Kaffeebauern in Mexiko: Das zähe Ringen um ein Einkommen, das zum Leben reicht

Seit Jahren leiden die Bäuerinnen und Bauern, die in der Region Soconusco im Süden Mexikos Kaffee für Nescafé anbauen, unter Tiefstpreisen, die sie in Armut halten. Nach monatelangen Protesten und öffentlichem Druck ist ihnen Nestlé im Herbst ein Stück entgegengekommen. Doch der Konzern ist nicht bereit, Preismechanismen einzuführen, die den Kaffeeproduzent*innen das Menschenrecht auf ein existenzsicherndes Einkommen garantieren würden.
© Damián Sánchez/Public Eye
Bei Protestaktionen in Tapachula verbrennen Bäuerinnen und Bauern Kaffeesäcke mit der Aufschrift «Nescafé Plan». Auf dem Banner steht: «Wenn Armut eine Tatsache ist, ist Demonstrieren ein Recht.»

Florian Blumer und Carla Hoinkes, 15.1.2025

Als wir die Zeile gelesen hatten, rieben wir uns ungläubig die Augen. «Die Angelegenheit wurde zur Zufriedenheit aller Beteiligten gelöst», liess Nestlé im April 2024 gegenüber der Westschweizer Zeitung «Le Courrier» verlauten. Dieser Satz prangte so in der Folge auch auf der Website des Konzerns.

Die Angelegenheit: Zwei Monate zuvor waren Bäuerinnen und Bauern im mexikanischen Bundesstaat Chiapas auf die Strasse gegangen, um gegen die ruinösen Preise zu protestieren, die Nestlé ihnen für den Kaffee bezahlt. Viele der Protestierenden nehmen seit Jahren am «Nescafé Plan» teil, der laut Nestlé durch Massnahmen wie Schulungen und Gratissetzlinge das Leben hunderttausender Kaffeeproduzent*innen weltweit verbessert haben soll und den Konsument*innen 100% «verantwortungsvoll beschafften» Kaffee verspricht. Doch die Bauernfamilien im Soconusco sind heute bitter enttäuscht von Nestlés Vorzeigeprogramm, das ihnen keine höheren Einkommen bescherte. Ganz im Gegenteil: Weil Nestlés Einkaufspreise oft unter den Produktionskosten liegen, kommen viele Bauernfamilien in der Region kaum mehr über die Runden und fürchten, ihre Farmen aufgeben zu müssen. Dies stellten wir bei unserem Besuch vor Ort fest.

Nestlé diktiert den Produzent*innen die Preise

Mit ihren lautstarken Protesten konnten die Produzent*innen im Februar ein Treffen mit Nestlé-Vertretern erzwingen. Zuvor hatte sich der Konzern jeglichem Austausch verweigert und die Verantwortung auf die lokalen Kaffee-Zwischenhandelsfirmen geschoben. Schliesslich ist der Konzern eingeknickt, denn es zeigte sich klar, dass nicht sie, sondern Nestlé – der einzige Abnehmer dieses Kaffees – die Preise diktiert.

Doch die Zusammenkunft in Tuxtla Gutierrez, der Hauptstadt von Chiapas, verlief dann enttäuschend. Das berichtete uns Julio Castillo, der als Vertreter der protestierenden Bauern dabei war: Diese fuhren mit schönen Worten, aber ohne Preiserhöhung wieder nach Hause. Statt auf die moderate Forderung nach einem «fairen» Preis von 35 Pesos pro Kilo (damals 1.50 Franken) einzugehen, beharrte Nestlé auf dem Preis von 32 Pesos, der kaum zur Deckung der Produktionskosten ausreichte. Die Produzent*innen erhielten damit keinen Peso mehr als im Vorjahr – obwohl der Preis von Robusta-Kaffee auf den internationalen Märkten im selben Zeitraum um rund 50% gestiegen war.

© Damián Sánchez/Public Eye
«Reicher Konzern und arme Kaffeebauern – das kann nicht sein». Erste Zusammenkunft der Kaffeeproduzent*innen am 18.1.2024.

Die auch gegenüber «Kassensturz» von SRF geäusserte Behauptung von Nestlé, dass die Angelegenheit im Februar «gelöst» worden sei, bezeichnete Julio Castillo denn auch als «blanke Lüge». Derer Konzern hat die Falschaussage, nachdem wir mehrfach darauf gedrängt hatten, erst im November auch von seiner Website gelöscht.

Öffentlicher Druck durch Public Eye wirkt

Um mit Blick auf die folgende Erntesaison weiter Druck auf Nestlé auszuüben, sammelten die Bauern Unterschriften, dazu erregte die Berichterstattung von Public Eye einige Medienaufmerksamkeit in der Schweiz und in Mexiko. Dies führte zu weiteren Treffen zwischen Nestlé und den Bäuerinnen im letzten Herbst. Angesichts der fortschreitenden Inflation und einem Börsenpreis für Robusta, der unterdessen noch einmal um 50% gestiegen war, erhöhten sie ihre Preisforderung auf 50 Pesos. Anfang November teilten ihnen die Zwischenhändler dann den Startpreis für die neue Erntesaison mit: 45 Pesos pro Kilo (Fr. 1.90).

Sie seien damit zwar nicht zufrieden, sagte uns Julio Castillo, aber sie könnten mit diesem Preis leben. Und er fügt an, dass die Preiserhöhung ohne die Proteste und den Druck aus der Schweiz undenkbar gewesen wäre. Denn allzu oft habe Nestlé in der Vergangenheit – trotz gegenteiliger Versprechen –nicht einmal höhere Börsenpreise an die Bauern weitergegeben.

Doch Julio Castillo ist sich bewusst, dass es sich nur um eine kurzfristige Lösung handelt. So ist unklar, was passiert, sobald der Druck auf Nestlé nachlässt und der Börsenpreis wieder sinkt. Wie Millionen Kaffeebäuerinnen und -bauern sind auch die Produzent*innen in Chiapas damit den Preisschwankungen auf dem Weltmarkt ausgeliefert, die durch die massiven Auswirkungen des Klimawandels auf die Ernteerträge noch grösser werden. Dennoch ist Nestlé – wie die allermeisten Kaffeekonzerne – nach wie vor nicht bereit, seine Beschaffungspraxis grundlegend zu überdenken und Preismechanismen einzuführen, die den grossmehrheitlich schon heute in Armut lebenden Familien ein stabiles, existenzsicherndes Einkommen garantieren würden.

Dass die Sicherstellung dieses Menschenrechts einem Konzern nicht möglich sein soll, der mit dem Verkauf von Kaffee jedes Jahr Profitmargen in Milliardenhöhe erzielt, wollen die Bäuerinnen und Bauern im Soconusco nicht verstehen. Wie hat es eine Bäuerin im Rahmen der Proteste formuliert? «Wir verlangen ja nicht nach den Perlen der heiligen Jungfrau! Alles, was wir fordern, ist ein fairer Preis, der uns in Würde leben lässt.»

Das würde die Konzernverantwortungsinitiative bewirken 

Die Initiative verpflichtet die Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte in ihrer Wertschöpfungskette. Zu diesen international verankerten Rechten zählt auch das Recht auf faire und angemessene Arbeitsbedingungen, einschliesslich eines existenzsichernden Einkommens für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Konzerne wie Nestlé könnten nicht länger die Augen verschliessen vor unwürdigen Arbeitsbedingungen im Kaffeeanbau.