Handelspolitik und die Schweiz
Die schweizerischen Forderungen nach Handelsliberalisierung sind scheinheilig und von egoistischen Motiven geprägt. Dies zeigt sich deutlich beim Agrarhandel, wo die Schweiz plötzlich nichts mehr von Freihandel wissen will und zu den weltweit grössten Protektionistinnen gehört. Dies ist legitim – nur muss sie dann auch akzeptieren, dass andere Länder im Industrie- oder Dienstleistungsbereich ihren Grenzschutz aufrechterhalten möchten. Auch drängt sie beispielsweise Länder des Südens zu Marktöffnungen in den entwicklungspolitisch heiklen Finanz- und Tourismussektoren.
Unterschieden wird zwischen multi-, und bilateraler Handelspolitik. Für die multilateralen Handelsregeln und deren Durchsetzung ist die Welthandelsorganisation WTO zuständig, deren Mitglieder die allermeisten Staaten umfassen. Handelsverträge zwischen zwei Ländern oder Ländergruppen werden mit bilateralen Freihandelsabkommen vereinbart. Sie gehen bei der Handelsliberalisierung zwischen den Vertragspartnern weiter als die multilateralen Regeln.
Die Schweiz als Kämpferin für starken Patentschutz
In multi- und bilateralen Verhandlungen kämpft die Schweiz jeweils an vorderster Front für einen stärkeren Schutz von geistigen Eigentumsrechten. Dies entspricht jedoch kaum den Bedürfnissen der Länder im Süden. Im Gegenteil: In der Landwirtschaft führt dies zur Verringerung bäuerlicher Saatgut-Autonomie mit einschneidenden Konsequenzen für das Recht auf Nahrung. Starke Eigentumsrechte verzögern auch die Einführung günstiger Generika, was den Zugang zu erschwinglichen Medikamenten erschwert. Und sie verhindern eine gerechte Verteilung von Impfstoffen und Behandlungen im Fall von globalen Pandemien.
Dies hat sich während der Covid-19-Pandemie schmerzlich gezeigt: Ein von Indien und Südafrika in der WTO eingebrachter Vorschlag für eine vorübergehende Aussetzung des Schutzes des geistigen Eigentums (TRIPS-Waiver) während der Pandemie wurde von einigen reichen Ländern – allen voran der Schweiz – vehement bekämpft. Eine solche Ausnahmeregelung hätte die Impfstoff- und Medikamentenproduktion durch neue Hersteller, insbesondere im globalen Süden, bedeutend erleichtert. Daher hat sich Public Eye in der Schweiz über Monate für den TRIPS-Waiver eingesetzt, u.a. mit einer Petition, die den Bundesrat aufforderte, seinen Widerstand gegen einen zeitlich begrenzten Verzicht auf Patente für Corona-Behandlungen aufzugeben und damit die Gesundheit aller Menschen über die Profite einiger Pharmakonzerne zu stellen. Doch auch während der entscheidenden WTO-Ministerkonferenz ist die Schweiz von ihrer Blockadehaltung nicht abgewichen und hat damit eine umfassende Lösung für einen gerechten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen verhindert.
Auch bei bilateralen Freihandelsabkommen geht die Schweiz forsch vor, wenn es um den verstärkten Schutz von geistigem Eigentum geht. So stellt sie in den entsprechenden Verhandlungen zwischen der EFTA und Indien Forderungen, die darauf hinauslaufen, die Einführung günstiger Generika zu behindern und zu verzögern. Selbst dem EFTA-Partner Norwegen gingen diese Forderungen zu weit. Das Land hat sich aus den Patentschutzverhandlungen zurückgezogen. Dies mit gutem Grund, warnen doch diverse UNO-Menschenrechtsgremien, Fachleute der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Nichtregierungsorganisation Ärzte ohne Grenzen seit längerem vor den negativen Folgen der sogenannten TRIPS-plus-Bestimmungen (d.h. Forderungen im Rahmen von bilateralen Handelsabkommen, die über das multilateral ausgehandelte Abkommen TRIPS hinausgehen) auf das Recht auf Gesundheit. Dessen ungeachtet behauptet die Schweiz keck, ihre Forderungen würden den Zugang zu neuen Medikamenten langfristig fördern und einen angemessenen Schutz des Rechts auf Gesundheit garantieren. Selbst wissenschaftliche Erkenntnisse können der trotzigen Haltung der Schweiz nichts anhaben. So warnte bereits 2010 ein Artikel in der Fachzeitschrift «Journal of the International AIDS Society» basierend auf einer umfangreichen Untersuchung: «Freihandelsabkommen, die neue Patentschutzverpflichtungen für Indien schaffen, können Aids-Medikamente verteuern, die Entwicklung von angemessenen Verabreichungsformen verhindern und den Zugang zu neueren und besseren Medikamenten verzögern.»
Die Schweiz ist auch an vorderster Front dabei, wenn es darum geht, über das restriktive UPOV-System weltweit strenge Sortenschutzgesetze in der Landwirtschaft zu verbreiten. Das patentähnliche UPOV-System kriminalisiert Landwirt*innen weltweit, wenn sie ihr Saatgut wiederverwenden. In Freihandelsabkommen drängt die Schweiz Partnerländer, die UPOV-Regeln umzusetzen und damit das Recht auf Saatgut in ihren Ländern massiv einzuschränken. Dies ist im Falle der EFTA-Staaten geradezu zynisch, da Liechtenstein die UPOV-Regeln gar nicht umsetzt und Norwegen nur in einer abgeschwächten Form, welche ihren Bauern und Bäuerinnen mehr Freiheiten zugesteht. Selbst die Schweiz hat die Regeln so interpretiert, dass sie dem UPOV-Standard nicht genügen. Die EFTA-Staaten verlangen von ihren Handelspartnern somit strengere Gesetze, als sie selber bereit sind umzusetzen.