Congo Hold-up: 2. Folge Die Schweiz als Hinterzimmer der kongolesischen Wahlintrigen

Seit ihrer Gründung hat die Unabhängige Nationale Wahlkommission (CENI) der Demokratischen Republik Kongo ihre Grundsätze der Unabhängigkeit und Neutralität nie eingehalten. Sie ist ein Instrument in den Händen des Clans des ehemaligen Präsidenten Joseph Kabila und wird verdächtigt, in hohem Ausmass öffentliche Gelder veruntreut zu haben. Die Schweiz spielte bei dieser Misswirtschaft eine nicht unerhebliche Rolle, wie aus Dokumenten der kongolesischen BGFIBank hervorgeht, die von einem Konsortium aus internationalen Medien und NGOs, darunter Public Eye, analysiert wurden. In Lausanne und Aarau wurde diskret ein gigantischer Wahlkampfdeal ausgehandelt, der es Präsident Kabila ermöglichte, seine Amtszeit um zwei Jahre zu überziehen. Und es war eine Genfer Bank, in der Millionen Dollar für einen Vertrag landeten, den die CENI-Führung unter der Hand ausgehandelt hatte. Dies ist die zweite Folge unserer Serie «Congo Hold-up».

Willkommen im «Hauptquartier der Demokratie»! In Kinshasa ist die Unabhängige Nationale Wahlkommission (CENI) in einem imposanten vierstöckigen blauen Gebäude untergebracht und hat an ihrer Fassade riesige Schilder angebracht, die ihre Expertise für die Organisation «transparenter, glaubwürdiger und friedlicher Wahlen» anpreisen. Doch seit ihrer Gründung im Jahr 2005 hat diese Institution – die damals noch CEI hiess – in anderer Hinsicht von sich reden gemacht. Whistleblower*innen, Medien, NGOs und Oppositionsparteien bezeichnen sie als Hochburg der politischen Intrigen und der finanziellen Misswirtschaft. Die CENI, die hauptsächlich im Dienst des Kabila-Clans stand, ist nicht in der Lage, ihr stattliches Budget zu verwalten. Sie wird der Korruption zugunsten ihrer Führung beschuldigt.

Ein staatlicher Geldregen

Public Eye und seine Partner von «Congo Hold-Up» hatten Zugang zu mehr als 3,5 Millionen Dokumenten, in denen die internen Korruptionsmechanismen der BGFIBank RDC, der kongolesischen Tochter der BGFIBank aus Gabun und Sparschwein des Kabila-Clans, ausführlich beschrieben sind. Einige dieser Daten wurden von PPLAAF, einer Plattform zum Schutz von Whistleblower*innen in Afrika, und EIC, dem europäischen Netzwerk für journalistische Investigation, mit Public Eye geteilt– und sie bestätigen: Bei den letzten Wahlzyklen, 2011 und 2018, verschlang die CENI Hunderte Millionen Dollar an staatlichen Ressourcen und internationalen Fonds und verteilte nach Belieben Aufträge an Dutzende von Unternehmen mit zweifelhaften Kontakten. Im Jahr 2017 wurden die Kosten für die Präsidentschafts-, Parlaments- und Provinzwahlen 2018 von der CENI selbst auf 1,3 Milliarden US-Dollar geschätzt, wovon fast 400 Millionen allein auf die Registrierung von Wähler*innen im Wählerverzeichnis entfielen. Die CENI hat sich zudem in haarsträubender Weise verschuldet und dient der BGFIBank RDC, bei der sie ihre wichtigsten Bankkonten unterhält, als «Milchkuh». Der Whistleblower Jean-Jacques Lumumba hatte 2016 aufgedeckt, dass diese Bank ihr illegal ein Darlehen in Höhe von 25 Millionen US-Dollar zu einem sehr hohen Zinssatz von 8,5% gewährt hatte, was die CENI sehr teuer zu stehen kam. Drei Mitarbeitende der CENI hatten in der Folge nicht weniger als 7,5 Millionen US-Dollar in bar abgehoben. 

Die von Schulden geplagte CENI ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ihre Angestellten müssen regelmässig unbezahlte Gehälter und Stromausfälle am Arbeitsplatz hinnehmen. Und die Aussichten, dass die CENI sich von den Machthabern emanzipiert, sind gering. Der im Oktober letzten Jahres gewählte Präsident: Denis Kadima wird von der Opposition als enger Vertrauter von Felix Tshisekedi betrachtet, dem derzeitigen Staatschef, der 2023 erneut kandidieren wird.

© AP Photo/Jerome Delay
Nach seiner Vereidigung in Kinshasa nimmt Felix Tshisekedi am 24. Januar 2019 vom scheidenden Präsidenten Joseph Kabila die Präsidentenschärpe entgegen. Seine Wahl wurde aufgrund von Unregelmässigkeiten bei der Stimmabgabe stark kritisiert.

Wie «Congo Hold-Up» enthüllt, spielte die Schweiz beim Niedergang der CENI eine nicht unerhebliche Rolle. Dieser hindert die Demokratische Republik Kongo noch immer daran, den Weg hin zu einer wirklichen Demokratie einzuschlagen. Im Vorfeld der Wahlen vom Dezember 2018 diente die Schweiz als Rückzugsort für zwei Unternehmen, die bei der CENI Verträge in Millionenhöhe an Land zogen.

Public Eye ist es gelungen, zwei typische Fälle zu dokumentieren, die sinnbildlich für die undurchsichtigen Praktiken der CENI stehen.

Im ersten Fall gewinnt ein grosser niederländischer Konzern für biometrische Sicherheit über seine Schweizer Tochtergesellschaft, die über Kontakte im engen Umfeld von Präsident Joseph Kabila verfügt, eine Ausschreibung im Wert von 46 Millionen US-Dollar. Ein lukrativer Auftrag, in dessen Umfeld sich obskure politische und finanzielle Machenschaften abspielten. Im zweiten Fall geht es um eine kleine ghanaische Firma, die im Rahmen eines Vertrags, der nie öffentlich gemacht wurde und von dem man nicht weiss, ob er vollständig erfüllt wurde, von der CENI mehrere Millionen Dollar auf ein Bankkonto in Genf überwiesen bekam. Wie wir später sehen werden, sind die beiden Fälle miteinander verknüpft.

Der Kabila-Clan klammert sich an die Macht

Um uns den Schauplatz vorzustellen, müssen wir ins Jahr 2016 zurückblenden. Die politischen Auseinandersetzungen in der Demokratischen Republik Kongo befinden sich auf dem Höhepunkt. Nach 15 Jahren Regierungszeit läuft die letzte Amtszeit von Präsident Joseph Kabila ab, denn die Verfassung untersagt ihm eine erneute Kandidatur. Doch Kabila, der mit seinem Clan alle Wirtschaftssektoren des Landes unter seine Kontrolle gebracht hat (siehe erste Folge von «Congo Hold-Up»), fordert einen sanften Abgang: ein langsames «Gleiten», wie es in den kongolesischen Medien heisst, das dem Präsidenten ermöglicht, sich so lange wie möglich an der Macht zu halten. 

Was könnte dazu effektiver sein, als auf die Notwendigkeit einer vollständigen Überarbeitung des kongolesischen Wahlregisters zu dringen? In diesem riesigen Land mit 45 Millionen Wähler*innen wurden die Listen seit den letzten Wahlen im Jahr 2011 nicht aktualisiert. Es müssen fast zwei Millionen Junge, die neu im wahlberechtigten Alter sind, registriert und doppelte Einträge gelöscht werden. Mit der Entscheidung für eine biometrische Registrierung der Wählerschaft – ein kostspieliger und zeitaufwändiger Prozess, der etwa 18 Monate dauert – hat sich die CENI eine grosse Show einfallen lassen, um die Durchführung der Wahlen innerhalb der vorgegebenen Zeit zu verhindern und dem Präsidenten-Diktator zu ermöglichen, sich bis im Dezember 2018 an seinen Thron zu klammern. Es war auch die Gelegenheit, den Startschuss für eine Vielzahl an verlockenden Verträgen zu geben. 

Am 10. Februar 2016 publiziert die CENI eine internationale Ausschreibung für einen Auftrag, der über 70 Millionen US-Dollar schwer ist. Es geht um die Lieferung von biometrischen Kits für Identifizierungs- und Registrierungszwecke, Wahlkarten und Stromaggregaten.

© AP Photo/Jerome Delay
Beamte kleben am 30. Dezember 2018 in einer Schule in Kinshasa die Liste zur Wahlregistrierung an die Wand. Der Wahlprozess verzögerte sich, weil wütende Wähler*innen sechs Wahlmaschinen und Stimmzettel in Brand gesetzt hatten.

Die Karte der helvetischen Neutralität

Gemalto, ein niederländischer Marktführer im Bereich der biometrischen Sicherheit (der 2019 vom französischen Konzern Thales übernommen wurde), erhielt im Juni 2016 den Zuschlag: einen Vertrag im Wert von über 46 Millionen Euro für die Lieferung von 22'220 biometrischen Kits. Dabei handelt es sich um Aktenkoffer, die einen Laptop, einen Drucker, eine Kamera und eine Maschine zur Erfassung von Fingerabdrücken enthalten. Damit kann man in die entlegensten Winkel der Demokratischen Republik Kongo reisen, um Personen im wahlberechtigten Alter zu identifizieren, ihre biometrischen Daten zu erfassen und ihnen eine Wahlkarte auszustellen.

Diese internationale Ausschreibung hätte eigentlich für Transparenz und Fairness sorgen sollen. Doch der Wettbewerbssieg von Gemalto ist vor allem der Lobbyarbeit hinter den Kulissen zu verdanken. Wie wir herausgefunden haben, wurde diese grösstenteils von Schweizer Boden aus betrieben. Im Jahr 2015 kaufte der niederländische Konzern 95% der Aktien der im Sicherheitsdruck tätigen Trüb AG auf. Das Unternehmen mit Sitz in Aarau gehörte damals zu den technologischen Aushängeschildern des Landes. Und Mitte der 1990er-Jahre spielte Trüb eine Pionierrolle bei der Herstellung der allerersten hochsicheren Schweizer Identitätskarte aus Polycarbonat – eine bedeutende Innovation.

Die Trüb AG expandierte auch auf internationaler Ebene und zählt Banken und Regierungen zu seinen Kunden. Dank eines Beraters, den das Unternehmen seit Anfang der 2000er Jahre regelmässig mit Aufträgen versorgt, ist es in der Demokratischen Republik Kongo gut positioniert und verfügt über ein umfangreiches Kundenportfolio unter der kongolesischen Elite. Zu diesen wertvollen Kontakten gehörte auch Léonard She Okitundu, der damals als Senator die Regierungskoalition von Präsident Joseph Kabila vertrat.

Dieser enge Vertraute Kabilas, der später zum stellvertretenden Premierminister und dann zum Aussenminister ernannt wurde, wurde am 1. und 2. Februar 2016 in Meudon, Frankreich, am dortigen Sitz von Gemalto empfangen, acht Tage bevor die CENI die internationale Ausschreibung startete. Dies hatte die US-amerikanische Investigativ-NGO The Sentry – ein Partner von «Congo Hold-up» – 2018 aufgedeckt.

Unseren Informationen zufolge reiste der einflussreiche Kongolese, der drei Jahrzehnte lang im politischen Exil in der Schweiz gelebt hatte, auch mehrmals nach Lausanne, um sich mit dem Berater von Trüb zu treffen, der unterdessen für Gemalto arbeitete. Bei diesen informellen Gesprächen ging es laut einer Quelle darum, Präsident Kabila eine Botschaft zu übermitteln, damit er der Durchführung einer Ausschreibung zustimmt – angesichts der Länge des Prozesses ein weiteres Argument für das «Durchgleiten» – und Gemalto den Zuschlag garantiert. 

Der Schweizer Absender hat seine Vorteile. «Um in der Demokratischen Republik Kongo zu überzeugen, war es besser, den Schweizer Ableger von Gemalto einzusetzen, denn die Schweizer sind neutral und werden sich niemals in die inneren Angelegenheiten des Kongos einmischen, wie die Franzosen, die sich damals vehement gegen ein Durchgleiten aussprachen», erklärt ein Kenner des Dossiers.

© Keystone/Urs Flueeler
Das Aargauer Unternehmen Trüb, ein Schweizer Marktführer, der von Gemalto und später von Thales aufgekauft wurde, stellte die ersten modernen Schweizer Identitätskarten her.

Der ehemalige Senator Léonard She Okitundu wurde am 25. Februar 2016 sogar in den Aargau eingeladen, wie aus einem Schreiben mit dem Briefkopf «Trüb by Gemalto» hervorgeht, dessen Kopie von The Sentry veröffentlicht wurde. Von Public Eye kontaktiert, bestätigt She Okitundu, dass er «aus rein persönlichen Gründen» nach Aarau gereist sei, um an einer Präsentation teilzunehmen, die von Gemalto-Managern «über ihr Unternehmen und ihre Produkte» gehalten wurde. Welch ein Zufall, dass  man sich bei Gemalto zu diesem Zeitpunkt über die Ausschreibung beugte, die zwei Wochen zuvor von der CENI publiziert worden war.  Auch das kongolesische Gesetz schreibt vor, dass öffentliche Aufträge ohne vorherige Verhandlungen mit den Bietern vergeben werden müssen.   

«Wie hätte ich mir erlauben können, Gespräche über eine Ausschreibung zu führen, für deren Prüfung ich weder ein Mandat noch eine Qualifikation und schon gar keinen Titel besass?», entgegnet er und bestreitet, informelle Gespräche zur Ausschreibung geführt zu haben.   

Heute gibt es in Aarau noch immer eine Firma mit dem Namen Trüb, die Trüb Trading (International): Sie hat ihre Wurzeln in der alten Trüb AG und ist weiterhin im Geschäft mit Pässen, Identitätskarten und Sicherheitsdienstleistungen tätig, ist gemäss eigener Aussage aber von Thales unabhängig. Die frühere Gemalto, heute Thales DIS Schweiz AG, produziert noch immer die Schweizer Identitätskarte, in einer Auflage von rund 825’000 Exemplaren pro Jahr; der entsprechende Vertrag über 55 Millionen Franken wurde im Januar 2019 verlängert und läuft bis 2036.

Auch wenn nichts darauf hindeutet, dass die Lobbyarbeit von Gemalto mit verwerflichen Praktiken behaftet war, wirft das, was dann hinter den Kulissen des Vertrags geschah, zahlreiche Fragen auf.

Das Karussell der Subunternehmer

Um an der internationalen Ausschreibung teilnehmen zu können, hatte die CENI von den Bewerbern verlangt, einen kongolesischen Subunternehmer einzusetzen. In der Demokratischen Republik Kongo können ausländische Unternehmen, die sich um einen Auftrag bewerben, laut Gesetz einen Wettbewerbsvorteil erlangen, wenn sie mindestens 30% des Gesamtwerts der Ausschreibung von einem lokalen Unternehmen ausführen lassen. In der Realität wird dieser Prozentsatz jedoch selten erreicht, und die Subunternehmer gehen häufig wenig redlichen Tätigkeiten nach. 

In einem ersten Schritt hatte sich Gemalto mit einem IT- und Telekommunikationsunternehmen verbündet, das seit 2014 in Kinshasa ansässig ist: Sitele. Dieser Partner sollte den «technischen Support» übernehmen: Wahlhelfer einstellen und ausbilden – d. h. fast 500 Techniker*innen und Ingenieur*innen rekrutieren, welche die Registrierung der zur Wahl zugelassenen Personen  begleiten sowie die Geräte in den Kits warten und reparieren sollten.

Doch kaum war der Vertrag zwischen der CENI und Gemalto Ende Juni 2016 unterzeichnet, begannen die Intrigen und Manöver. Sitele wurde zugunsten von Stim Plus verdrängt. Diese Vertriebsgesellschaft für IT-Dienstleistungen mit Sitz in Nanterre, einem Pariser Vorort, hatte jedoch keinerlei Erfahrung in der Demokratischen Republik Kongo. Wie bereits im Bericht der NGO The Sentry angedeutet, wurde sie Gemalto in Wirklichkeit von einigen Verantwortlichen der CENI aufgezwungen.

© Reuters/Baz Ratner
Als Präsident der CENI gibt Corneille Nangaa den Medien Auskunft, nachdem er sich mit Präsidentschaftskandidaten und Beobachtern des Wahlprozesses getroffen hat.

Expressgründung einer Firma im Kongo

Um den Anschein einer lokalen Niederlassung zu erwecken, musste Stim Plus am 1. September 2016 in aller Eile eine Unternehmung in Kinshasa registrieren lassen. Diese hiess Service Technologie Informatique Maintenance Plus RDC, agierte aber unter dem Namen Stim Plus RDC, wie es im kongolesischen Handelsregister heisst. Yves Samama, der Geschäftsführer und Gründer von Stim Plus France, hielt 60% des Kapitals, während der Rest von einem gewissen Raphaël Edery kontrolliert wurde. Dieser 60-jährige Franzose, der in Marokko lebt, übertrug seine Anteile später an eine gewisse Yaël Stéphanie Edery. Wir konnten nicht herausfinden, in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie zueinander stehen.

Einen Monat zuvor hatten die beiden Männer einen «vertraulichen und privilegierten» Partnerschaftsvertrag unterzeichnet. In dem Dokument, das aus den Daten von «Congo Hold-Up» ausgegraben wurde, heisst es, dass Raphaël Edery als «Agent» eine «pauschale Provision von 2 Millionen Dollar» erhalten sollte, die sich «je nach Vertrag des Kunden [Anm.: die CENI] » entwickeln könne. Es ist nicht klar, worin sein Auftrag in der Demokratischen Republik Kongobestand. Dem Vertrag, der innerhalb der BGFIBank unterzeichnet wurde, fehlen mehrere Seiten, wahrscheinlich die vertraulichsten.

Auf seiner Website erwähnt Stim Plus seine Rolle als Lieferant von Gemalto. Unter dem Titel «Realisierung und Einsatz von 22'500 Kits zur Erfassung der Bevölkerung für die künftigen Präsidentschaftswahlen» zeigt ein Video Angestellte, die zu Musikuntermalung in Lagerhäusern damit beschäftigt sind, den Inhalt der Aktenkoffer mit den berühmten Erfassungs-Kits zu bestücken und auf ihre Ankunft in der Demokratischen Republik Kongo vorzubereiten. 

Norbert Basengezi, der ehemalige Vizepräsident der CENI, bestätigt, dass Stim Plus Paris der «Hauptlieferant der in dem Kit von Gemalto enthaltenen Ausrüstung» war, und fügt hinzu, dass die Tochter des französischen Unternehmens «den technischen Support übernommen hatte (...). Vor Ort wurden wir während der gesamten Registrierungsphase von der Firma landesweit begleitet». 

Eine Version, die in Fachkreisen gröbere Zweifel aufkommen lässt. «Stim Plus RDC, die sich gerade erst als Unternehmen registriert hatte, hatte nicht die Kapazitäten, um den technischen Support zu leisten. Es war eine Firma ohne Substanz, die ihren Namen an Subunternehmer verliehen hatte, die den Führungskräften der CENI nahestehen, für tatsächlich erbrachte oder auch nicht erbrachte Leistungen», so eine Person, die im Umfeld des Gemalto -Vertrags gearbeitet hat.

Millionen an Barabhebungen

Während der Auftrag von Stim Plus RDC unklar bleibt, wiesen die Konten der Firma, die im Herbst 2016 bei der BGFIBank DRC eröffnet wurden – eines in Euro, das andere in Dollar – umfangreiche Bewegungen auf. Die von «Congo Hold-Up» enthüllten Bankunterlagen zeigen, dass das kleine kongolesische Unternehmen zwischen September 2016 und Juni 2017 unter dem Vermerk «Dienstleistungen» von Stim Plus France, das seine Konten bei der Pariser Niederlassung der BGFIBank hatte, in acht Zahlungen mehr als 4,3 Millionen Euro erhalten hat. Das ist mehr als doppelt so viel wie in dem oben erwähnten Partnerschaftsvertrag vereinbart.

Raphaël Edery, der diese Konten verwaltete, jonglierte damals mit Millionenbeträgen. Unseren Berechnungen zufolge hob er über eine Million Euro vom Konto von Stim Plus für unbekannte Empfänger ab. Jede Abhebung von mehr als 10'000 US-Dollar muss jedoch nach kongolesischem Recht gegen einen Beleg erfolgen. Das Dollar-Konto, auf das er einen Teil der aus Frankreich erhaltenen Beträge überwiesen hatte, wies Bargeldabflüsse von insgesamt 2,5 Millionen US-Dollar auf. Davon hob der Franzose am 31. Oktober 2016 eine Million ab, drei Tage nachdem Stim Plus France ihm die stolze Summe von 980'000 Euro überwiesen hatte.

Diese Bewegungen weckten das Interesse der BGFIBank RDC. Im Herbst 2016 forderte ein Bankangestellter dringend die Übermittlung der Unterlagen zu Stim Plus RDC sowie einen Beleg für eine Zahlung von 1'077'972 US-Dollars an, die auf dem Dollar-Konto einging. Als Antwort erhält er den oben erwähnten Partnerschaftsvertrag, der jedoch unvollständig ist.  

Auch die Compliance-Abteilung schlägt Alarm, stellt Unregelmässigkeiten in den Unterlagen des Kunden fest und empfiehlt, das Konto zu sperren.

Daraus wird nichts: Es fliesst weiterhin Geld von Stim Plus France zur Bank. Aber es erfolgen auch andere Zahlungen: Am 27. Dezember 2017 und am 10. April 2018 ist es die CENI, die insgesamt 2,4 Millionen US-Dollar an Stim Plus RDC überweist. Beinahe der gesamte Betrag – ein Scheck über 900'000 US-Dollar und eine Überweisung von 1,3 Millionen US-Dollar – wird umgehend an Technology Solutions & Managed überwiesen, ein Unternehmen, das seine Konten auch bei der BGFIBank RDC hatte und offenbar nur zu dem Zweck gegründet wurde, die Gelder von Stim Plus RDC zu erhalten. Diese Konten weisen ihrerseits eine Unmenge von Barabhebungen sowie einige Banküberweisungen ohne Angabe von Zweckbestimmungen auf.

300’000 US-Dollar für eine enge Vertraute der CENI

Zwischen dem 12. und 30. April 2018 wurden von dem Konto von Technology Solutions & Managed über 300'000 US-Dollar in bar zugunsten von Valérie Fila Ruvunangiza abgehoben, die Verbindungen zu hochrangigen Mitgliedern der CENI hatte. Die Juristin gehört zur Familie von Germain Ruvunangiza, damals ein einflussreicher technischer Berater des CENI-Präsidiums. Dieser verfolgte den Auftrag für die Wahlkits sehr genau.

Offenbar hatten die in Aussicht stehenden Millionen die Gier nach noch mehr getriggert. «Ursprünglich sollte das Auftragsvolumen für den technischen Support etwa 2 Millionen Dollar betragen, doch mit der Verschiebung der Wahlen stiegen die Kosten um das Vierfache. Da war viel Geld, das man sich teilen musste», sagt ein Beobachter. Dieser behauptet, dass die «Operation Stim Plus» von einer Viererbande der CENI gesteuert wurde; zu ihr gehörten neben Germain Ruvunangiza auch Corneille Nangaa, der Präsident der CENI, Norbert Basengezi Katintima, der Vizepräsident, sowie sein Sohn Marcellin Basengezi, der ebenfalls technischer Berater der Institution ist.

Zur Untermauerung dieser These fanden wir heraus, dass der Direktor für logistische Operationen von Stim Plus RDC ein Geschäftspartner von Marcellin Basengezi war. Seit 2015 sind die beiden Männer zu gleichen Teilen Anteilseigner einer Firma, die Lebensmittel und Erdölprodukte vertreibt. Mehr noch: Auch dieser Kongolese kam in den Genuss der Grosszügigkeit der mysteriösen Technology Services & Managed mit einer Barabhebung zu seinen Gunsten in Höhe von 200'000 US-Dollar am 19. April 2018.

Nur Norbert Basengezi reagierte auf die Fragen von Public Eye und erklärte, dass «die CENI nichts mit diesen Veränderungen zu tun hatte» [Anm.: die Tatsache, dass Stim Plus den technischen Support auf Kosten von Sitele zurückgewinnen konnte] und dass er «keine Verbindung» zu dem französischen Subunternehmen habe.

Die anderen Protagonisten verzichteten auf eine Antwort. Thales, die Gemalto 2019 übernommen hat, weicht aus und verweist darauf, dass der kongolesische Vertrag vor der Übernahme von Gemalto erfüllt worden sei. Der französische Konzern versichert ausserdem, dass «die Personen, die an der Ausarbeitung dieses Vertrags mitgearbeitet haben, die Thales-Gruppe inzwischen verlassen haben», und fügt hinzu, dass «dieser Kontext» es ihm nicht erlaube, genauer auf unsere Fragen zu antworten. Yves Samama, Direktor und Gründer von SStim Plus, verweist uns an die Gemalto, die den Vertrag mit der CENI geschlossen hatte. Der Agent Raphaël Edery reagierte nicht auf unsere Anfragen.

Die Hüter der Demokratie mit Sanktionen belegt

Im März 2019 wurden die CENI-Kader Corneille Nangaa und Vater und Sohn Basengezi auf die Sanktionsliste des US-Finanzministeriums (OFAC) gesetzt. Die USA warfen ihnen damals vor, «Betriebsmittel der CENI veruntreut und (...) Massnahmen getroffen zu haben, die die Registrierung von Wählern verlangsamten und so Verzögerungen bei der Organisation der Wahlen begünstigten». Sie sollen mithilfe von Scheinfirmen und einem System aus gefälschten Rechnungen, Schmiergeldern und fiktiven Ausgaben gehandelt haben.

Das OFAC betonte, dass die CENI-Kader bei der Auftragsvergabe bestimmte Unternehmen bevorzugt und bei einigen Verträgen überhöhte Rechnungen gestellt hätten, «um die überschüssigen Mittel für ihre persönliche Bereicherung zu verwenden sowie Bestechungsgelder und Finanzmittel für die Wahlkampagne von Kabilas Nachfolger zu erhalten».

Unseren Informationen zufolge unterhielt das mit Sanktionen belegte Trio darüber hinaus sehr gute Beziehungen zu einem IT-Dienstleister namens Super Tech Limited (fortan STL), der ebenfalls eine Verbindung zur Schweiz hatte. Hier beginnt der zweite Teil unserer Geschichte.

Ein nach Genf überwiesener Trostpreis

STL mit Sitz in Accra, der Hauptstadt Ghanas, hatte sich ebenfalls um den 46-Millionen-Dollar-Auftrag für biometrische Kits beworben und war zusammen mit Gemalto sogar in die Endrunde gekommen. Auf seiner Website behauptet STL, dass es seit 20 Jahren «erfolgreich Lösungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) für Unternehmen, Regierungen und kleine Unternehmen» liefert. «Wir konnten nicht begreifen, wie dieses fast unbekannte Unternehmen bei einer internationalen Ausschreibung unter die Finalisten kommen konnte», sagt ein Kenner des Marktes dazu.

Der lukrative Auftrag für die Wahlregistrierungs-Kits ging schliesslich an Gemalto. Doch fünfeinhalb Monate später erhielt das kleine ghanaische Unternehmen unter undurchsichtigen Umständen einen weiteren Auftrag im Wert von 9,7 Millionen US-Dollar, der von Corneille Nangaa, dem Vorsitzenden der CENI, unterzeichnet wurde.  

Der Auftrag, der ohne Ausschreibung erteilt wurde, umfasste die Lieferung von 300 VSAT-Kits an die CENI – eine Technik zur Satellitenkommunikation, bei der Parabolantennen mit einem Durchmesser von weniger als 3 Metern zum Einsatz kommen. 

Auf den ersten Blick scheint es nicht illegal, dass die CENI ein Netzwerk für die schnelle und sichere Übertragung von Wahldaten erwirbt. Ein Problem gibt es jedoch: Dieser Grossauftrag vom 29. November 2016 wird in keinem der offiziellen Berichte der kongolesischen Institution erwähnt. Noch bemerkenswerter: STL, die offiziell keine Geschäfte in der Schweiz betreibt, wurde über die Union Bancaire Privée (UBP) in Genf bezahlt, wo sie damals zwei Konten unterhielt, eines in Euro und eines in Dollar. 

Gemäss den Dokumenten von «Congo Hold-up» gingen auf den Konten der Genfer Bank tatsächlich zwei Zahlungen über 5,8 Millionen und 1,9 Millionen US-Dollar ein, wie dies der Vertrag vorsah. Witziges Detail: Corneille Nangaa, der Vorsitzende der CENI, griff selbst zur Feder und schrieb an den Generaldirektor der BGFIBank RDC, um die Auszahlung der zweiten Rate zu veranlassen.

© PPLAAF et Mediapart
Corneille Nangaas Brief an den Direktor der BGFIBank RDC Francis Selemani (Adoptivbruder von Joseph Kabila), mit der Anweisung, eine Zahlung zugunsten von STL auf seinem Genfer Konto freizugeben. Quelle: PPLAAF und Mediapart.

Diese zweite Zahlung führte zu einem wahren Schlamassel: Die UBP weigerte sich zunächst, die Zahlung dem Konto gutzuschreiben, da der SWIFT-Code für STL eine Adresse sowohl in Ghana als auch in der Schweiz angab.

Ein STL-Verantwortlicher wurde ungeduldig und bat seine beiden Gesprächspartner bei der CENI, von denen einer Germain Ruvunangiza war – der oben erwähnte technische Berater der CENI –, den Fehler der BGFI so schnell wie möglich zu korrigieren: «Sie müssen einfach BVI schreiben», schlug er vor, da das STL-Konto auf den Namen einer gleichnamigen Einrichtung eröffnet worden war, die in Tortola auf den Britischen Jungferninseln (BVI) registriert war. Die Genfer Bank gab schliesslich nach und zeigte sich im Übrigen keineswegs erschrocken darüber, dass sie Millionen von der CENI – einer ohnehin umstrittenen kongolesischen Institution – auf das Konto einer Firma mit Sitz in einem karibischen Steuerparadies überwiesen bekam.

Die UBP teilte auf Anfrage mit, dass sie an das Bankgeheimnis gebunden sei und daher keinen Kommentar abgeben könne. Sie erinnerte daran, dass sie «eine Privatbank» sei, deren Tätigkeit sich auf die «Vermögensverwaltung für private oder institutionelle Kunden» beschränke, und dass sie «ihre Sorgfaltspflichten strikt einhalte». 

STL bestätigte den Eingang unserer Fragen, antwortete darauf aber nicht.

Ein unter der Hand ausgehandelter Vertrag

Anfang 2017 hatten mehrere kongolesische Bürgerinitiativen, die die undurchsichtige Arbeit der CENI anprangerten, kurz auf diesen Auftrag für die VSAT-Kits hingewiesen, der unter «flagranter Verletzung des Gesetzes über die Vergabe öffentlicher Aufträge in der Demokratischen Republik Kongo» freihändig an STL vergeben worden war. Doch niemand hatte jemals etwas über den Ausgang dieses Vorgangs erfahren, weder über die eingesetzten Beträge noch über die tatsächliche Lieferung der Ausrüstung.

Laut einer von STL ausgestellten Rechnung, die wir uns beschaffen konnten, wurden die VSAT-Kits der CENI für 4881 US-Dollar pro Stück angeboten, obwohl die Ausrüstung für 1850 US-Dollar, also deutlich weniger als die Hälfte des Preises, zu haben ist.   

Im Juli 2017 nahm Corneille Nangaa, zusammen mit seiner treuen rechten Hand Norbert Basengezi, vor der Presse 10'015 Tonnen Telekommunikationsmaterial in Empfang, darunter 137 VSAT-Kits, so eine Medienmitteilung der CENI, aus der nicht hervorgeht, ob es sich dabei um den mit STL unterzeichneten Vertrag handelte.

Ist der Rest der VSAT-Kits angekommen? Von Public Eye befragt, stellt Norbert Basengezi klar: «Ich habe die VSAT gesehen, die am Hauptsitz in allen Provinzexekutivsekretariaten und in allen Aussenstellen der CENI eingerichtet wurden.» Warum wurde der Vertrag nie ausgeschrieben? Der ehemalige Vizepräsident der CENI begründet dies mit «dem Notfallmodus, in dem wir arbeiteten».

Das Debakel des Übergangs

Not ist manchmal ein schlechter Ratgeber. Trotz der Millionen, die die CENI ausgegeben hat, war der Wahlprozess 2018 durch zahlreiche Unregelmässigkeiten beeinträchtigt. Ein Kontrollaudit durch die Internationale Organisation der Frankophonie (OIF) deckte auf, dass sich mehr als ein Viertel der Wählenden mit Dokumenten registriert hatten, die sie als Schüler*innen, Student*innen oder Rentner*innen auswiesen. Das sind Ausweisdokumente, die leicht zu beschaffen sind und als unzuverlässig gelten. Jede sechste wählende Person hatte ihre Fingerabdrücke nicht registrieren lassen, obwohl Gemalto sehr teure Koffer mit biometrischen Kits verkauft hatte.  

Der Höhepunkt dieses langen «gleitenden Übergangs» trat am Donnerstag, dem 24. Januar 2019, ein. Im Präsidentenpalast in Kinshasa erlitt der gerade gewählte Felix Tshisekedi einen Schwächeanfall und war gezwungen, seine Antrittsrede für etwa 15 Minuten zu unterbrechen. «Ein berühmter Präsident unseres Landes hatte seinerzeit gesagt: 'Verstehen Sie meine Emotionen'», rechtfertigte er sich und erinnerte damit an die Worte von Marschall Mobutu, als er 1990 das Ende der Einheitspartei verkündete.

Diese Zeit ist in der Tat sehr emotionsgeladen. Während einige die erste gewaltfreie Übergabe der Präsidentenschärpe begrüssen, hagelt es Anschuldigungen wegen der Wahlen. Hatte Joseph Kabila, während er darauf wartete, dass sein Nachfolger wieder zur Besinnung kam, dies im Sinn? Dachte er an all die Komplizenschaften, die im Kongo oder in der Schweiz dazu beigetragen haben, seinen Abschied um zwei Jahre zu verzögern und dann vielleicht seinen designierten Nachfolger wählen zu lassen?

© Reuters/Baz Ratner