Menschenrechte schützen: Machtungleichgewichte in landwirtschaftlichen Lieferketten bekämpfen

Produzent*innen und Landarbeiter*innen im Globalen Süden haben der überlegenen Verhandlungsposition marktmächtiger Agrarhändler wenig entgegenzusetzen. Das Ausnutzen der enormen Machtungleichgewichte ist mitverantwortlich für die oft desolate Menschen- und Arbeitsrechtssituation. Wettbewerbsbehörden in den Sitzstaaten der Unternehmen haben weder Durchgriff noch Mandat, um gegen solchen Machtmissbrauch vorzugehen. Eine Regulierung der Agrarhändler ist überfällig.

Warum müssen sich Kinder in westafrikanischen Kakaoplantagen abrackern? Warum werden Landarbeiter*innen in der ecuadorianischen Bananenproduktion ausgebeutet? Und warum leiden Pflücker*innen in brasilianischen Orangenhainen unter miserablen Arbeitsbedingungen? Die Ursachen für die weitverbreiteten Missstände in der Produktion von landwirtschaftlichen Rohstoffen sind vielschichtig und kontextspezifisch. Unsere Recherchen und Analysen zeigen jedoch ein wiederkehrendes Grundmuster, das für Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen auf Anbaustufe mitverantwortlich ist: das ausgeprägte Machtungleichgewicht entlang globaler Lieferketten. Wenigen mächtigen Agrarrohstoffhändlern stehen unzählige Kleinbauern und -bäuerinnen oder landwirtschaftliche Arbeitskräfte ohne wirtschaftlichen Einfluss gegenüber. 

Ob bei Weizen, Zucker, Baumwolle oder Kaffee: Eine Handvoll in der Öffentlichkeit kaum bekannter Konzerne dominiert den Handel mit landwirtschaftlichen Rohstoffen. Ihre Namen sind Bunge, Cargill, COFCO, Olam oder Louis Dreyfus Company. Während die Marktkonzentration durch Fusionen und Übernahmen laufend zunimmt, bauen sie ihre dominante Stellung auch durch die vertikale Integration in globale Wertschöpfungsketten aus. Sie agieren also nicht nur als Händler, sondern verarbeiten die Rohstoffe auch zunehmend selbst. Zudem sind sie in den Anbau wichtiger Agrarprodukte eingestiegen. Eine Recherche von Public Eye hat erstmals aufgezeigt, dass grosse Agrarhändler mehr als 550 Plantagen mit einer Gesamtfläche von 2,7 Millionen Hektar kontrollieren, überwiegend in Ländern des Globalen Südens. 

Schweizer Agrarhändler besitzen und kontrollieren weltweit viele Plantagen. Für die Arbeitsbedingungen und die Missstände in der dortigen Produktion sind sie deshalb direkt verantwortlich. Mit Klick aufs Bild gehts zur Recherche.

Machtungleichgewichte 

Diese wachsende Machtasymmetrie manifestiert sich in einer hochgradig ungleichen Verhandlungsmacht. Die oft marginalisierten Kleinproduzent*innen und Landarbeiter*innen sind geografisch weit verstreut und kaum organisiert. Meist produzieren sie standardisierte Massengüter, womit ihr Angebot einfach zu ersetzen ist. Fehlende Lagerkapazitäten und dringender Liquiditätsbedarf schwächen ihre Verhandlungsposition weiter. Bei rasch verderblichen Produkten wie Zuckerrohr oder Palmölfrüchten kommt eine Abhängigkeit von nahegelegenen Verarbeitungsanlagen der global tätigen Handelsfirmen hinzu. 

Diese Machtkonstellation ist gemäss der UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) in den meisten landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten zu beobachten. Dabei wird der durch den internationalen Wettbewerb zusätzlich befeuerte Kostendruck auf die schwächsten Akteure der Wertschöpfungskette abgewälzt, indem mächtige Agrarhändler den Produzent*innen die Geschäfts- sowie Produktionsbedingungen und damit letztlich die Preise diktieren. Arbeitsbedingungen verschlechtern sich, während gleichzeitig Löhne und Einkommen unter Druck geraten, was zu oft gravierenden Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen führt. Deren systemisches Auftreten steht demnach direkt in Zusammenhang mit dem grossen Machtungleichgewicht und dessen Ausnutzung durch Agrarhändler. 

Die Verantwortung der Schweiz als Agrarrohstoffhub 

Die Schweiz steht als weltgrösster Handelsplatz für Agrarrohstoffe in der Verantwortung, den in den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) festgeschriebenen Sorgfaltspflichten nachzukommen und die Einhaltung der Menschenrechte durch hiesige Handelsunternehmen bei ihren Geschäftstätigkeiten im Ausland sicherzustellen. Nach dem knappen Scheitern der Konzernverantwortungsinitiative setzt die Schweiz mit dem bundesrätlichen Gegenvorschlag, der aufgrund seiner zahllosen Schlupflöcher aus unserer Sicht eine Alibi-Regulierung darstellt, weiterhin primär auf freiwillige Massnahmen der Händler – obwohl deren Versagen längst augenfällig ist. Es stellt sich die Frage nach regulatorischen Ansätzen, die effektiv verhindern könnten, dass Agrarhändler ihre Verhandlungsmacht missbrauchen und dadurch zu Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen in der landwirtschaftlichen Produktion beitragen.  

  • © Ramiro Aguilar Villamarín
  • © Ramiro Aguilar Villamarin
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In der Region Machala in Ecuador beliefern viele Plantagen drei multinationale Konzerne: Fyffes, Dole und Chiquita. Die Bananenarbeiter*innen riskieren ihre Gesundheit, während die Agrarhändler grosse Gewinne einstreichen.

Kartellgesetz und die Bekämpfung von Marktmacht 

Ein möglicher Ansatzpunkt – so würde man meinen – könnte die schweizerische Wettbewerbspolitik sein. Gemäss Kartellgesetz besteht die Aufgabe der Wettbewerbskommission darin, neben der Verhinderung von Kartellen und der Fusionskontrolle den Machtmissbrauch zu bekämpfen. Damit soll verhindert werden, dass marktbeherrschende Unternehmen ihre Stellung missbrauchen und dadurch einen wirksamen Wettbewerb beeinträchtigen. Gilt dies auch für Schweizer Agrarhändler, wenn sie ihre überlegene Verhandlungsposition in diesem Sinne missbrauchen? 

Die Resultate einer Studie, welche Public Eye bei einer auf Wettbewerbsrecht und Landwirtschaftsfragen spezialisierten Kanzlei in Auftrag gab, sind ernüchternd. Das Kartellgesetz folgt dem sogenannten Auswirkungsprinzip: es kommt nur zur Anwendung, wenn sich eine Wettbewerbsbeschränkung auf den schweizerischen Markt auswirkt, vor allem wenn sich dadurch höhere Preise, eine tiefere Qualität oder eine eingeschränkte Produkteauswahl in der Schweiz ergeben für die inländischen Konsument*innen. 

Beim Schweizer Rohstoffgeschäft geht es um Transithandel, bei dem Güter im Land A beschafft und im Land B abgesetzt werden – ohne dass diese jemals physisch in die Schweiz gelangen und der Schweizer Markt davon betroffen wäre. Ob aus dem Missbrauch von Marktmacht durch Schweizer Agrarhändler also schlechtere Preise für Kleinbauern und -bäuerinnen im Ausland resultieren, interessiert das Wettbewerbsrecht nicht – denn es trifft Schweizer Konsument*innen nicht negativ. Das Fazit der Studie ist denn auch klar. 

«Mit den Mitteln des Kartellgesetzes lässt sich marktmissbräuchliches Verhalten in Zuliefermärkten im Ausland nicht bekämpfen.»

Das Auswirkungsprinzip wird international breit anerkannt. Es gilt gemäss OECD auch für andere nationale Wettbewerbsbehörden. Die national organisierte Wettbewerbspolitik hat also einen strukturellen Nachteil gegenüber international operierenden Unternehmen. Um der Ausnutzung von Verhandlungsmacht im Ausland wirksam begegnen zu können wird daher immer wieder die Forderung nach einer supranationalen Wettbewerbsinstanz laut. Aus Gründen der nationalen Souveränität fehlt bisher jedoch der politische Wille dafür. 

Unterbindung von unfairen Handelspraktiken 

Die Bekämpfung von Machtmissbrauch aufgrund einer dominanten Verhandlungsposition muss demnach ausserhalb des Wettbewerbsrechts angegangen werden. So hat die Europäische Kommission 2019 eine Richtlinie gegen unfaire Handelspraktiken (Unfair Trading Practices, UTP) in globalen landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten erlassen. Diese verbietet 16 konkrete Praktiken in Abnahmeverträgen, darunter einseitige Vertragsänderungen und verspätete Auszahlungen. Die UTP-Regulierung gilt für alle marktmächtigen Unternehmen, die Güter von kleinen Produzent*innen auf dem EU-Binnenmarkt absetzen – also auch die allermeisten Schweizer Agrarhändler. Eine Übernahme der Regulierung durch die Schweiz würde daher keinen Mehrwert bieten. 

Dass die EU die schädliche Wirkung der massiven Machtungleichgewichte in globalen landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten anerkennt, ist begrüssenswert. Allerdings beschränkt sich die UTP-Regulierung auf Situationen, in denen Abnahmeverträge existieren. Ausserdem legen sie lediglich Minimumstandards für unlautere Handelspraktiken fest. Nicht erfasst werden Abnahmepreise, die unter den Produktionskosten liegen. Es sind aber genau die oft viel zu tiefen Preise, die Bauern und Bäuerinnen im Globalen Süden für ihre Produkte erhalten, die letztendlich zu den weitverbreiteten Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen im Anbau von Agrarrohstoffen führen.  

© Pixabay
Kaffeeernte in Brasilien.

Dringender Regulierungsbedarf 

Bedarf für eine griffige Regulierung des Rohstoffhandels in der Schweiz besteht also weiterhin. Der zahnlose Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative wird es mit Sicherheit nicht richten. Vielmehr muss sich die Schweiz als beliebter Konzernstandort und Drehscheibe des globalen Rohstoffhandels an dem im Februar 2022 publizierten Vorschlag der Europäischen Kommission für ein EU-weites Lieferkettengesetz orientieren und rasch eine vergleichbare Regulierung auf den Weg bringen. 

Public Eye fordert zudem seit Jahren eine wirksame Regulierung des Hochrisikosektors Rohstoffhandel. Der detailliert ausgearbeitete Vorschlag einer Rohstoffmarktaufsicht (ROHMA) zeigt konkret, wie die Schweiz menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken ihrer Rohstoffbranche minimieren könnte. Angelehnt an und analog zur Finanzmarktaufsicht FINMA würde diese unabhängige Behörde eine konsequente Aufsicht und berechenbare Regulierung der Rohstoffhändler sicherstellen. Die ROHMA würde die Rohstoffhändler zu weitreichenden Sorgfaltsprüfungen entlang ihrer Lieferketten verpflichten und damit der Schweiz erlauben, ihrer besonderen Verantwortung als Sitzstaat dieser Firmen nachzukommen. 

Auch mit der wirkungsvollsten Regulierung werden die enormen Machtungleichgewichte in landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten nicht einfach verschwinden. Sie würde die Agrarhändler jedoch dazu zwingen, ihr noch allzu oft von Menschenrechts- und Umweltverstössen profitierendes Geschäftsmodell umzukrempeln. Und dies wäre ein entscheidender Schritt in Richtung einer gerechteren Verteilung von Macht und Wertschöpfung entlang globaler Lieferketten.