Wie Trafigura sich das Schweigen von Ex-Angestellten kauft
Adrià Budry Carbó, 4. Dezember 2024
«Erase - All ConsultCo» (ConsultCo muss vollständig gelöscht werden): Diese Notiz war handschriftlich in einem Notizbuch vermerkt. Bei Trafigura hatte jemand das Grossreinemachen begonnen. Und der Mann mit dem Spitznamen «Mr. Non-Compliant» (Herr nicht-gesetzeskonform), der «Dinge tun kann, die konzernintern nicht getan werden konnten», machte sich an die Arbeit. Von seinem diskreten Genfer Treuhandbüro in der Rue de la Croix d'Or aus zeichnete er für die verdeckte Buchhaltung, genauer: die Provisionsbuchhaltung, des Unternehmens verantwortlich.
Manchmal muss der «Kontrolleur» auch die Spuren seiner Arbeit verwischen, wie obige Notiz belegt, die von der Bundeskriminalpolizei bei der Durchsuchung des Treuhänders gefunden wurde. In diesem Fall die Daten zur Offshore-Firma ConsultCo Trading Ltd., die vom Ex-Trafigura-Angestellten (1995-2002) T.P., der als Mittelsmann agierte, benutzt wurde, um zwischen 2009 und 2011 einem hohen angolanischen Beamten im Gegenzug für günstige Verträge mutmassliche Bestechungsgelder zu zahlen.
Die Führungskräfte von Trafigura stehen stark unter Druck. Seit der Verhaftung von Mariano Marcondes Ferraz in Brasilien im Jahr 2016 zieht sich die Schlinge immer enger zu. Im Gegenzug für die Reduzierung seiner zehnjährigen Haftstrafe legte der ehemalige Trafigura-Manager ein Geständnis ab. Er gab zu, dass im Auftrag des Handelshauses beim Petrobras-Skandal, aber auch in Angola Schmiergelder geflossen sind. Die Bundesanwaltschaft (BA) leitete im Juli 2020 eine Untersuchung ein und die Bundeskriminalpolizei führte im April und September 2021 mehrere Durchsuchungen in den Büros von Trafigura und zwei weiteren Unternehmen sowie zuletzt bei der Treuhandgesellschaft von «Mr. Non-Compliant» (September 2022) durch.
Der Prozess gegen Trafigura wegen Bestechung eines ausländischen Amtsträgers vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona läuft seit dem 2. Dezember 2024. Auf der Anklagebank sitzen neben dem Konzern drei natürliche Personen: der angolanische Beamte, der Eigentümer von ConsultCo Trading Ltd. (T.P.) und Michael Wainwright, damals einer der höchsten Manager von Trafigura. Eine Premiere.
Zuckerbrot und «Clawback» (= Rückforderung)
Auch wenn man einen der weltgrössten Handelskonzerne leitet - 244 Milliarden US-Dollar Umsatz und 12’000 Angestellte - und sich mit Geschäften am Rande der Legalität bestens auskennt, macht man Fehler, wenn man unter Zeitdruck handelt. Wenn zu spät fürs Spuren verwischen ist, bezahlt Trafigura halt grosszügige Schweigegelder.
In seiner «Kooperationsvereinbarung» mit der brasilianischen Justiz vom Mai 2019 erklärte Mariano Marcondes Ferraz, von Trafigura 300'000 US-Dollar Jahresgehalt erhalten zu haben. Und ab Januar 2020 zudem gestaffelte Zahlungen in Höhe von 99 Millionen US-Dollar, was dem Wert jener Aktien entspricht, die er als ehemaliges Verwaltungsratsmitglied weiterhin hält.
Wie bei privat gehaltenen Rohstoffhändlern üblich, ist auch Trafigura im Besitz seiner Manager. Aktuell teilen sich rund 1400 Aktionäre die Milliardenprofite des multinationalen Konzerns. Wenn sie in Pension gehen, ableben oder ausgeschlossen werden, behalten die Manager ihre Anteile an Trafigura oder einer ihrer Filialen in Malta oder der Karibik (die Aktionärsliste ist ein echtes Who’s Who des Unternehmens). Ein allfälliger Aktienrückkauf läuft nach einem festgelegten Terminplan über mehrere Jahre.
Diese Vorgehensweise bietet den doppelten Vorteil, dass seine Führungskräfte eng an die Performance von Trafigura gebunden sind und interne Kritik abgeschreckt wird. Im Juni enthüllte Reuters einen Brief des Managements an aktuelle und ehemalige Mitarbeitende, in dem mit Gehaltskürzungen gedroht wurde, falls es zu «Verstössen gegen die Vertraulichkeitspolitik» kommen sollte. Solche Clawbacks oder Rückforderungsklauseln werden sonst von Finanzkonzernen verwendet, die bei Fehlverhalten oder schlechter Performance die Rückzahlung von Boni verlangen.
Zwischen 2017 und 2020 verlangte Trafigura von seinen Angestellten sogar die Unterzeichnung von Geheimhaltungsklauseln (non-disclosure), die sie daran hinderten, mit den Justizbehörden zu kommunizieren. Wegen dieser Praktiken sowie wegen Betrugs und Marktmanipulation verhängte die amerikanische Commodity Futures Trading Commission im Juni 2024 eine Geldstrafe von 55 Millionen US-Dollar.
Bei Trafigura war der ehemalige operative Leiter Michael Wainwright jahrelang für die Planung der Clawbacks verantwortlich. Er organisierte also die interne Verschwiegenheit. Nach Ankündigung des Prozesses wurde der als sorgfältig und distanziert geltende Schatzmeister von Trafigura mit 51 Jahren in den Vorruhestand versetzt. Bei seiner Anhörung am 6. Juni 2023, deren Protokoll Public Eye vorliegt, erwähnte Mariano Marcondes Ferraz die Sperrung seiner Aktienrückkäufe durch Wainwright und den Rest des Verwaltungsrats. Er habe ihnen Nachrichten geschickt, um herauszufinden, ob «die Zahlungen nun kommen oder nicht kommen würden».
Betonstarke Vorteile
Doch zurück zur ConsultCo Trading Ltd. Hinter diesem Namen verbirgt sich die gesamte verdeckte Buchhaltung von Trafigura. Sie ermöglichte es Mittelsmännern, den Verantwortlichen staatlicher Ölgesellschaften Provisionen zu zahlen. Klar, dass diese Dienstleistung ausgelagert wurde. Das auf den Britischen Jungferninseln domizilierte Unternehmen hielt über zwei maltesische Einheiten, die ihrerseits Aktionäre der Tochtergesellschaft Puma Energy (PE Investments Ltd und Global PE Investors Plc) waren, seinerseits Anteile an Trafigura. Deshalb musste ConsultCo Trading Ltd. auch «all-erased» (vollständig gelöscht) werden. Der Rückkauf der Aktien wurde im September und Oktober 2022 für einen unbekannten Betrag abgeschlossen.
Der Genfer Eigentümer von ConsultCo Trading Ltd besitzt schon einen Hafen am linken Seeufer, wurde von Trafigura aber mit weiteren Vermögenswerten bedacht – pikanterweise sieben Monate nach Beginn der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft. Im Februar 2021 verkaufte die Tochtergesellschaft Puma Energy ihre gesamte Beteiligung an der kongolesischen Firma SPSA Cobil SA an ein Unternehmen namens Translog Sàrl, das sich im Besitz von T.P. sowie seines kongolesischen Partners G.M. befand, wie aus offiziellen Dokumenten hervorgeht, die wir einsehen konnten.
Über Translog hielt T.P. bereits Anteile an SPSA Cobil SA. Das Unternehmen betreibt Öllagerterminals in Matadi, einem Ort am Fluss Kongo, der für die Binnenschifffahrt strategisch wichtig ist. Durch seine Kontakte zum Sohn des Präsidenten der Republik Kongo, Denis Christel Sassou-Nguesso, erhielt der Trafigura-Vermittler Rohöl, das in den staatlichen Coraf-Raffinerien zu Treibstoff verarbeitet wurde - zu «Dumpingpreisen», wie es Africa Intelligence ausdrückte - um dann auf der anderen Seite des Flusses in der bevölkerungsreiche DR Kongo verkauft zu werden. Das System wird in der Szene als wahre «Geldmaschine» beschrieben.
Warum trennte sich Trafigura von SPSA Cobil SA? Wurde die Übertragung von Vermögenswerten als Belohnung für Dienstleistungen vorgenommen, und wenn ja, welcher Art? Auf Anfrage teilte das Unternehmen mit, dass es „keine Stellungnahme zu (unseren) Fragen abgeben möchte“. Eine weitere Art, das Schweigen zu predigen.