Zug – ein Offshore-Eldorado für Briefkastenfirmen
Romeo Regenass und Adrià Budry Carbó, 5. Oktober 2021
Poststrasse 30 in der Zuger Neustadt, wenige Schritte vom Bahnhof entfernt. Auf den ersten Blick ein Bürogebäude wie jedes andere auch. Auf der grossen Tafel beim Eingang stehen 20 Namen von Firmen, verteilt auf fünf Etagen. Trotzdem dürfte die Gegensprechanlage nur wenig genutzt werden: Auf provisorisch wirkenden Etiketten schmücken ganze sechs Firmennamen die Tasten der Sonnerie, dazu ein anonymes «Büro 1. OG Ost» und die Generalagentur einer Versicherung. Mit zehn Tasten, die nicht belegt sind, wirkt das Gebäude sehr anonym. Es ist offensichtlich: Die meisten der hier angesiedelten Firmen rechnen nicht mit Besuch.
Kein Wunder: Das Bürogebäude ist eine Topadresse für Briefkastenfirmen. So überrascht es auch nicht, dass nur 23 der 82 Unternehmen, die gemäss Bundesamt für Statistik an der Poststrasse 30 gemeldet sind, im Telefonbuch von search.ch eingetragen sind. Doch Briefkastenfirmen sind oft über ein Treuhandbüro oder eine Anwaltskanzlei erreichbar, die ihnen ein Domizil gewährt und für sie Anrufe entgegennimmt. Ein Geschäftsmodell, das sich in Zug grosser Beliebtheit erfreut.
Repräsentativer Auftritt für 95 Franken pro Monat
Ein Domizil für Scheinfirmen gibt’s im steuergünstigen Zug zum Schnäppchenpreis: Für 95 Franken pro Monat bietet etwa die Domizilagentur GmbH eine sogenannte c/o-Geschäftsadresse für den «repräsentativen Geschäftsauftritt» mit «Post- und Paketempfang» an der zentralen Baarerstrasse 43 an. Wer will, dass die Post einmal in der Woche weitergeleitet wird, bezahlt zusätzlich 45 Franken pro Monat.
Für eine Geschäftsadresse ohne den etwas verfänglichen Zusatz «c/o Domizilagentur GmbH» werden als Grundgebühr bereits 195 Franken pro Monat fällig. Dafür verpflichtet sich der Domizilgeber vertraglich, der Briefkastenfirma Räumlichkeiten zur Mitbenutzung zu überlassen. Das kann auch nur ein Sitzungszimmer sein; für 100 Franken im Monat gibt es auf dem teuren Zuger Pflaster nicht mehr, aber den laxen Anforderungen des Zuger Handelsregisteramts ist damit genüge getan.
Die Agentur agiert auch sonst äusserst kostenbewusst: Auf dem Stellenportal kosovajob.com suchte sie Anfang September 2021 eine Person für die «Administration in Deutsch». Aufgabe: Bearbeiten und Kontrollieren von Excel-Dateien. Dennoch braucht es für den Job in einem «Büro mitten in der Stadt Pristina» neben sehr guten Deutschkenntnissen auch einen Studienabschluss. Die Bewerbung ist an die Schweizer Mailadresse der Agentur zu senden.
Dienstleistungsanbieter wie die Domizilagentur gibt es im Kanton Zug so einige; einer betreibt die Website briefkasten-zug.ch und bietet darauf ein «virtuelles Büro» an, ein anderer erklärt unter swiss-company-formation.ch, weshalb Zug so attraktiv ist. Punkt 1: niedrige Steuern.
Niedrige Steuern
Ja, mit einer Briefkastenfirma im Steuerparadies Zug lässt sich viel Geld sparen. Dass die Rechnung nicht immer aufgeht, musste eine kleine Immobilien- und Architekturfirma erfahren. 2017 hat das Zürcher Verwaltungsgericht per Gerichtsentscheid den Sitz des Unternehmens von Zug nach Winterthur verlegt. Der Sitz in Zug sei offensichtlich nur ein Scheindomizil. Das seit 2008 in Zug angemeldete Kleinstunternehmen mit maximal drei Mitarbeitenden war damit nicht einverstanden und zog das Urteil ans Bundesgericht weiter. Doch schon ein Jahr später bestätigte dieses den Entscheid und die Argumentation der Vorinstanz. Das Unternehmen gebe für seinen «Hauptsitz» an einer c/o-Adresse in Zug lediglich 100 Franken pro Monat aus. In Winterthur machten die Bürokosten 24'000 Franken im Jahr aus, und somit sei auch der Steuersitz dorthin zu verlegen. Ein Erfolg für die Steuerämter des Kantons Zürich und der Stadt Winterthur; die Verschiebung der Steuerhoheit wurde sogar rückwirkend per Januar 2013 vollzogen.
Doch Schlagzeilen machen die Zuger Briefkastenfirmen selten in einem lokalen Zusammenhang. Meistens geht es um unrühmliche internationale Verstrickungen: Ob «Luanda Leaks», «Panama Papers», «Paradise Papers» oder jüngst die «Pandora Papers» – Zug ist immer ganz vorne mit von der Partie, wenn das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) verblüffende Enthüllungen macht.
Ihren letzten grossen Auftritt hatten die Zuger und Schweizer Briefkastenfirmen 2016 bei der Enthüllung der Panama Papers, den vertraulichen Unterlagen des Offshore-Dienstleisters Mossack Fonseca, die dank einem riesigen Datenleck an die Öffentlichkeit gelangten.
Skandal um Panama Papers hatte kaum Folgen
Vor fünf Jahren wurde bekannt, dass 1277 Schweizer Vermittler über den Genfer Ableger von Mossack Fonseca mehr als 38’000 Briefkastenfirmen in der Karibik gegründet hatten. Eine im Juni 2021 von Public Eye durchgeführte Untersuchung zeigt, dass sich zwei Drittel der 211 Geschäftsführer*innen in Luft aufgelöst haben, aber mindestens 120 der 153 in den Panama Papers genannten Schweizer Anwaltskanzleien (78%) nach wie vor aktiv sind. Und von den 821 anderen involvierten Schweizer Treuhandbüros und Finanzintermediären sind ebenfalls noch drei Viertel im Geschäft (73%). Der Rest besteht aus nicht identifizierten Unternehmen.
Wie die «Pandora Papers», ein massives Datenleck bei 14 internationalen Treuhandgesellschaften, das vom International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) veröffentlicht wurde, zeigen, spielen Schweizer Vermittler*innen weiterhin eine zentrale Rolle bei der Gründung von Briefkastenfirmen, um die Herkunft von Geldern und ihre wahren Eigentümer zu verschleiern. Von den 20’000 Offshore-Strukturen, die allein von der panamaischen Anwaltskanzlei Alcogal geschaffen wurden, sind mehr als ein Drittel mit Schweizer Anwält*innen, Treuhänder*innen und anderen Berater*innen verbunden. Ihre Kunden? Monarch*innen, Despot*innen autoritärer Länder oder Kriminelle.
Die verschiedenen Enthüllungen hatten damit praktisch keine Folgen: Die Briefkastenfirmen haben kaum an Beliebtheit eingebüsst, keiner der Finanzintermediäre wurde eingesperrt und auch zu einer wesentlichen Verschärfung des Geldwäschereigesetzes (GwG) ist es nicht gekommen. Und die hiesige Treuhand- und Finanzbranche begnügt sich nicht damit, Offshore-Aktivitäten «Made in Switzerland» in exotischen Ländern zu entfalten.
Milliardenpleite von Zuger Briefkastenfirma
Aber auch Einzelfälle geben regelmässig zu reden. So enthüllte die «Financial Times» kürzlich, dass der New Yorker Hedgefonds Lion Point Capital in Zug gegen EY Schweiz, die frühere Ernst & Young, eine Schadenersatzklage in der Höhe von einer Milliarde Dollar eingereicht hat. EY hatte die Bücher der Zuger Briefkastenfirma Zeromax seit ihrer Gründung 2005 geprüft. Für die Jahre 2008 und 2009 lieferte EY kein Testat mehr für die Jahresberichte ab. 2010 ging die mit dem Minimalkapital von 20’000 Franken ausgestattete GmbH pleite und hinterliess einen Schuldenberg von sagenhaften 5,6 Milliarden Franken, wovon bis heute 2,5 Milliarden unauffindbar sind. Nur der Swissair-Konkurs war noch grösser.
Lion Point Capital hatte 2019 eine Schuldentranche aus der Konkursmasse von Zeromax erworben, weshalb der Hedgefonds nun als Kläger auftreten kann. Zeromax war über ein Geflecht von weiteren Briefkastenfirmen hauptsächlich in der zentralasiatischen Republik Usbekistan tätig. Sie handelte mit Rohstoffen, insbesondere Erdöl und Erdgas, und galt zeitweilig als grösste Arbeitgeberin Usbekistans.
Laut «Financial Times» bezahlte Zeromax in den vier Jahren vor dem Konkurs unter anderem zweistellige Millionensummen für wertvollen Schmuck, an dem sich die für ihren extravaganten Lebensstil bekannte usbekische Präsidententochter Gulnara Karimowa erfreute. Dies zeigten Beschlagnahmungen durch Schweizer Ermittlungsbehörden 2016 bei der Genfer Privatbank Lombard Odier. In Safes, die von Karimowa gemietet waren, lagen Schmuckstücke, die Zeromax bezahlt hatte. Zwischen 2004 und 2007 soll Zeromax zudem mindestens 288 Millionen US-Dollar an Offshore-Gesellschaften bezahlt haben, die von Karimowa oder ihrem Umfeld kontrolliert wurden und nach Erkenntnis der Strafverfolgungsbehörden als Vehikel für das Waschen von Korruptionsgeldern dienten.
Knapp 33'000 Briefkastenfirmen in der Schweiz
Solche Briefkastenfirmen gibt es nicht nur in Zug. Um eine Gesamtschau zu erhalten, hat Public Eye in einer akribischen Datenanalyse die wichtigsten Schweizer Standorte dafür kartographiert. Von Genf über Lugano und Zug bis nach Freiburg identifizierten wir fast 33’000 Unternehmen, denen es massiv an Substanz fehlt. Die unmittelbare Folge für die Unternehmenslandschaft an diesen Standorten: eine stattliche Zahl von Gebäuden mit Briefkästen mit den Namen von unzähligen Firmen, die praktisch keine Räumlichkeiten beanspruchen und kein Personal beschäftigen. Und eine unüberschaubare Zahl von Briefkastenfirmen, die mit ihrer oft beschränkten Lebensdauer die Handelsregisterämter auf Trab halten.
Dies sind die Hauptmerkmale einer Briefkastenfirma:
- keine operative oder kommerzielle Tätigkeit vor Ort;
- kein eigenes Personal (ausser Geschäftsführung);
- c/o-Adresse und/oder Sitz bei einem Treuhandbüro oder einer Anwaltskanzlei;
- komplexe Struktur (z. B. mit mehreren übereinander liegenden Organisationsebenen, bevor eine natürliche Person ins Spiel kommt);
- Geschäftsführende, die eine grosse Zahl weiterer Unternehmen führen;
- ungewöhnlich niedriger Verbrauch an Heizung, Strom und Internetdaten (diese Angaben sind allerdings nicht öffentlich zugänglich).
Für Zug hat die Untersuchung von Public Eye ergeben, dass es rund 6'300 Briefkastenfirmen gibt, die in Gebäuden untergebracht sind, wo Anwaltskanzleien und Treuhandbüros ihr Tagesgeschäft erledigen. Und da die politische Schweiz es immer noch ablehnt, ein öffentlich zugängliches nationales Register der Letztbegünstigten von Unternehmen einzuführen, ist die Diskretion für die eigentlichen Eigentümer*innen gewährleistet, was ein weiterer wichtiger Standortvorteil ist.
Lukaschenkos Brieftasche in Zug
Auch politisch exponierte Personen (PEP), die bezüglich Geldwäscherei strengeren Anforderungen als Normalbürger*innen unterliegen, nutzen gern Briefkastenfirmen. Ein Beispiel: eine Zuger Briefkastenfirma mit Bezug zum weissrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, etwa im «Tages-Anzeiger». Der Lukaschenko nahestehende Bau- und Immobilienkonzern Dana Astra mit Sitz in Minsk ist in den Augen der US-amerikanischen Sanktionsbehörden eine der «Brieftaschen» des Diktators: Diese Firmen finanzieren Lukaschenko und sein Regime, werden dafür bei Staatsaufträgen bevorzugt behandelt und erhalten allerlei Erleichterungen, zum Beispiel Steuergeschenke. Und deswegen stehen sie seit 2020 auf den Sanktionslisten der USA und EU, aber auch auf jener des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco.
Dessen ungeachtet ermöglichte die unterdessen in Liquidation befindliche Zuger Dana Holdings GmbH der weissrussischen Dana Astra, zum Beispiel auf der Finanzplattform Cbonds als Teil eines Schweizer Unternehmens aufzutreten, das auf Investitionen im Immobilienbereich spezialisiert sei und Wohn-, Geschäfts- und Industriegebäude erstelle. Nur: Dana Holdings hatte lediglich eine c/o-Adresse beim Zuger Ableger einer grossen Genfer Wirtschaftskanzlei und war damit ohne Substanz. Dass die Zuger Briefkastenfirma auch steuerlichen Zwecken diente, ist anzunehmen.
Die Treuhand- und Finanzbranche begnügt sich nicht damit, Offshore-Aktivitäten «Made in Switzerland» in exotischen Ländern zu entfalten. Denn anders als gemeinhin angenommen wird, bezieht sich das angelsächsische Wort «offshore» aus Schweizer Sicht nicht nur auf ausländische Gerichtsbarkeiten oder Steuerparadiese wie die britischen Jungferninseln. Der Begriff bezieht sich auf etwas, das sich aus Sicht eines Akteurs im Ausland befindet – und dieses Ausland ist häufig auch die Schweiz.
Beliebter Offshore-Standort Schweiz
Oder wie es eine Zürcher Anwaltskanzlei auf ihrer Website sagt: «Auf einem Offshore-Konto ist Vermögen deponiert, das sich in einem fremden Land befindet, wo der Anleger keinen Wohnsitz hat, keine Steuern zahlen muss und die Behörden im Heimatland keine Kompetenzen haben.» Ende 2020 bewirtschafteten die Schweizer Banken nach eigenen Angaben ein Viertel des weltweit grenzüberschreitend verwalteten Vermögens; im ersten Halbjahr stiegen diese gar um 6,9%. Damit ist die Schweiz der weltweit führende Offshore-Finanzplatz – oder «Weltmarktführerin im grenzüberschreitenden Private Banking», wie es die Bankiervereinigung ausdrückt. Doch «offshore» lassen sich in der Schweiz nicht nur Konten eröffnen, sondern eben auch Firmen gründen.
Über 200 Unternehmen in einem Gebäude
Neben der eingangs erwähnten Poststrasse 30 gibt es im Kanton Zug ein gutes Dutzend Gebäude, in denen 70 und mehr Unternehmen ihren offiziellen Sitz haben, die in ihrer grossen Mehrheit substanzlos sind. Der Begriff «Briefkastenfirma» ist hier übrigens etwas verwirrlich, denn diese Firmen haben keinen eigenen Briefkasten, sondern teilen ihn sich mit 70 und mehr anderen substanzlosen Unternehmen. Mitunter ist die Schrift der langen Firmenliste so klein, dass der Briefträger gute Augen haben muss, um die Post in den richtigen Schlitz zu stecken.
Die Zahl der Beschäftigten pro Unternehmen ist an diesen Standorten auffällig tief. Viele Unternehmen sind in der Finanz oder Immobilienbranche sowie im Rohstoffhandel tätig. Letzterer scheint mitunter sogar ganz ohne Personal auszukommen: Gemäss Zahlen des Bundesamts für Statistik von 2018 hat von den 900 Unternehmen, die landesweit in diesem Sektor tätig sind, mehr als ein Viertel (26,4 %) keine Angestellten. Und fast jeder vierte Rohstoffhändler der Schweiz hat seinen Sitz im Kanton Zug.
Hier vier weitere typische Standorte von Briefkastenfirmen:
- Baarerstrasse 2 in Zug: In diesem Bürohaus haben gemäss unseren Recherchen 204 Unternehmen ihr Domizil. Dazu gehören Vermögensverwalter, Anwaltskanzleien und Treuhandbüros, die Dutzende von Unternehmen vertreten. Im Durchschnitt beschäftigt jede Firma 2,4 Angestellte.
- Bahnhofstrasse 21 in Zug: Direkt gegenüber dem kantonalen Steueramt gelegen, haben 75 Unternehmen hier ihren Sitz. Drei Treuhandfirmen fallen durch Briefkästen mit langen Firmenlisten auf. Mit 1,5 Beschäftigten pro Firma scheint die Tätigkeit nicht sehr arbeitsintensiv zu sein. Klar, das sind nicht alles Firmen ohne Substanz; viele haben einfach ihr Steuerdomizil an dieser Adresse, die eigentliche Geschäftstätigkeit findet dann an weniger steuergünstigen Orten statt. Deshalb schreibt eine der Treuhandfirmen auf ihrer Website auch: «Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht mit Papierkram, lassen Sie uns den ganzen Aufwand bewältigen und wir stellen Ihnen das gesetzlich vorgeschriebene Personal zur Verfügung.»
- Neuhofstrasse 5A in Baar: An dieser Adresse ist ein grosses Treuhandbüro zuhause, das unter seinem Namen auch gleich ein Businesscenter führt, das den Post- und Telefonservice übernimmt und für Kunden in mehreren Sprachen Korrespondenz führt. Das ist so praktisch, dass insgesamt 75 Firmen hier domiziliert sind. Im Schnitt zählt aber jedes nur 2,7 Beschäftigte.
Auf einem Stadtbummel durch Zug fallen diese und andere Standorte von Briefkastenfirmen niemandem auf; es sind Bürogebäude wie andere auch. Erst der Blick auf die Briefkästen im Eingang zeigt, wie viele Unternehmen auf engstem Raum zusammenleben. Doch den Briefkastenfirmen kann diese Art von Dichtestress nichts anhaben – genügsam wie sie sind.
Weitere Informationen
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Wie Briefkastenfirmen Korruption und Geldwäscherei begünstigen
Neben der Vielzahl von Briefkastenfirmen haben die vier von Public Eye untersuchten Unternehmensstandorte Zug, Genf, Freiburg und Lugano noch etwas anderes gemeinsam: eine grosse Zahl von Anwaltskanzleien, Treuhand- und Notariatsbüros sowie anderen Finanzintermediären und Rechtsdienstleistern, von denen ein erheblicher Teil mit der Gründung von komplexen juristischen Unternehmenskonstrukten befasst ist. Dies häufig über Länder mit einer Rechtsordnung, die für ihre Undurchsichtigkeit bekannt ist.
Diese Konstrukte sind zwar legal, ermöglichen es aber, bestimmte Transaktionen zu verschleiern und/oder den wahren wirtschaftlichen Nutzniesser zu verbergen. Die Weltbank warnt im Rahmen ihres Kampfs gegen Wirtschaftskriminalität regelmässig vor dieser Intransparenz. «Die meisten grossen Korruptionsfälle haben gemeinsam, dass sie sich auf legale Strukturen wie Unternehmen, Stiftungen oder Trusts stützen, um den Besitz und die Kontrolle von schmutzigem Geld zu verbergen», schrieb sie schon 2011 im Zusammenhang mit einer Buchpublikation.
Nicht jede Sitzgesellschaft ist suspekt
Doch nicht jedes Unternehmen ohne Substanz ist zwangsläufig in dubiose Aktivitäten verwickelt. Wir behaupten auch nicht, dass alle diese Unternehmen oder jene, die von ihrer Gründung profitieren, in ihrem Land Steuern hinterziehen oder Wirtschaftskriminelle sind. Doch Sitzgesellschaften – also Unternehmen, die gemäss der Schweizer Geldwäschereiverordnung kein Handels-, Fabrikations- oder anderes nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreiben – werden in der Schweiz am häufigsten genutzt, um die «wirtschaftlich Berechtigten» zu verbergen. Das sind jene Personen, die letztlich die Kontrolle über solche Unternehmen ausüben.
Aus dem 2019 vom Bund publizierten Bericht «Korruption als Geldwäschereivortat» geht zudem hervor, dass es bei rund 44% der Geschäftsbeziehungen, von denen die Meldestelle für Geldwäscherei im Jahr 2017 wegen Korruptionsverdacht erfuhr, um Sitzgesellschaften ging; lediglich 14% betrafen operativ tätige Unternehmen und 41% natürliche Personen. Von den gemeldeten Geschäftsbeziehungen, deren Vertragsparteien juristische Personen waren, betrafen über 75% Sitzgesellschaften.
So oder so: Die Möglichkeit, Unternehmen unbürokratisch zu gründen, ist eine entscheidende Stärke des Schweizer Finanzplatzes. Zwar wurde im Rahmen der letzten Steuerreform auf den 1. Januar 2020 und auf Druck der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD das Steuerprivileg für Sitz- oder Domizilgesellschaften abgeschafft. Dies bedeutet jedoch nicht, dass substanzarme Unternehmen in der Schweiz nun verschwinden werden.
Auch ohne Steuerprivileg bezahlt ein Schweizer Unternehmen im internationalen Vergleich sehr tiefe Abgaben – und das ohne Berücksichtigung von individuellen Vereinbarungen, die für Konzerne noch vorteilhafter sind. Die Finanzdirektion des Kantons Zug etwa gibt als Gewinnsteuerbelastung für alle Gesellschaften rund 12% an – je nach konkreter Standortgemeinde und als Total der Kantons-, Gemeinde- und direkten Bundessteuern. Zum Vergleich: Die OECD-Mitglieder haben sich im Sommer 2021 auf eine globale Konzernsteuerreform geeinigt, die einen Mindestsatz von 15% auf Unternehmensgewinne vorsieht.
Als Steuerzahler in Zug bedeutungslos
Als Steuerzahler üben sich die Briefkastenfirmen denn auch in Bescheidenheit. Auf Anfrage von Public Eye gibt der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler an, dass die Domizilgesellschaften vor der Steuerreform rund 1% des gesamten kantonalen Steuerertrags ausmachten. «Mittlerweile dürfte der Beitrag noch geringer sein», so Tännler. «Er ist so tief, dass wir ihn für Budgetzwecke komplett ausser Acht lassen.»
Tännler hatte 2020 gegenüber der «NZZ» zudem gesagt, die Zuger Regierung wolle keine Briefkastenfirmen, sondern Unternehmen anziehen, die operativ tätig seien, Arbeitsplätze schafften und sich an die Gesetze hielten. Heute tönt es so: «Der Kanton Zug unternimmt keine aktiven Anstrengungen, um diese Unternehmen anzuziehen, hat aber aufgrund der Niederlassungsfreiheit sowie der Handels- und Gewerbefreiheit keine rechtliche Handhabe, ihnen die Niederlassung und Geschäftstätigkeit zu verweigern.»
Die von Public Eye für den Kanton Zug ermittelte Zahl von 6300 Briefkastenfirmen erachtet der Finanzdirektor als «deutlich überhöht». Diese Einschätzung kontrastiert allerdings mit aktuellen Angaben des Zuger Handelsregisteramts. Auf Anfrage von Public Eye teilte dieses mit, dass Mitte September 2021 im Kanton Zug 7'388 Rechtseinheiten mit einer c/o Adresse eingetragen waren. Diese dürften in ihrer grossen Mehrheit substanzlos sein. Hinzu kommen jene Briefkastenfirmen, die keine c/o-Adresse haben, weil sie bei ihrem Domizilgeber zumindest temporär Zugang zu Büroräumlichkeiten haben.
Auch wenn der Kanton sie nicht aktiv anwirbt, sind und bleiben die Briefkastenfirmen ein wichtiges Standbein der Zuger Wirtschaft: Bruno Aeschlimann, der Präsident der Zuger Treuhändervereinigung, hatte 2016 prognostiziert, «dass diese in absehbarer Zeit mehr oder weniger verschwinden.» Heute sagt er, dass der Rückgang doch einiges langsamer von statten gehe, als er damals erwartete. «Aber es kommen wenige neue hinzu.»
Eine Zuger Institution mit langer Tradition
Die Zuger Briefkastenfirmen haben ihre Wurzeln in einem Spezialgesetz zur Besteuerung von juristischen Personen, das 1930 auf Anregung und mit tatkräftiger Mitwirkung des Zürcher Rechtsanwalts Eugen Keller-Huguenin in Kraft trat. Der Zuger Historiker Michael van Orsouw beschrieb 1996 in der «NZZ», dass der Anwalt für Zug geweibelt hatte, weil er im «sozial entzweiten» Zürich keine Chance für sein Vorhaben sah. Den Zugern versprach er eine goldige Zukunft: «Die Steuerkraft der Bevölkerung wird gehoben, ihre allgemeine Kaufkraft vermehrt, dem Gewerbe vielfaches Aliment zugeführt; was der Fremdenverkehr nur unter Investierung gewaltiger Kapitalien möglich macht, wird hier durch ein paar einfache Sätze in der Steuergesetzgebung erreicht.» Die «paar einfachen Sätze» prägen den Kanton Zug bis zum heutigen Tag.
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Methodik: Mehrstufige Analyse
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Zahl der Zuger Briefkastenfirmen nicht exakt beziffern lässt. Anhand verschiedener Datenbanken ist es Public Eye gelungen, den Schleier über den Briefkastenfirmen zu lüften. Das war unser Vorgehen dabei:
- Erstens haben wir von der Zahl der Einträge im kantonalen Handelsregister (HR) jene von Unternehmen im Verzeichnis search.ch abgezogen. Ende August 2020 zählten wir im HR 35’513 Zuger Unternehmen. Zieht man die 11’103 Telefonnummern ab, ergibt sich eine Differenz von 24’410 Unternehmen (mehr als zwei Drittel). Dies ist die ungenaueste Schätzung, da eine gewisse Anzahl von ihnen eine echte gewerbliche Tätigkeit ausüben kann, obwohl sie nicht im Telefonbuch eingetragen sind: Der Eintrag ist für Unternehmen wie für Privatpersonen freiwillig.
- Die zweite Methode besteht darin, auf der Grundlage der anonymen Daten zur Unternehmensstruktur des Bundesamts für Statistik (BFS) all jene Firmen aufzulisten, die weniger als eine Vollzeitstelle deklarieren. Dies trifft auf mehr als 50% der Zuger Unternehmen zu: Von den 17'085 Firmen, die das BFS auf Grundlage der AHV-Verwaltungsdaten erfasst hat, hatten 8666 weniger als eine Vollzeitstelle (wobei das BFS nur Firmen erfasst, die im Minimum eine Lohnsumme von 2300 Franken pro Jahr auszahlen). Das verdeutlicht den Mangel an Substanz in einem Grossteil der Zuger Wirtschaft. Allerdings fallen auch alle Selbständigen (Ärzt*innen, Anwält*innen und andere Freiberufler), die nicht Vollzeit arbeiten, in diese Kategorie. Deshalb ist auch diese Schätzung für sich allein zu hoch.
- Und schliesslich die dritte und genaueste Schätzung: Wir haben die Namen aller geschäftsführenden Personen analysiert, die im Zuger Handelsregister stehen. Das Resultat: Einzelpersonen verwalten Dutzende von Unternehmen, die produktivsten davon sogar über 100. Unternehmen, die von einer solchen Einzelperson verwaltet werden, können unmöglich echte Substanz haben. Bei der Analyse haben wir einen Schwellenwert von sechs verwalteten Unternehmen festgelegt (d. h. die Geschäftsführung widmet jedem weniger als einen Tag pro Woche). Das Ergebnis sind 6306 Firmen, die wir als substanzlos bezeichnen würden, was 17,8 % der Einträge im Zuger Handelsregister entspricht.
Die Zahl der Angestellten – ein gut geschütztes Geheimnis
Mit Hilfe der Website Zefix.ch, dem zentralen Verzeichnis aller Firmennamen in der Eidgenossenschaft, erstellten wir anschliessend eine erste Liste der Adressen, an denen die meisten Firmen gemeldet sind und jener mit den meisten Firmennamen mit c/o-Zusatz. Aber Achtung: Auch der Trend zu Coworking Spaces führt dazu, dass sich zahlreiche Unternehmen an einer einzigen Adresse registrieren. Folglich haben wir diese Gebäude in der weiteren Analyse nicht berücksichtigt.
Um die Substanz der Unternehmen zu prüfen, haben wir die Zahl der Beschäftigten in Vollzeitäquivalenten (VZÄ) ermittelt. Anonymisierte Daten (ohne Firmennamen) dazu sind auf der Website des Bundesamtes für Statistik (BFS) öffentlich zugänglich. Anhand der geografischen Koordinaten der Unternehmen lässt sich die Zahl ihrer Beschäftigten eruieren. Das Bundesamt hat sich hier sogar die Mühe gemacht, die letzten beiden Ziffern der Geolokalisierungsdaten systematisch zu ersetzen, um die Identifizierung dieser Unternehmen zu erschweren. Die Zahl der Beschäftigten scheint in der Schweiz eine hochsensible Information zu sein.
Um die nicht veröffentlichten Daten für das Jahr 2018 (die letzten zum Zeitpunkt der Erhebung verfügbaren Statistiken) zu erhalten, musste Public Eye einen Vertrag zum Datenschutz unterzeichnen, der unsere Möglichkeiten einschränken soll, zu genaue Ergebnisse zu verbreiten. Doch anhand dieser dritten Datenbank konnten wir den Durchschnitt der Vollzeitäquivalente pro Adresse berechnen. Die Daten zur Geolokalisierung der Adressen konnten wir über die Geocoding App von Google ermitteln. Die resultierende Adressdatei wurde dann durch Recherchen auf Google Maps, Besuche in den Gebäuden selbst sowie über das Verzeichnis search.ch ergänzt.