Interview mit der UNIA

Mode-Onlinehandel und die Arbeitsbedingungen in der Logistik: Fünf Fragen an die Gewerkschaft Unia, beantwortet von Anne Rubin, Co-Verantwortliche Detailhandel und Roman Künzler, Verantwortlicher Logistik und Transport.

Warum beschäftigen Sie sich in Ihrer Arbeit mit Onlinehandel?

Der Onlinehandel gewinnt jährlich an Marktanteilen im Detailhandel und macht inzwischen deutlich mehr als 10% aus. Dieser Strukturwandel wurde durch die Pandemie noch beschleunigt. Eigentlich müsste man von einem Multichannel-Handel sprechen, der sowohl den Onlineverkauf von stationären Geschäften umfasst, als auch die Entwicklung von Onlinehändlern zu Online-Marktplätzen, auf denen stationäre Geschäfte ihre Produkte anbieten. Logischerweise beschäftigt dieser Sektor immer mehr Menschen. Ein Teil des stationären Detailhandels ist gewerkschaftlich organisiert und verfügt über Gesamtarbeitsverträge. Doch entlang der Logistikkette, die die Prüfung von Bestellungen (im Lager oder im Geschäft), den Transport sowie den Kundendienst (Retouren) beinhaltet, gibt es noch kaum gewerkschaftliche Organisation und wenig Regulierung. Und wenn Regelungen bestehen, sind sie eindeutig unzureichend. Es ist die neue Domäne der unterbezahlten und ultraflexiblen Arbeitnehmenden, die unter prekären Bedingungen arbeiten, kaum Einkommensgarantien haben und enormem Stress und Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind. Es ist also nur folgerichtig, dass wir uns damit beschäftigen.

Welche Probleme sehen Sie in der Logistik, was bereitet Ihnen am meisten Sorgen?

Wir sehen gravierende Probleme bei den Löhnen, unbezahlten Arbeitsstunden, sehr flexiblen Einsatzzeiten (die Angestellten wissen, wann ihr Arbeitstag beginnt, aber nicht, wann er endet), mangelndem Gesundheitsschutz und Verstössen gegen das Arbeitsgesetz (zu lange Arbeitstage, keine Pausen, Risikobereitschaft im Verkehr, um rechtzeitig zu liefern, äusserst intensiver Arbeitsrhythmus), Auslagerung und Temporärarbeit mit unsicheren und flexiblen Verträgen. All diese Faktoren werden durch einen extremen Kostendruck verursacht, der sich auf das letzte Glied der Kette auswirkt: auf die Arbeitnehmenden.

Kann E-Commerce auch eine positive Wirkung haben? Gibt es auch positive Trends?

Der Multichannel-Handel kann dem Verkaufspersonal die Gelegenheit bieten, seine Qualifikationen und Kompetenzen zu erweitern. Allerdings muss die Umstellung mit Schulungsmassnahmen einhergehen und lohntechnisch honoriert werden. Es handelt sich um eine Branche, in der die Löhne nach wie vor niedrig sind.

Was wären für Sie Anzeichen dafür, dass ein Onlinehändler in der Logistik verantwortungsvoller agiert?

Er muss die Gewerkschafts- und Vereinigungsfreiheit der Arbeitnehmenden respektieren. Zudem sollte er einen Gesamtarbeitsvertrag mit korrekten Mindeststandards abschliessen, einschliesslich existenzsichernder Löhne, Einkommenssicherheit und annehmbaren sowie vorhersehbaren Arbeitszeiten. Und er sollte auch solidarisch für seine Subunternehmen haften und diese dazu verpflichten, die gleichen Standards einzuhalten. Generell gilt: Je weniger Subunternehmen und Temporärarbeit, desto besser die Arbeitsbedingungen.

Was sollte die Politik machen, um die Arbeitsbedingungen in der Logistik zu verbessern?

Es braucht einen besseren Schutz von Arbeitnehmer*innen in der Logistik und eine konsequentere Kontrolle und Durchsetzung bestehender Gesetze, sowie höhere Strafen bei Verstössen gegen das Arbeitsgesetz. Die Arbeitsinspektorate müssen proaktiver und besser ausgestattet werden. Es braucht ein entschiedenes Durchgreifen gegen Plattformen, welche Bestimmungen umgehen. Fiktives Subunternehmertum wie bei DPD oder DHL, bei dem im Namen des bekannten Unternehmens aufgetreten wird, die Arbeitsverträge jedoch von Kleinstfirmen ausgestellt werden, muss gestoppt werden. Es braucht politischen Druck, dass ein allgemein verbindlicher Gesamtarbeitsvertrag mit starkem Vollzug die Arbeitsbedingungen regelt. Dort wo wie im Postmarkt behördlich Mindestbedingungen festgelegt werden können, müssen diese auf ein würdiges Niveau angehoben werden. Momentan gilt dort ein Mindestlohn von 18.27 Franken pro Stunde bei einer Arbeitswoche von 44 Stunden. Scheinselbständigkeit kann politisch mit wenigen Gesetzesänderungen unterbunden werden. Eine starke Solidarhaftung für Missstände bei Subunternehmen braucht es, um zu verhindern, dass Arbeitgeber weiter ihren Traum verfolgen, riesige Logistikunternehmen ohne Angestellte zu sein. Die Arbeiter*innen müssen sich repressionsfrei wehren können. Dazu braucht es eine Stärkung der Gewerkschaftsrechte im Betrieb und einen stark verbesserten Kündigungsschutz.

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