Rohstoffhandel Erst russisches Öl, dann Getreide: die undurchsichtigen Geschäfte eines Genfer Traders
Agathe Duparc und Silvie Lang, in Zusammenarbeit mit Robert Bachmann, 13. Dezember 2024
Sie haben vermutlich noch nie von ihm gehört, aber in der verschwiegenen Welt der Rohstoffhändler am Ufer des Genfersees ist Almaz Alsenov kein Unbekannter. Der reiche kasachische Geschäftsmann ist seit fast neun Jahren in der Schweiz ansässig und leitet die Harvest Group SA. Das Agrarhandelshaus, welches sich 2015 in der Schweiz niederliess, hat sich auf Weizen, Mais, Soja und Gerste spezialisiert und bietet auch Logistik- und Finanzdienstleistungen an.
Im Juni 2024 widmete ihm die kasachische Ausgabe von Forbes ein ausführliches Porträt, das die Erfolgsstory des ehemaligen Judo-Champions erzählt, dessen Sportkarriere von Verletzungen durchkreuzt wurde. Alsenov wurde stattdessen Rohstoffhändler und belegt heute Platz 53 auf der Liste der Reichsten Kasach*innen. Erst handelte er mit Metallen, dann mit Fleisch. 2008 stieg er von Dubai aus, wo sein Konzern zuvor registriert war, auch in den Getreidehandel ein.
Sieben Jahre später liess er sich erst in Rolle, dann in Morges nieder. Sein Unternehmen ist hauptsächlich in Russland, Kasachstan und der Ukraine tätig, wo es mit Getreide, Hülsenfrüchten, Sonnenblumenkernen und -öl sowie Distelöl handelt. Der Grossteil der Waren wird gemäss Forbes an Länder im Nahen Osten und in Asien verkauft. 2023 erzielte die Harvest Group SA einen Umsatz von 450 Millionen US-Dollar, war in 40 Ländern tätig und beschäftigte 100 Mitarbeitende in insgesamt 15 Büros und rund 1000 weitere in angegliederten Firmen. Zudem betreibt die Gruppe eine Flotte von 28 Schiffen, wovon sie zwei 2023 gekauft hatte.
Diplomatie auf der Tatami-Matte
Ebenfalls 2023 wurde der Geschäftsmann zusammen mit seiner Schwester Anel Alsenova, die den Konzern mit ihm leitet, von der Schweizer Niederlassung der Beratungsfirma Ernst & Young als «Unternehmer des Jahres» in der Kategorie «Dienstleistungen und Handel» nominiert. Switzerland Global Enterprise, ein Verband zur Förderung des Exports und des Wirtschaftsstandorts Schweiz, veröffentlichte ein langes Interview, in dem Alsenov als Gründe für seine Schweizer Standortwahl ein günstiges Umfeld angab. Er lobte unter anderem seine hervorragende Zusammenarbeit mit der Abteilung für Wirtschaftsförderung des Kantons Waadt. Seit Februar 2024 betreibt er eine Wikipedia-Seite, was in der verschwiegenen Welt der Rohstoffhändler eine Seltenheit ist.
Wenn er sich nicht mit den Verdiensten seiner Firma brüstet, widmet sich der Getreidehändler seiner zweiten Leidenschaft: der Tatami-Matte. 2022 gründete er den ersten professionellen Judo-Club in Kasachstan, JENYS und Ende 2023 wurde er persönlicher Berater von Marius Vizer, dem Präsidenten der International Judo Federation (IJF) und persönlichem Freund Wladimir Putins. Zudem ist die Harvest Group SA eine offizielle Partnerschaft mit der IJF, welche Russland seit Langem sehr nahesteht, eingegangen. Innerhalb des IJF trägt Alsenov den wohlklingenden Titel eines Kommissars für Geschäftspartnerschaften und Verbandsförderung, eine Funktion, die im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris geschaffen wurde. So konnte man ihn diesen Sommer händeschüttelnd mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron beobachten, als Kasachstan an den Spielen eine Goldmedaille gewann. Kurz darauf überreichte ihm der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew– auch er wie wir bereits berichteten ein bekennender Schweiz-Fan– eine Medaille.
Der heimliche Aktionär von Harvest
Der Werdegang des Judoka und das Profil seiner Unternehmensgruppe, zu der ein halbes Dutzend weitere in der Schweiz ansässige Firmen gehören, von denen einige Verbindungen nach Russland haben (siehe Infografik), weckten unsere Neugier. Unsere Recherchen zeigen, dass der niederländische Geschäftsmann Niels Troost, der seine ganze Karriere im russischen Ölhandel via Genf bestritt und über den Public Eye bereits mehrfach berichtet hat, in Harvest Commodities, dem Genfer Arm der Harvest Group SA, investiert hatte.
Eine Kopie des Aktionärsregisters, welches uns vorliegt, zeigt, dass Almaz Alsenov am 30. Juli 2022 lediglich 51% des Kapitals an Harvest Commodities SA kontrollierte, eine Gesellschaft, die laut Statuten den Handel mit «Agrarprodukten, Rohstoffen und anderen Produkten, insbesondere Sonnenblumenöl» bezweckt. Die restlichen Anteile verteilten sich damals wie folgt: 26% hielt eine in Tannay im Kanton Waadt eingetragene Gesellschaft; 4% wurden von einem Genfer Unternehmensberater gehalten, der verschiedene Unternehmen verwaltet, die im Handel von Rohstoffen aus den Ländern der ehemaligen UdSSR tätig sind. Die restlichen 19% waren im Besitz einer Holdinggesellschaft namens Ezi-Diaroc Holding SA. Hinter dieser Firma, die in Carouge im selben Gebäude wie eine Fabrik zur Herstellung von Metallschneidwerkzeugen angesiedelt ist, verbirgt sich Niels Troost. Im Mai 2023 hat die Holding gemäss unseren Informationen die Anteile des in Tannay ansässigen Unternehmens übernommen und damit mindestens 45% von Harvest Commodities SA – fast gleich viel Almaz Alsenov – gehalten. Niels Troost bestätigte Public Eye gegenüber, dass er zwischen Januar 2021 und September 2023 an diesem Unternehmen beteiligt war. Der Zweck der Firma war es «einzig Agrarprodukte ukrainischer Herkunft zu kaufen und diese direkt bei ukrainischen Produzierenden und Exporteuren zu beziehen». Nachdem Troost seine Anteile an Harvest Commodities abgegeben hatte, fungierte er seinen Angaben zufolge jedoch weiterhin als «externer Geldgeber», um gewisse Projekte des Genfer Unternehmens zu unterstützen.
Sanktionen in Grossbritannien
Die undurchsichtigen Geschäfte von Niels Troost waren bereits Gegenstand mehrerer Medienberichte. Kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 deckte Public Eye auf, dass die seit 2017 in Genf ansässige Ölhandelsfirma Paramount Energy & Commodities SA im Hafen von Kozmino, nahe Wladiwostok, zu den grössten Abnehmern von russischem Rohöl gehörte. Wir berichteten, dass sie das Öl von den Zwillingsunternehmen Concept Oil und Demex bezog, die mit ehemaligen Führungskräften von Transneft, einem staatlichen russischen Ölriesen, dem alle dortigen Pipelines in Russland gehören, verbunden waren.
Paramount Energy & Commodities SA geriet in den Fokus der Öffentlichkeit, als die G7, die Europäische Union und die Schweiz im Dezember 2022 Sanktionen gegen den Handel mit russischem Öl verhängten. Die Financial Times und die NGO Global Witness dokumentierten, dass Paramount Energy & Commodities SA (heute in Liquidation) ihre lukrativen Geschäfte im Sommer 2022 auf die Tochtergesellschaft in Dubai, Paramount Energy & Commodities DMCC, übertragen hatte. Der Handel mit russischem Öl konnte so bis August 2023 von den Vereinigten Arabischen Emiraten aus, die keine Sanktionen gegen Russland ergriffen haben, fortgeführt werden.
Niels Troost und die beiden Paramount-Niederlassungen stehen heute in Grossbritannien unter Sanktionen. Dies wegen dem Verdacht, dass sie das Embargo auf den Kauf von russischem Öl umgangen haben, indem sie dieses für mehr als 60 US-Dollar pro Barrel kauften, also jenem Preisdeckel, der von den westlichen Ländern festgelegt worden war. Wie die Financial Times berichtete, übernahm das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, die in der Schweiz für die Durchsetzung von Sanktionen zuständige Stelle, den Fall im April 2023. Unseren Informationen zufolge wurde dieser an die Bundesanwaltschaft weitergeleitet, die eine Voruntersuchung dazu eingeleitet hat.
Im März 2023 liessen Paramount SA und Paramount DMCC der Financial Times gegenüber verlauten, dass die beiden Firmen «völlig unabhängig geführt und verwaltet» werden und dass Niels Troost weder «operativ beteiligt ist noch direkt Anteile an der Firma in Dubai hält». Im Februar 2022 hatten die beiden Unternehmen jedoch eine Treuhandvereinbarung («Nominee Agreement») unterzeichnet, die das Gegenteil zu besagen scheint. Aus diesem uns vorliegenden Dokument geht hervor, dass die Paramount-Niederlassung in Dubai eine Tochtergesellschaft des in Genf ansässigen Unternehmens ist und der designierte Direktor («Nominee Director») der Niederlassung in Dubai, damals ein Schweizer Staatsbürger, «nach den Anweisungen des Aktionärs [Anm.: Paramount in Genf, also Niels Troost] handelt und Dokumente unterzeichnet und Zahlungen ausführt, die der Aktionär von Zeit zu Zeit im Rahmen sämtlicher Geschäftstätigkeiten des Unternehmens [Paramount in Dubai] verlangen kann».
Niels Troost gab gegenüber Public Eye an, nicht in Kenntnisse zu sein bezüglich einer «Untersuchung durch jegliche Behörden betreffend eine Verletzung oder Umgehung von Sanktionen durch Paramount SA oder Paramount DMCC». Zudem habe er keinen Grund zu glauben, dass eine solche Untersuchung im Gang sei.
Der Retter der Ukraine?
Fühlte sich Niels Troost mit seinen Geschäften mit russischem Öl zu exponiert? Hatte er sich deshalb damals entschieden, sich nun auf den Getreidehandel zu konzentrieren und dafür das Joint Venture mit Almaz Alsenov genutzt?
Nach dem Einmarsch der Russen berichtete Harvest Commodities SA ausführlich über ihre Geschäftstätigkeiten zugunsten der Ukraine. Im August 2022 lobte sich das Genfer Unternehmen in einer Pressemitteilung, die in 10 Sprachen übersetzt wurde, dass es im Rahmen einer Partnerschaft mit der indonesischen Arsari Group zwei Schiffe (Riva Wind und Arizona) in den ukrainischen Häfen Odesa und Tschornomorsk gechartert habe. Deren Fracht, insgesamt 105’000 Tonnen Mais mit Destination Türkei, zählten im Rahmen der Schwarzmeer-Getreideinitiative («Black Sea Grain Initiative», kurz BSGI) zu den ersten kommerziellen Lieferungen aus der Ukraine seit Kriegsbeginn. Für das gemäss eigenen Angaben «internationale Handels- und Vertriebsunternehmen» eine erfolgreiche Medienkampagne, die auch von der Financial Times übernommen wurde – inklusive Foto der Riva Wind.
Im Juli 2023 entschied Moskau, aus der BSGI auszusteigen, was Kyjiw zwang, andere Lösungen zu finden. Im Januar 2024 begrüsste der ukrainische Minister für Agrarpolitik die schrittweise Wiederaufnahme der Getreideexporte über einen vorübergehenden Korridor im Schwarzen Meer, der «dank der Unterstützung der Streitkräfte und dem Vertrauen der internationalen Partner» ermöglicht wurde. In diesem Zusammenhang wurde Niels Troost als «Investor von Harvest Commodities SA» und einer dieser Partner vorgestellt. «Wir hatten vollstes Vertrauen in diese Projekte und haben als eine der ersten sofort zugestimmt, mit unseren ukrainischen Partnern zusammenzuarbeiten», liess sich Troost zitieren. Publik wurde damals auch, dass Harvest Commodities SA im Donauhafen von Ismail, kurz vor der Mündung ins Schwarze Meer, Getreidelager bauen wollte.
«Unsere Investitionen in lokale Infrastrukturen und Logistik ermöglichen nicht nur die Schaffung von Arbeitsplätzen und bringen Devisen in die Region, sondern stellen auch sicher, dass ukrainisches Getreide weiterhin eine wichtige Rolle in der Versorgung der Drittwelt-Länder, einschliesslich Afrikas spielt», schrieb Troost voller Begeisterung. Auf der ukrainischen Website, die darüber berichtete, wurde präzisiert, dass Harvest Commodities SA seit 2021 «mehr als 350’000 Tonnen ukrainisches Getreide in die Türkei, nach Ägypten, China, Italien, Georgien und Kroatien exportiert» habe. Public Eye gegenüber liess Niels Troost verlauten, dass es zwischen Mai 2021 und Januar 2024 über 709 000 Tonnen ukrainisches Getreide gewesen seien.
Seither ist nichts mehr über die Aktivitäten das Genfer Unternehmens in der Ukraine durchgesickert. Auf Rückfragen zu den Investitionen im Hafen von Ismail erklärte eine ukrainische Quelle, dass «Harvest Commodities zu dieser Zeit zwar in Ismail präsent war, aber nichts dergleichen umgesetzt wurde». «Es gab viele Gespräche und Versprechen, aber das Projekt wurde nie verwirklicht. Wir haben uns gefragt, was wohl passiert sein mag», fügt die Person hinzu. Troost gibt an, dass er die Intention hatte, «das Unternehmen im Projekt [Anm.: in Ismail] als externer Geldgeber zu unterstützen». Dies sei jedoch, nachdem er im Februar 2024 in Grossbritannien sanktioniert wurde, bedauerlicherweise nicht mehr möglich gewesen.
Die Rue de Villereuse
Niels Troosts offensiv kommunizierte Unterstützung für die Ukraine mag überraschen. Bisher hatte der niederländische Händler seine Geschäfte fast ganz auf Russland ausgerichtet und profitierte dabei von hochkarätigen Verbindungen in der Ölbranche.
Ansässig ist der Händler immer noch in der Schweiz. In Conches (Genf) besitzt er ein Haus und seine Villa in Thônex wurde im März 2023 für 4,4 Millionen Franken verkauft, wie aus dem Grundbuch hervorgeht. Troost konnte offenbar auf dasselbe Genfer Netzwerk zurückgreifen, welches er auch für den Handel mit russischem Öl nutzte. Paramount Energy & Commodities SA und Harvest Commodities SA sind nämlich beide an derselben Rue de Villereuse registriert, von wo aus Maurice T. zahlreiche Firmen verwaltet. Der ehemalige Banker und Spezialist für die Beratung von Unternehmen, die im Handel mit den Ländern der ehemaligen UdSSR (vor allem Russland) tätig sind, hat beide Unternehmen dort eingetragen und verwaltet - die erste bis Juni 2024, die zweite bis März 2024. Im Juli 2022 hielt er sogar persönlich 4% des Kapitals der Harvest Commodities SA, wie aus dem oben erwähnten Aktionärsregister hervorgeht. Von Juli 2018 bis Juni 2024 war er zudem Verwaltungsratsmitglied der Harvest Group SA in Morges und von April 2019 bis September 2024 Verwaltungsratsmitglied der Agrofood Holding SA – gemeinsam mit dem ehemaligen Judoka Almaz Alsenov. Auf Anfrage wollte sich Maurice T. nicht zu unseren Fragen äussern.
Auch die Vergangenheit von Harvest Commodities SA ist höchst interessant. Unter dem Vorsitz von Almaz Alsenov und der Verwaltung von Maurice T. hiess das Unternehmen von seiner Gründung im April 2018 bis März 2020 noch Sun Oil SA. Bis März 2019 zählte es zwei russische Verwaltungsräte: Aleksandr B. und Elena A., die beide ihre Karriere im russischen Ölhandel gemacht hatten. Ersterer besitzt mittlerweile die Schweizer Staatsbürgerschaft und war von 2012 bis 2013 stellvertretender Abteilungsleiter bei Rosneft, dem staatlichen russischen Ölriesen. Danach leitete er von 2016 bis 2018 Areti Energy SA, die Genfer Tochtergesellschaft des gleichnamigen, auf Gashandel spezialisierten Konzerns. In seinem LinkeIn-Profil wird die Tätigkeit bei Sun Oil SA/Harvest Commodities SA nicht erwähnt.
Elena A. wiederum, die heute israelische Staatsbürgerin ist und in Wien lebt, hatte bei Rosneft eine hohe Position als Leiterin der Abteilung für den Handel mit Rohöl und Raffinerieprodukten inne. Im Februar 2022, nur wenige Tage vor der russischen Invasion der Ukraine, liess das Duo in Genf eine Ölhandelsfirma namens Astra Energy Group SA registrieren, deren Tochtergesellschaft in Dubai heute auch im Getreidehandel tätig ist.
Schon zu Beginn seiner Karriere schipperte Almaz Alsenov in russischen Gewässern. Neben dem nebulösen Konzern Harvest ist er seit 2016 Verwaltungsratspräsident der AR Ascent Resources SA, die in Morges an der gleichen Adresse wie die Harvest Group SA registriert ist. Zu den Verwaltungsratsmitgliedern dieses Rohstoffhändlers gehörte bis April 2019 auch Rashid Karsakov, Gründer eines der grössten russischen Getreidehandelshäuser aus der Region Wolgograd.
Hochriskante Geschäfte mit Russland
Während die Harvest Commodities SA ihre Tätigkeiten zugunsten der Ukraine in den Vordergrund stellte, kam ihr Geschäft mit Russland nicht gänzlich zum Erliegen. In einer Pressemitteilung vom August 2022 über seine Beteiligung an der Schwarzmeer-Getreideinitiative gab das Genfer Handelshaus an, zwei Schiffe gechartert zu haben, die «Getreide aus Noworossijsk in Russland geladen haben, welches Harvest Commodities gehört.» Dies waren die Frachter Shark mit 25’000 Tonnen Getreide sowie Bronco mit 10’000 Tonnen. In einer Kundenbroschüre («Corporate Profile Harvest Commodities SA»), die uns vorliegt, präsentierte sich Harvest Commodities SA als «einer der grössten Käufer von russischen und ukrainischen Agrarprodukten». Das Unternehmen gab ausserdem sieben Getreidehafen-Terminals an, wo es Handel trieb, darunter vier in Russland.
Dank dem Recherchedesk The Counter der niederländischen NGO SOMO konnten wir Daten aus der Exportdatenbank GlobalWits einsehen, in der unter anderem Informationen von diversen Zollbehörden gebündelt werden. Dort wie auch in einer weiteren konsultierten Handelsdatenbank taucht Harvest Commodities nicht auf. Die Harvest Group SA und ihre Filiale in den Vereinigten Arabischen Emiraten aber schon.
Gemäss GlobalWits hat die Harvest Group zwischen Mai 2022 und Januar 2024 über 60 Ladungen russisches Getreide gekauft. Ihre beiden Hauptlieferanten waren der Gigant Demetra Trading und Grain Gates, zwei Unternehmen, die laut russischen Medien miteinander verbunden sind. Erstere wies bis Juli 2023 noch die mehrheitlich in russischem Staatsbesitz befindlich Bank VTB als Aktionärin aus. Seit 2022 ist die Bank in den USA, der EU sowie der Schweiz sanktioniert. Bis August 2023 zählte auch der ebenfalls sanktionierte Milliardär Alexander Winokurow, Schwiegersohn des russischen Aussenministers Sergej Lawrow, zu den Aktionären von Demetra. Grain Gates wird von einem ehemaligen Top-Manager der Demetra Trading geleitet und tauchte nach der russischen Invasion auf der Bildfläche auf. Heute ist es die Nummer eins im russischen Getreideexport. Im Juli und August 2023 hatte eine der Niederlassungen der Harvest Group SA, die ME Harvest Trading FZE in den Vereinigten Arabischen Emiraten, ebenfalls knapp 30 Geschäfte mit Russland abgewickelt. Das macht insgesamt knapp 90 Ladungen, was nach unseren Schätzungen etwa 3 Millionen Tonnen Getreide entspricht. Diese Zahl übersteigt die in Kasachstan erworbenen Mengen, dem zweitwichtigsten Markt der Harvest Group SA.
Und noch ein anderes Unternehmen erregte unsere Aufmerksamkeit: Harvest Trading SPC. Von Januar bis Juli 2024 kaufte dieser in Oman registrierte Händler nämlich über 40 Ladungen russischen Mais und russische Gerste. Der Händler wurde just zu dem Zeitpunkt aktiv, als die Harvest Group SA unter diesem Namen ihre Exporte aus Russland einstellte. Auch Harvest Trading SPC bezog ihre Rohstoffe fast ausschliesslich von Grain Gates, einem der beiden Lieferanten des in Morges angesiedelten Konzerns. Was uns vermuten lässt, dass es sich dabei um eine mit der Harvest Group SA liierte Firma handeln könnte.
Dass der Handel mit russischem Getreide seit Beginn von Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine ein hochriskantes Geschäft ist, wissen wir schon aus einer früheren Recherche. Diese Geschäfte unterliegen zwar keinen Sanktionen. Die russischen Besatzer plündern jedoch systematisch Getreide in den besetzten ukrainischen Gebieten, insbesondere in den Regionen Luhansk und Saporischschja. Der Grossteil dieser geplünderten Rohstoffe gelangen schliesslich als vermeintlich russische Ware dank verschiedener Taktiken zur Verschleierung der ukrainischen Herkunft auf den Weltmarkt. So wird beispielsweise Getreide nach Russland transportiert und in den Schwarzmeerhäfen mit russischem Getreide vermischt. Dies geschieht auch durch Schiff-zu-Schiff-Transfers.
Die grössten Agrarhandelshäuser waren gezwungen, ihre eigene Beschaffung in Russland einzustellen, hauptsächlich weil der russische Staat seine Kontrolle über den eigenen Getreideexport vergrössern wollte und es ausländischen Unternehmen zunehmend die Ausfuhr erschwerte. Zudem drohte die russische Regierung, ausländische Niederlassungen zu verstaatlichen, sollten die Unternehmen nicht bereit sein, diese (oft unter Wert) zu verkaufen. Mittlerweile sind Akteure mit intransparentem Profil die Hauptakteure im russischen Getreidehandel.
Die mysteriösen Iran-Reisen der Harvest Legacy
In den konsultierten Datenbanken ist nicht immer ersichtlich, in welches Land die von der Harvest Group SA exportierten russischen Rohstoffe geliefert wurden. Wo diese angegeben sind, liegen die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate an erster Stelle, gefolgt von Ländern in Afrika und im Nahen Osten. Der Iran erscheint nicht als Exportdestination der Harvest Group.
Zur grösstenteils gecharterten Flotte der Harvest Group SA gehören auch zwei Schiffe im Eigenbesitz des Konzerns, darunter die Harvest Legacy. Durch Schiffs-Tracking-Tools konnten wir nachzeichnen, dass dieser unter panamaischer Flagge fahrende Massengutfrachter zwischen Januar und Juni 2024 regelmässig zwischen Russland und dem Iran unterwegs war. Dreimal lief er dabei den Getreideterminal von Bandar Imam Khomeini an, einer iranischen Stadt am Persischen Golf. Am Terminal von Taman in der Meerenge von Kertsch, die die annektierte Krim mit dem russischen Festland verbindet, wurde der Frachter mit russischem Getreide versorgt.
Wie wir in einer früheren Recherche gezeigt haben, nutzt Moskau diesen Ort nicht nur für reguläre Getreideexporte, sondern auch, um geplündertes ukrainisches Getreide zu exportieren, weshalb er für Geschäfte mit Russland als äusserst riskant gilt.
Auf der Website der Harvest Group SA finden die Geschäfte mit dem Iran keine Erwähnung. Wir konnten allerdings ein Unternehmen namens Harvest Pars Middle East ausfindig machen, welches 2016 in Teheran registriert wurde. Ein Dokument, welches wir einsehen konnten, zeigt, dass unter den wirtschaftlich Berechtigten ein gewisser «Olmaz Alsnof» ist – ein Name, der sehr an eine buchstäbliche Transliteration von Almaz Alsenov erinnert.
Das Ölgeschäft unter den Teppich gekehrt
Um den in Morges ansässigen Konzern ranken sich weitere Rätsel. So war bis letzten Sommer auf der Website der Harvest Group SA als eine der Geschäftstätigkeiten auch der «Handel [von Rohöl und Raffinerieprodukten] von und nach Afrika, Europa und Zentralasien» aufgeführt. Mit der russischen Suchmaschine Yandex ist die diesen Ölhandel erwähnende Unterseite noch auffindbar).
Klickt man den Link, ist die Seite zwar nicht mehr verfügbar; mithilfe der Cache-Funktion konnten wir jedoch eine vom 6. August 2024 datierende Kopie der Seite wiederherstellen. Sie zeigt das Foto eines Öltankers mit folgendem Text (Original in Englisch): «Rohöl und Ölprodukte spielen eine wichtige Rolle in der Weltwirtschaft. Sie sind für Transport, Energieerzeugung, Stromerzeugung und für die Versorgung von Industrieprozessen unerlässlich. Das Unternehmen konzentriert sich auf Lieferungen von und nach Afrika, Europa und Zentralasien und geht dabei Partnerschaften mit einer ausgewählten Gruppe von Direktlieferanten und Endnutzern ein. Das Unternehmen übt seine Tätigkeit unter strengster Wahrung der internationalen Sanktionen in Zusammenhang mit Öl und Ölprodukten aus.»
All dies wirft Fragen auf: Wollte Niels Troost wirklich mit dem Ölhandel abschliessen, als er neben Almaz Alsenov Aktionär der Harvest Commodities SA wurde? In den erwähnten Exportdaten taucht die Genfer Harvest Commodities nirgends als Käufer von Öl oder Raffinerieprodukten auf, weder in Russland noch in anderen Ländern. Dasselbe gilt für die Harvest Group SA und andere verwandte Unternehmen.
Niels Troost erklärte Public Eye gegenüber, dass «Harvest Commodities nie im Ölhandel tätig war».
Unerklärt bleibt auch die Beharrlichkeit, mit der die Harvest Group SA ihre Website in den letzten Wochen bereinigt hat. Ende Oktober waren unter der Rubrik «Kontakte» noch die Adressen der Büros in der Schweiz, Kasachstan, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, sowie Serbien und Polen gelistet. Nun sind nur noch die Niederlassungen Kasachstan und Serbien übrig. Auch die Geschichte der Gruppe wurde um ein Datum gekürzt: 2008, das Jahr ihrer Gründung in Dubai.
Auch die Harvest Group haben wir mit Fragen kontaktiert. Das Unternehmen antwortete, dass es keinen Kommentar abgeben möchte.
Eine kuriose Liquidation vor dem Hintergrund einer abenteuerlichen Geschichte
Zu guter Letzt: Laut Genfer Handelsregister ist Harvest Commodities SA am 14. Oktober in Liquidation gegangen. Dies könnte mit den anhaltenden Schwierigkeiten von Niels Troost zusammenhängen. Neben seinen Sorgen wegen der Sanktionen und der Eröffnung einer Voruntersuchung durch die Schweizer Bundesanwaltschaft befindet sich der holländische Händler auch in einer abenteuerlichen öffentlichen Schlammschlacht. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet hat, reichte er im Mai 2024 in Kalifornien eine Beschwerde gegen die Kanzlei seines ehemaligen Partners ein. Im Sommer 2022 hatte der Geschäftsmann indischer Herkunft mit Wohnsitz in den USA für 50'000 CHF die Hälfte der Anteile von Paramount Energy & Commodities SA erworben und kontrollierte zu diesem Zeitpunkt auch 26% des Kapitals von Harvest Commodities SA (über die oben erwähnte in Tannay registrierte Firma). Diese Beteiligung wurde im Mai 2023 annulliert. Troost begründet dies damit, dass sein kurzzeitiger Geschäftspartner, der sich als CIA-Agent ausgegeben und ihm optimalen Schutz vor den US-Behörden versprochen habe, ein Betrüger war. Diese Geschichte, die einer schlechten Fernsehserie entsprungen sein könnte, gab Anlass zu einem Artikel des Wall Street Journal und liest sich wie das Drehbuch zu einer schlechten Fernsehserie. Anfang Dezember 2024 berichtete auch der auf Wirtschaftskriminalität spezialisierte Online-Dienst Gotham City darüber.
Unseren Informationen zufolge vertritt dieser ehemalige Partner jedoch eine ganz andere Version von dieser Geschichte und hat in der Schweiz mehrere Zivilklagen angestrengt, um seine Anteile an den Unternehmen zurückzuerhalten. Zudem reichte er eine Strafanzeige gegen Niels Troost ein - wegen Verleumdung und übler Nachrede. Seine Anwälte sollen ausserdem eine dicke Akte mit internen Dokumenten von Paramount Energy & Commodities aus Genf und Dubai an diverse Adressaten verschickt haben: die US- Behörde, welche für die Vollstreckung von Sanktionen zuständig ist, an das niederländische Anti-Geldwäscherei-Büro und in der Schweiz an das Seco sowie Strafverfolgungsbehörden. Darunter finden sich auch alle zwischen Juli 2022 und Mai 2023 geleisteten Zahlungen der beiden Handelsfirmen. Diese Informationen könnten Licht ins Dunkel der Verbindungen von Troosts Firmen zu verschiedenen Unternehmen in Russland bringen.
*Nachtrag nach der Publikation
Am 16. Dezember 2024 hat die Europäische Union Niels Troost ebenfalls auf die Liste der sanktionierten Personen gesetzt, genauso wie mehrere mit ihm in Verbindung stehende Einheiten: Paramount Energy & Commodities SA (PECSA), Paramount Energy & Commodities DMCC, Livna Shipping, BAP LTD sowie Cesco Holding SA. Die Gründe dafür lauten: «Im Juni 2022 übernahm Paramount DMCC nahtlos die Ölgeschäfte von PECSA mit Russland und führte diese weiter, was zeigt, dass PECSA sein Tochterunternehmen Paramount DMCC sowohl operativ als auch strategisch eng und direkt kontrollierte. Paramount DMCC hat wiederholt nach dem Inkrafttreten mit russischem Öl oberhalb des Preisdeckels gehandelt. Zudem steht Niels Troost mit Livna Shipping Ltd in Verbindung, die ebenso nach dem Inkrafttreten mit russischem Öl oberhalb des Preisdeckels handelten.» In der Liste der Europäischen Union findet sich als «assoziierte Person» auch Maurice T., der Genfer Berater und Verwalter von Niels Troost.
* Wir verwenden für die Ortschaften in der Ukraine die Transliteration aus dem Ukrainischen anstatt der vielerorts üblichen russischen Transliteration (z.B. Odesa anstatt Odessa).
** Wir danken der NGO SOMO und ihrem Recherche-Helpdesk The Counter für die im Rahmen dieser Recherche bereitgestellten Daten und Informationen. Die inhaltliche Verantwortung liegt ausschliesslich bei den Autor*innen des Textes.