Goodbye Genf? Dubai wird neue Drehscheibe für russischen Ölhandel

Das westliche Embargo, das Putins Kriegskasse schmälern soll, hat die Weltkarte des russischen Öls neu gezeichnet. Dubai, das keine Sanktionen verhängt, hat Genf verdrängt, wie eine Vor-Ort-Recherche von Public Eye zeigt. Laut Zolldaten sind kleine undurchsichtige Unternehmen, die seit kurzem in der emiratischen Steueroase registriert sind, nun die Hauptabnehmer von russischem Rohöl. Die Schweizer Handelskonzerne bleiben derzeit im Hintergrund. Einzige Ausnahme ist Litasco, das weiterhin Öl von seiner Muttergesellschaft Lukoil verkauft. Während die globalen Spannungen zunehmen, muss das für die Durchsetzung der Schweizer Sanktionen zuständige SECO dringend die Grauzonen bei der Umsetzung dieses historischen Embargos klären.

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben die westlichen Sanktionen gegen russisches Öl im Dezember 2022 nicht übernommen. Im Gegensatz zu den Schweizer Händlern müssen die in Dubai registrierten Unternehmen den Preisdeckel von 60 US-Dollar für ein Barrel Rohöl nicht einhalten, um weiterhin mit Moskau zu handeln. Seit der russischen Invasion in der Ukraine haben daher Dutzende von Unternehmen, die bislang von Genf aus operierten, ihre Präsenz in der emiratischen Hauptstadt verstärkt oder dort eine neue Gesellschaft registriert. Gemäss Informant*innen, die wir im Oktober in Dubai trafen, haben sich die meisten Händler beim Dubai Multi Commodities Centre (DMCC) angesiedelt, einer Freihandelszone mit günstigen Steuersätzen und minimalen Compliance-Verfahren.

Bis Februar 2022 wurden nach unseren Schätzungen noch 50 bis 60 Prozent des russischen Rohöls von der Schweiz aus gehandelt, hauptsächlich über Genf. Von Public Eye ausgewertete Daten des russischen Zolls zeigen nun, dass zwischen Januar und Juli 2023 in Dubai registrierte Unternehmen mehr als die Hälfte der aus den vier wichtigsten russischen Häfen exportierten Mengen im Wert von mindestens 14 Milliarden US-Dollar gekauft haben. Sechs der zehn grössten privaten Käufer von russischem Rohöl, das auf dem Seeweg transportiert wird, haben ihren Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Demex Trading Limited DMCC, Amur II FZCO und Tejarinaft FZCO gehören zu diesen oft undurchsichtigen Newcomern. Laut Bloomberg stehen die beiden letztgenannten Unternehmen in Verbindung mit einem ehemaligen Geschäftspartner von Rosneft, gegen den in den USA wegen des Verdachts der Umgehung von Ölsanktionen ermittelt wird.

Die Schweizer Handelsriesen Trafigura, Vitol und Gunvor - alles ehemalige Schlüsselpartner des Kremls - sind heute praktisch nicht mehr auf diesem heiklen Markt vertreten, obwohl sie im Frühling 2023 von Washington noch diskret dazu aufgefordert wurden. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist Litasco Middle East DMCC, die weiterhin grosse Mengen an Ölprodukten ihrer Muttergesellschaft Lukoil vertreibt. Auch die Genfer Litasco SA kauft weiter russisches Öl, zumindest bis Juli 2023. Das Unternehmen erklärt, dass es dabei "alle geltenden Gesetze und Vorschriften einhält", und betont, dass es "völlig getrennt" von seiner in Dubai ansässigen Einheit operiert.

Angesichts der zunehmenden Attraktivität Dubais besteht die Gefahr, dass in der Schweiz ansässige Händler diese neue Drehscheibe für Geschäfte nutzen könnten, die in Genf verboten sind. Anders als in der EU ist der territoriale Geltungsbereich von Schweizer Sanktionen nämlich nicht ausdrücklich festgelegt. Das für die Durchsetzung von Sanktionen zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) erklärt, dass "rechtlich selbständige ausländische Tochtergesellschaften von Schweizer Unternehmen oder im Ausland lebende Schweizer Staatsangehörige grundsätzlich nicht der Schweizer Gesetzgebung unterliegen". In einem derart komplexen Umfeld muss das SECO kontrollieren, ob jene "chinesischen Mauern", die zwischen Genfer und in Dubai ansässigen Unternehmen errichtet wurden, um die besagte "rechtliche Unabhängigkeit" herzustellen, nicht nur ein Vorwand sind.

Der Fall des Genfer Ölhändlers Paramount Energy & Commodities SA, über dessen Markteintritt unmittelbar nach Kriegsbeginn wir berichteten, zeigt die Risiken für die Schweiz: Am 8. November sanktionierte Grossbritannien die in Dubai ansässige Gesellschaft. Gemäss dem britischen Aussenministerium ist das Unternehmen "dafür bekannt, undurchsichtige Eigentumsstrukturen zu verwenden" und "wurde von Russland benutzt, um die Sanktionen im Zusammenhang mit Erdöl zu mildern".

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