Agrarhändler auf Shopping Tour: Und die Wettbewerbspolitik schaut weg

Der globale Getreidehandel ist sehr konzentriert und nun wird’s noch enger: Bunge, einer der grössten Händler und neu offiziell ein Schweizer Konzern, schluckt die Agrartochter von Glencore, einen anderen Branchenriesen. Wettbewerbsbehörden in den wichtigsten Märkten, die eigentlich problematische Machtballungen verhindern sollten, winken den Milliardendeal durch. Und die Schweizer Kartellbehörden? Nicht zuständig!

Seit Ende 2023 ist Bunge, der weltgrösste Verarbeiter von Soja und einer der umsatzstärksten Agrarhändler, offiziell eine Schweizer Firma. Gleichzeitig mit der Übersiedlung aus dem beschaulichen Bermuda beschlossen die Aktionär*innen 2023 die Übernahme von Glencores Agrartochter Viterra. Der 8,2 Milliarden US-Dollar teure Shopping Trip dürfte bis Ende 2024 besiegelt werden und macht den aus Genf operierenden Konzern zum weltgrössten Getreidehändler.

Bunge und die anderen Branchengrössen ADM, Cargill, Cofco und LDC – allesamt mit Handelssitz in der Schweiz – kommen im globalen Getreidegeschäft jetzt schon auf einen Marktanteil von ca. 90%. Mit der Einverleibung Viterras dürfte die Marke von 100% nicht mehr weit sein. Eine solche Konzentration bei einem der wichtigsten Grundnahrungsmittel sollte bei den Wettbewerbshütern eigentlich alle Alarmglocken läuten lassen. 

Negative Effekte für Produzierende weltweit

Denn vielerorts stehen Preisdrückerei und Ausbeutung im globalen Agrarsektor an der Tagesordnung. Eine noch höhere Konzentration bedeutet nichts Gutes für die Produzent*innen und Arbeiter*innen, die ohnehin am kürzeren Hebel sitzen. Bald stehen diese noch weniger, dafür umso mächtigeren Konzernen gegenüber. Niedrigere Abnahmepreise und ein weniger resilientes Ernährungssystem dürften die Folge sein.

Eine jüngst von der niederländischen NGO Somo in Auftrag gegebene Studie von Wettbewerbsexpert*innen bestätigt solch negative Effekte auch mit Blick auf die bevorstehende Übernahme von Viterra. Die Autor*innen raten den zuständigen Kartellbehörden, die ganzheitlichen und globalen Auswirkungen solcher Zusammenschlüsse zu betrachten und nicht ausschliesslich die Auswirkungen auf Konsumierende im eigenen Land, wie das in der national ausgerichteten Wettbewerbspolitik üblich ist.

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Das Versagen der Wettbewerbspolitik

Die Wettbewerbspolitik ist jener Rechtsbereich, der eigentlich problematische Machtballungen und den Missbrauch von Marktmacht verhindern sollte. Dass dies im globalen Agro-Food-Sektor nur bedingt gelingt, liegt daran, dass das «Wohlergehen der Konsumierenden» - und nicht auch jenes von Produzierenden – oberstes Ziel ist. So werden ausschliesslich Auswirkungen auf den jeweils eigenen Markt berücksichtigt. Angesichts der globalen Geschäftstätigkeit von Konzernen und ihren weltweiten Auswirkungen ist dies mehr als absurd.

Abgesehen von der Europäischen Kommission, die oft unverdienterweise als «Feindin von Konzernmacht» gehandelt wird, gibt es keine supranationale Behörde, die sich um internationale Wettbewerbsfragen kümmert. Und selbst sie hat in den letzten 20 Jahren wenig gegen Machtballungen getan. Nur 14 von rund 6500 Zusammenschlüssen hat die Kommission seit 2005 abgelehnt – nicht einmal 1%. Die Übernahme von Viterra wurde jüngst mit geringen Auflagen bewilligt. Auch Brasilien, einer der wichtigsten Agrarproduzenten, hat den Deal durchgewunken. Die Zustimmung von ArgentinienChina und Kanada – weitere wichtige Märkte der beiden Händler - steht zwar noch aus, wird jedoch ebenfalls erwartet. Der Bildung des neuen Getreidegiganten – oder wie Bunge es nennt, «Creating a Premier Agribusiness Solutions Company» - steht nichts mehr im Weg.

Rohstoffdrehscheibe hält sich raus

Und die Schweizer Wettbewerbspolitik? Schliesslich ist Bunge offiziell ein Schweizer Konzern, betreibt Handelsgeschäfte aus Genf und erwirtschaftet dort mächtig Umsatz. Und Viterra ist aktuell zu 49,9% in Besitz der in Zug beheimateten Glencore. Aus wettbewerbspolitischer Sicht ist dies nicht von Belang. Was zählt ist weder, wo Konzerne niedergelassen sind, noch wo sie ihre Geschäfte abwickeln oder ihren Profit erzielen.

Ausschlaggebend ist, ob die Schweiz ein wichtiger Absatzmarkt für ihre Rohstoffe ist und ein Zusammenschluss Auswirkungen auf Schweizer Kunden respektive Konsumierende hätte. Da dies kaum zu erwarten ist, sieht sich die Schweizer Wettbewerbspolitik nicht zuständig, auch wenn in Zukunft ein noch grösserer Teil des globalen Agrarhandels über die helvetische Rohstoffdrehscheibe laufen wird.

Make Over zwingend

Die national ausgerichtete Wettbewerbspolitik wird weder der Transnationalität von Konzernen noch den globalen Missständen gerecht und versagt somit in ihrer Funktion als Beschützerin vor den negativen Folgen von Machtkonzentration. Um der Ausbeutung und Preisdrückerei entlang globaler Agrarlieferketten einen Riegel zu schieben, braucht es globale Spielregeln und Organe, die diese durchsetzen können. Die Wettbewerbspolitik braucht dringend ein Makeover.

«There is a crack, a crack in everything. That’s how the light gets in.» (Leonard Cohen)

Silvie Lang arbeitet seit 10 Jahren bei Public Eye. Wenn sie sich nicht gerade mit der Rolle des Schweizer Agrarhandelssektors beschäftigt, bäckt und isst sie leidenschaftlich gern Kekse.

Kontakt: silvie.lang@publiceye.ch
Twitter: @silvielang

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