Mercosur
Die Verhandlungen zu einem Handelsabkommen zwischen der EFTA und den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) begannen im Juni 2017 und wurden nach zehn Runden im August 2019 «in der Substanz» abgeschlossen. Der Verhandlungsprozess war durch Intransparenz gekennzeichnet, und auch zum Ergebnis liegen nur spärliche Informationen vor: Der Vertragstext wird bis heute unter Verschluss gehalten. Diese Intransparenz ist nicht mehr zeitgemäss und passt schlecht zu den bundesrätlichen Versprechen in seiner aussenwirtschaftspolitischen Strategie: «Die Schweiz pflegt eine transparente und für Anliegen der interessierten Kreise zugängliche Aussenwirtschaftspolitik. Sie informiert systematisch über neue Regelungen und Abkommen.»
Als Begründung für die bisher nicht erfolgte Veröffentlichung führt das Seco Unstimmigkeiten bei der juristischen Bereinigung des Textes an. Auch die Tatsache, dass die EU gleichzeitig ein FHA mit Mercosur aushandelt, führt zu Verzögerungen. Denn erstens hat dieses ungleich wichtigere Abkommen für Mercosur Priorität. Und zweitens versucht die EU-Kommission mittels Nachverhandlungen, den Mercosur-Staaten weitere Zugeständnisse zum Schutz der Regenwälder abzuringen. Im Gegensatz zur EFTA hat die EU den Vertragstext jedoch grösstenteils veröffentlicht.
Neben der notorischen Intransparenz kritisiert Public Eye auch den fehlenden Einbezug von Betroffenen. So wurden zivilgesellschaftliche Kreise in der Schweiz und den Mercosur-Staaten weder im Vorfeld noch während des Verhandlungsprozesses konsultiert – ganz im Gegensatz zur Wirtschaft.
Nachhaltigkeit? Fehlanzeige!
Aus den wenigen Informationen müssen wir schliessen, dass das FHA zu einer Ausdehnung des Handels mit sensiblen Landwirtschaftsprodukten führen wird, was sowohl den Nachhaltigkeits- und Klimazielen zuwiderläuft als auch die Menschenrechtsituation weiter verschärfen dürfte.
Mit einem griffigen Nachhaltigkeitskapitel im Mercosur-Abkommen, so versichert uns das Seco, sollen allfällige negative Auswirkungen auf Menschen und Umwelt verhindert werden. Was die Bestimmungen zur Bewirtschaftung von Waldressourcen, zum Klimaschutz und zur ökologischen Landwirtschaft im Detail enthalten, bleibt jedoch nebulös. Zudem wird ihre Einhaltung weder systematisch überwacht, noch können Verfehlungen sanktioniert oder vor dem im Abkommen vorgesehenen Schiedsgericht eingeklagt werden – im Gegensatz zu allen anderen Teilen des Deals (vgl. Nachhaltigkeitskapitel).
Zollanreize können dazu dienen, die Produktion nachhaltiger zu gestalten. Im FHA mit Indonesien hat die Schweiz diesen als PPM-Ansatz (Process and Production Method) bezeichneten Mechanismus angewandt. Gemäss Auskunft des Seco ist dies im FHA mit Mercosur jedoch nicht vorgesehen. Das ist ein enttäuschender Rückschritt. Public Eye erwartet, dass auch im Fall des Mercosur-Abkommens Zollreduktionen für Landwirtschaftsprodukte konsequent an Nachhaltigkeitsbedingungen geknüpft werden, um einer weiteren Abholzung des Amazonas entgegen zu wirken.
Menschenrechtlich unsensibel, entwicklungspolitisch fragwürdig
In den Mercosur-Ländern – und insbesondere in Brasilien – werden die Rechte der Indigenen, aber auch weiterer marginalisierter Gruppen (z.B. Landlose, Quilombolas) systematisch und massiv verletzt. Um zu verhindern, dass diese Menschenrechtsverletzungen durch das Freihandelsabkommen zusätzlich verstärkt werden, braucht es Bestimmungen, die überwacht und durchgesetzt werden können – es reicht nicht, auf die wichtigen internationalen Menschenrechtsinstrumente lediglich zu «verweisen». Im Kontext der in der Vergangenheit gesetzlich vorangetriebenen Schwächung der Indigenenrechte in Brasilien ist dieses Versäumnis unverständlich; dasselbe gilt für die notorischen Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen in der landwirtschaftlichen Produktion vieler Exportgüter.
Eine grundsätzliche Kritik am Abkommen betrifft dessen fehlende entwicklungspolitische Orientierung. Es ist zu befürchten, dass der weitgehende Abbau von Importzöllen für Industrieprodukte aus der EFTA die nationalen Industrien in den Mercosur-Staaten schwächen wird, und damit deren Rolle als Rohstofflieferanten zementiert wird. Zivilgesellschaftliche Organisationen in den Mercosur-Staaten kritisieren diesen «neokolonialen Charakter» des Abkommens heftig. Public Eye warnt ebenfalls seit Langem vor einem unbedachten Zollabbau für Industrieprodukte, da damit auch dringend benötigte Staatseinnahmen für die Finanzierung des Bildungs- und Gesundheitswesens sowie weiterer öffentlicher Ausgaben wegfallen.
Die Zivilgesellschaft wehrt sich
In der Schweiz hat sich 2018 eine zivilgesellschaftliche Koalition gebildet, der auch Public Eye angehört. Seither begleitet die breit aufgestellte Mercosur-Koalition den FHA-Prozess und weist auf politischer Ebene, bei der Verwaltung und in der Öffentlichkeit auf die Schwachstellen des Abkommens hin.
Bereits kurz nach Verhandlungsbeginn haben Mitglieder der späteren Koalition in einer gemeinsamen Medienmitteilung mit der uruguayischen NGO REDES transparente Verhandlungen und die Konsultation von Betroffenen verlangt. Weitere Forderungen hat die Mercosur-Koalition anlässlich ihrer Medienkonferenz im Oktober 2018 und in einer Medienmitteilung zum Abschluss der Verhandlungen gestellt, darunter die Durchführung vorgängiger Nachhaltigkeitsanalysen und die Aufnahme verbindlicher Nachhaltigkeitskriterien. Public Eye hat sich zudem in einer Schwerpunkt-Ausgabe ihres Magazins zum brennenden Amazonas kritisch mit dem Mercosur-Abkommen auseinandergesetzt.
Den Widerstand zivilgesellschaftlicher Organisationen in den Mercosur-Staaten führen NGOs und soziale Bewegungen in Brasilien an, was wenig erstaunlich ist, da dieses Land rund 80% des Handelsvolumens zwischen der EFTA und dem Mercosur-Block abdeckt. Die Mercosur-Koalition pflegt einen regen Austausch mit diesen Organisationen, um sich gegenseitig zu unterstützen und die Kräfte zu bündeln.