Gerichtliches Boulevardtheater um korrupte Wiederholungstaten bei Gunvor

2018 war schon ein Gunvor-Angestellter wegen Korruption im Zusammenhang mit einem Ölgeschäft in der Republik Kongo und 2019 der Konzern selbst wegen «Organisationsmängeln» verurteilt worden. Vor einer Woche musste sich nun ein ehemaliger Finanzchef des Handelsriesen vor der Schweizer Justiz verantworten. Public Eye war am Bundesstrafgericht in Bellinzona dabei.

In einem früheren Blog hatten wir von einem Verfahren geträumt, das Stoff für ein tragikomisches Theaterstück liefern und viele Bürger*innen anziehen würde, die mit Begeisterung in die korrupten Praktiken von Rohstoffhändlern eintauchen.

Der Fall wurde Ende September zwar öffentlich, aber dennoch nahezu unbeachtet verhandelt, in einem kleinen quadratischen Raum mit Betonwänden. Nur eine Handvoll Aussenstehender wohnte den Verhandlungen bei, darunter zwei Journalist*innen und einige Anwälte. Einer davon war angereist, um sich mit den Räumlichkeiten vertraut zu machen und sich auf das Anfang Dezember stattfindende Korruptionsverfahren gegen Trafigura vorzubereiten, welches wohl viel mehr Publikum anziehen wird.

Die Show war deswegen nicht weniger faszinierend, liess sich doch Einiges über die Banalität korrupter Praktiken im Rohstoffhandel und deren Straflosigkeit lernen. Auch die vom Angeklagten in Endlosschleife wiederholte und fast schon Orwellsche Rede über «Transparenz» und «null Bestechungszahlungen» hätten wir uns nicht entgehen lassen wollen!

«Schlechtes Boulevardstück»

Bertrand G. war Leiter der Transaktionsfinanzierung bei Gunvor für Europa, den Nahen Osten und Afrika und stand wegen «Bestechung ausländischer Amtsträger» vor Gericht. Der 47-jährige Franzose vermietet heute Gästezimmer in der Nähe von Toulouse und war laut Anklageschrift von Juni 2010 bis Dezember 2011 aktiv an Bestechungszahlungen von insgesamt 35,5 Millionen US-Dollar an kongolesische Beamte im Zusammenhang mit Ölgeschäften in Kongo-Brazzaville beteiligt.

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Illustration aus der Reportage «Gunvor im Kongo», Opak.cc

Im Frühling 2014, als die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft in diesem Skandal bereits zwei Jahre am Laufen waren, wurde Bertrand G. rückfällig: In einem Pariser Hotel wurde er unwissentlich beim Versuch gefilmt, einen neuen Korruptionsdeal einzufädeln. Wortgewandt verspricht er einem Abgesandten von Denis-Christel Sassou Nguesso, dem Sohn des seit Jahrzehnten herrschenden kongolesischen Präsidenten, einen neuen Plan für Schmiergeldzahlungen via Russland. Diesmal werde es «null Ärger» geben, beteuerte er, und machte dabei eine verächtliche Geste gegenüber einem möglichen Richter. Public Eye hatte dieses Video 2017 enthüllt. 

Wie erwartet setzte einer der Anwälte des Angeklagten, Alec Reymond, gleich zu Beginn des Prozesses alles daran, das belastende Video aus den Akten zu verbannen. Er bezeichnete es als «Boulevardstück, das der Boulevard nicht haben will». Und als «Falle», die Pascal C., der bereits 2018 verurteilte Gunvor-Angestellte, seinem Mandanten gestellt habe.  Mit der «boshaften Energie eines verbitterten Lügners» habe Pascal C. seine Kollegen und die gesamte Gunvor-Leitung mit in den Abgrund reissen wollen. 

Gerichtspräsident Jean-Luc Bacher wies den Antrag, unterstützt von zwei weiteren Richtern, mit der Begründung zurück, das Video sei zwar ein unzulässiges Beweismittel, doch das öffentliche Interesse daran überwiege.

Ein «Teufel aus der Kiste» und schöne Rechnungen

Womit man zum Kern der Sache kam. Als Vorgeschmack trat, aus Dubai angereist, wo er heute lebt, Pascal C. in den Zeugenstand. Der ehemalige «Business Developer» von Gunvor wurde im Rahmen eines vereinfachten Verfahrens als Erster verurteilt. Er hatte sich nämlich schuldig bekannt – eine Seltenheit in diesem Milieu – und ausführlich die auf allen Ebenen erfolgte Korruption geschildert, welche in einem gigantischen Ölvertrag mit der Republik Kongo im Jahr 2010 gipfelte. Dieses Geständnis ermöglichte es der Bundesanwaltschaft, Gunvor 2019 wegen «Organisationsmängeln» zu einer Ersatzforderung von 90 Millionen Franken und 4 Millionen Franken Busse zu verurteilen.

In Bellinzona wiederholte der von der Verteidigung als «Teufel aus der Kiste» titulierte Mann das, was er schon mehrfach ausgesagt hatte: «Von Beginn weg waren die Rechnungen nicht schön anzusehen. Bertrand G. hat mich darauf aufmerksam gemacht», erklärte er im Gerichtssaal. Besagte Rechnungen waren 2010 und 2011 von Gunvors Vermittlern ausgestellt worden, um die horrenden Provisionen in Höhe von fast 35,5 Millionen US-Dollar zu kaschieren. Davon landeten 30 Millionen auf den Konten von Offshore-Firmen bei der Clariden Leu Genf und der Swissquote Bank AG. Mit diesen Geldern sollten laut Anklageschrift kongolesische Beamte bezahlt werden, die das korrupte Ölgeschäft ermöglicht hatten. Dies zeigen zwischen den beiden Männern ausgetauschte E-Mails, die mit zwinkernden Smileys versehen sind. In einer davon bezeichnet Bertrand G. die Vermittler als unfähig, selbst eine Rechnung zu schreiben. «Das ist wirklich nicht seriös […] Da will man sich wirklich Probleme einhandeln», schreibt er und rät zu Verbesserungen, um nicht die Aufmerksamkeit der Banken und deren Compliance-Abteilungen auf sich zu ziehen, so die Anklage.

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Von 2010 bis 2012 erhält Gunvor insgesamt 22 Lieferungen Rohöl – im Wert von 2,2 Milliarden Dollar. Illustration aus der Reportage «Gunvor im Kongo», Opak.cc

Vom braven Befehlsempfänger zum aggressiven Dealmaker 

Bertand G. meinte dazu, es sei ihm einzig darum gegangen, dass die Rechnungen «detailliert und transparent» seien und so über Gunvors Bankkonten hätten bezahlt werden könnten statt mit Cash. Hat es ihn nicht beunruhigt, dass die «unfähigen» Vermittler derart hohe Zahlungen erhielten? Und wusste er, dass diese Zahlungen rechtswidrig waren? Der Angeklagte verneinte diese Fragen des Gerichtspräsidenten vehement und erklärte, die Überprüfung von Rechnungen hätte nicht zu seinem Aufgabenbereich gehört, wenn sie doppelte Unterschrift trugen: die der Handelsabteilung und die der Risikoabteilung.

Doch Bertrand G. wandelte sich vom reinen Befehlsempfänger zum aggressiven Dealmaker. Im Sommer 2014 fällt das brisante Video, in dem er ein neues Korruptionsschema vorschlägt, um die kongolesischen Geschäfte wieder ins Rollen zu bringen, Gunvor in die Hände. Er wird sofort entlassen und erhält als «Abfindung» einen Scheck über 950’000 Franken. 2016 verkauft er seine Firmenanteile für 1,7 Millionen US-Dollar. Während der Ermittlungen hatte ihn die Bundesanwaltschaft gefragt, ob Gunvor mit dieser Entschädigung sein Schweigen erkauft habe. Worauf der Ex-Angestellte mit genau diesem geantwortet hatte.

Gunvors wohl informierte Führungsebene

Auch beim Prozess in Bellinzona weigerte sich Bertrand G., Fragen zu seinem Treffen in Paris zu beantworten. Bei zwei Anhörungen durch die Bundesanwaltschaft 2015 und 2016 war er auskunftsfreudiger gewesen und hatte es als «Dummheit» bezeichnet, die allein auf sein Konto gehe: «Ich hätte dieses Spiel nicht spielen sollen».  

Eine wichtige Information konnte ihm der Gerichtspräsident dennoch entlocken: 2014 übte Gunvor-CEO Torbjörn Törnqvist, der grosse Abwesende in diesem Verfahren, starken Druck auf seine Teams aus, damit das durch die Schweizer Ermittlungen lahmgelegte kongolesische Geschäft wieder in Gang gesetzt wurde. «Er sah es als politische Operation. Es hatte Treffen zwischen dem russischen und dem kongolesischen Präsidenten gegeben», erklärte Bertrand G. In unserer Recherche hatten wir bereits auf den geopolitischen Hintergrund des riesigen Öldeals hingewiesen, den sich Gunvor 2010 gesichert hatte. Der Genfer Rohstoffhandelskonzern war damals zu 50% im Besitz von Gennadi Timtschenko, einem engen Vertrauten von Präsident Putin.

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Illustration aus der Reportage «Gunvor im Kongo», Opak.cc

Die zweite Anwältin von Bertrand G., Manon Pasquier, meinte, ihr Mandant habe «lediglich seine Arbeit gemacht. Und er hat sie gut gemacht hat». Dies freilich im völligen Unwissen darüber, dass die Zahlungen 2010 und 2011 Schmiergelder waren. «Die Geschäftsleitung von Gunvor war weder über die Höhe der Beträge noch über die Empfänger erstaunt. Warum also hätte Bertrand G. sich wundern sollen?», warf sie ein. Und beeilte sich hinzuzufügen, wenn «kein einziges Mitglied dieser berühmten Geschäftsleitung [von Gunvor] beunruhigt war, dann deshalb, weil die Untersuchung nichts ergeben hat». Anwalt Alec Reymond wiederum sorgte beinahe für Heiterkeit im Saal, als er Bertrand G. als «Kleinen unter den Kleinen» bezeichnete und ebenfalls seinen Freispruch forderte.

Zurück auf dem Boden der Tatsachen

Staatsanwalt Gérard Sautebin eröffnete sein Plädoyer denn auch mit einem langen Seufzer: «In was für einer Welt leben wir!», rief er mehrmals und mit Nachdruck. Und lieferte darauf die Fakten: Ein Angestellter, der im Januar 2012 noch der polizeilichen Durchsuchung bei Gunvor beigewohnt und vor Gericht ausgesagt hatte, eilt zwei Jahre später nach Paris, um weitere Schmiergelder zu versprechen. «Das ist aussergewöhnlich! Nie zuvor konnte die Justiz so etwas live miterleben und sehen, wie entspannt dies geschieht», meinte der Staatsanwalt. Ohne das Video hätte Gunvor seine kongolesischen Geschäfte laut Sautebin wahrscheinlich in aller Ruhe weitergeführt und «die Bestechung einfach ausgelagert». Er erinnerte auch daran, dass Gunvor in der Schweiz und in den USA «wegen in jeder Hinsicht vergleichbarer Praktiken in Ecuador» im März 2024 verurteilt worden war.

Tags zuvor hatte der stellvertretende Staatsanwalt Serge Hussman die Machenschaften von Bertrand G. als «Geste der Verachtung gegenüber der Justiz» bezeichnet – «und aller Menschen, die unter der Korruption in der Republik Kongo leiden, wo jeder zweite von 2 Dollar pro Tag lebt». Aufgrund seiner «kriminellen Sturheit» und mangels «aufrichtiger Reue» forderte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, davon 24 Monate auf Bewährung, sowie die Übernahme der Gerichtskosten.

Wann das Urteil gefällt wird, ist noch nicht bekannt. Derweil läuft das 2011 von der Bundesanwaltschaft eingeleitete Hauptverfahren gegen unbekannt aber weiter. Weshalb all jene, die als Nächste auf der Liste stehen könnten, jetzt wohl noch weichere Knie haben.

«Die richtigen Worte, die zur richtigen Zeit gefunden wurden, sind Aktion.» (Hannah Arendt, Vita activa)

Agathe Duparc arbeitet seit Mai 2018 bei Public Eye und ist verantwortlich für Recherchen zu Rohstoffhandel. Als Expertin für Russland und Wirtschaftskriminalität arbeitete sie als Journalistin für verschiedene französische Medien, darunter Le Monde und Mediapart.

Kontakt: agathe.duparc@publiceye.ch
Twitter: @AgatheDuparc

Dieser Text ist eine Übersetzung des französischen Originaltextes.

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