Gift im Wasser
In Brasilien sind die Anbieter von Trinkwasser dazu verpflichtet, das Wasser alle sechs Monate auf 27 Pestizide zu prüfen und die Ergebnisse an die Bundesregierung weiterzuleiten, welche sie in der Datenbank Sisagua zentral sammelt. Unter Berufung auf das Öffentlichkeitsgesetz haben wir Antrag auf Zugriff auf diese Datenbank gestellt – und erhalten.
Wasser ist Leben – Wirklich?
Schaut man sich die 27 Substanzen an, die aufgrund des Ausmasses ihrer Verwendung, ihres Wasserverschmutzungspotenzials und ihrer Toxizität im Wasser getestet werden, verspürt man kein besonderes Bedürfnis, seinen Durst zu stillen. 21 der 27 Pestizide klassifiziert das Pesticide Action Network (PAN) als «hochgefährlich». Sieben sind in Brasilien gar nicht mehr zugelassen, werden aber aufgrund ihrer hohen Persistenz weiterhin getestet. Darunter ist etwa das von Ciba-Geigy entwickelte Insektizid DDT, welches die USEPA als «wahrscheinlich krebserregend» einstuft.
Sieben der zwanzig getesteten Substanzen, die heute noch auf dem Markt sind, werden in Brasilien auch von Syngenta verkauft. Fünf stehen auf der PAN-Liste, vier davon wegen ihrer chronischen Gefahr für die Gesundheit: Atrazin (fortpflanzungsgefährdend, hormonaktiv gemäss USEPA und EU), Glyphosat (wahrscheinlich krebserregend gemäss IARC), Diuron (wahrscheinlich krebserregend gemäss USEPA) sowie Mancozeb (hormonaktiv gemäss EU und wahrscheinlich krebserregend gemäss USEPA). Alles Wirkstoffe, die Syngenta «nicht als hochgefährlich erachtet».
Ob der Verwaltungsrat wohl gerne ein Glas degustieren würde? Vielleicht lieber doch nicht. Die Resultate von Sisagua in Bezug auf Brasiliens Trinkwasser laden nicht unbedingt dazu ein, damit auf die Gesundheit anzustossen. Insgesamt enthalten 86 Prozent der 850‘000 Testproben Pestizidrückstände. In 454 Gemeinden mit einer Gesamtbevölkerung von 33 Mio. Menschen wurden mindestens einmal zwischen 2014 und 2017 die in Brasilien zugelassenen Höchstwerte – die generell höher sind als jene bei uns (siehe „Wo liegt die Grenze“)– überschritten.
Im Allgemeinen ist das Trinkwasser in Brasilien viel stärker verschmutzt als in der Schweiz oder der EU. Während in der EU nur gerade 0,1% der Proben über dem dortigen gesetzlichen Höchstwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter liegen, sind es in Brasilien 12,5%.
Wo liegt die Grenze?
Die brasilianische Regierung hat einen Höchstwert für alle getesteten Substanzen festgelegt, angegeben in Mikrogramm pro Liter Trinkwasser. Bei der Definition dieser Grenzwerte stützt sie sich auf die WHO-Richtlinien für Wasserqualität. Zahlreiche anerkannte Expertinnen und Experten sind jedoch der Meinung, dass die von der WHO festgelegten Grenzwerte nicht ausreichen, um die Gesundheit zu schützen.
So berücksichtigen die in intransparenten und von der Industrie beeinflussten Verfahren festgelegten Grenzwerte weder die Folgen des sogenannten Cocktail--Effekts kombinierter Pestizide noch die besondere Gefährdung von besonders empfindlichen Bevölkerungsgruppen wie Kindern; ganz zu schweigen von den mangelnden Erfahrungswerten hinsichtlich Langzeitfolgen.
Die Schweiz und die EU verfolgen deshalb einen Grundansatz, der Trinkwasser ohne gefährliche Pestizidrückstände gewährleisten soll. Der gesetzliche Grenzwert liegt für alle Substanzen bei 0,1 Mikrogramm pro Liter, und die Summe aller im Wasser festgestellten Pestizide darf den Wert von 0,5 Mikrogramm nicht überschreiten. Laut Syngenta sind diese EU-Normen «weder den Gesundheitsrisiken» entsprechend bestimmt, noch seien sie «wissenschaftlich gerechtfertigt».
Ein explosiver Cocktail
Jede der 27 getesteten Substanzen wurde in mindestens 80 Prozent der Stichproben gefunden – und das oft in einer Konzentration, die über dem europäischen Grenzwert lag. Eine der am häufigsten nachgewiesenen Substanzen ist Atrazin, ein als hormonverändernd und fortpflanzungsgefährdend eingestuftes Herbizid, das in der Schweiz und der EU verboten ist, weil es Trinkwasserquellen verunreinigt. In Brasilien wurde die Substanz in 85 Prozent aller getesteten Wasserproben nachgewiesen. Syngenta ist globale Marktführerin beim Verkauf dieses hochumstrittenen Pestizids.
Doch schlimmer noch: Im Trinkwasser stösst man regelmässig auf einen Cocktail sämtlicher getesteter Substanzen. 1396 Gemeinden mit einer Gesamtbevölkerung von 85 Millionen Menschen haben alle Pestizide mindestens einmal in diesen vier Jahren gemessen.
Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer sind also einem Pestizidcocktail ausgesetzt, dessen Folgen zwar äusserst schwerwiegend sein könnten, über den man jedoch kaum etwas weiss. Zahlreiche Toxikologen warnen vor dem berühmten «Cocktail-Effekt», den André Leu in seinem Buch «The Myths of Safe Pesticides» so beschreibt: «Chemische Cocktails können synergetisch wirken. Das bedeutet, dass die Toxizität sich nicht mit 1+1=2 berechnen lässt, sondern dass der Sondereffekt der Mischung hinsichtlich der Toxizität zu einem Resultat von 1+1=5 oder mehr führen kann.» Dr. Pignati fragt: «Wie kann man Trinkwasser, das 27 Pestizide enthält, für gesundheitlich unbedenklich halten?»
Die Ergebnisse sind umso alarmierender, wenn man weiss, dass sie nur einen Bruchteil des tatsächlichen Problems widerspiegeln. So leiteten durchschnittlich nur 30 Prozent der Gemeinden ihre Daten jedes Jahr an die Bundesbehörden weiter. Und nur drei Prozent dieser Gemeinden führten während der vier Jahre auch tatsächlich alle sechs Monate Tests durch, wie es gesetzlich vorgeschrieben wäre. Im Bundesstaat Mato Grosso etwa, dem grössten Pestizidkonsumenten, haben gerade einmal 24 Prozent der Gemeinden mindestens ein Testergebnis weitergeleitet. Hinzu kommt, dass die Spitzenwerte der Konzentration mit dieser Form des Monitorings sowieso kaum zu eruieren sind.
Ein zu hoher Preis
Der Zugang zu Trinkwasser ist ein Menschenrecht. Und doch ist die brasilianische Bevölkerung regelmässig hochgefährlichen Pestiziden im Wasser ausgesetzt. Das Geld für das aufwendige Monitoring – unseren Schätzung zufolge gut zwei Millionen Dollar jährlich – müssen die Trinkwasseranbieter sowie die regionalen und nationalen Behörden bereitstellen. Den höchsten Preis für das illegitime Geschäftsmodell von Agrochemiekonzernen wie Syngenta bezahlt aber letztlich die Bevölkerung.