfern der (vom Bananenkonzern mitfinanzierten) Paramilitärs in Kolumbien. Und in der seit 2014 weltweit für Schlagzeilen sorgenden Korruptionsaffäre um die brasilianische Ölgesellschaft Petrobras spielten gleich drei Schweizer Handelskonzerne mit. Zwei von ihnen wurden wegen eines ganzen Bündels unterschiedlicher Bestechungsdelikte zu dreistelligen Millionenstrafen verurteilt.
Die Diversität und Komplexität dieser drei Fälle ist exemplarisch für die Bandbreite unseres aufwändig recherchierten und vom Genfer Künstler Kalonji illustrierten Sündenregisters der Schweizer Rohstoffbranche. Die zum Teil noch laufenden Verfahren und ihre Konsequenzen für die Produktionsländer, aber auch die Reputation der Schweiz unterstreichen die Notwendigkeit einer Rohstoffmarktaufsicht, kurz ROHMA. Der Hochrisikosektor ist zum zentralen Schweizer Wirtschaftsfaktor avanciert und gewinnt stetig an geopolitischer Bedeutung. Es liegt daher auch im internationalen Interesse, dass die bestehenden Regeln eingehalten werden. Die analysierten Fälle zeigen, wie dringend es die von Public Eye seit September 2014 geforderte Aufsichtsbehörde braucht, um den Rohstoffmarkt fairer zu machen, strafbare Praktiken einzudämmen und damit den Ruf der Schweiz zu schützen.
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- Britta Delmas, Finanz- und Rohstoffexpertin, 044 277 79 24, britta.delmas@publiceye.ch