Der Weltmarkt hochgefährlicher Pestizide
Der Weltmarkt der Pestizide ist undurchsichtig. Informationen zu den Verkaufsmengen einzelner Pestizide oder über den Gewinn, den die Konzerne damit erzielen, sind nur sehr punktuell verfügbar. Unter dem Deckmantel des sakrosankten «Geschäftsgeheimnisses» machen sie keine detaillierten Angaben zu den Absatzmärkten ihrer Produkte oder zu ihren Marktanteilen. Die von UN-Agenturen und Staaten veröffentlichten Statistiken bleiben sehr allgemein und sind oft lückenhaft. Spezifische Informationen über hochgefährliche Pestizide schliesslich fehlen praktisch ganz.
Dabei wäre Transparenz essenziell, um den Auswüchsen dieses verheerenden Geschäfts Einhalt zu gebieten. Public Eye hat sich deshalb entschieden, einen Weg zu gehen, der bisher nie begangen wurde: Wir haben exklusive Daten der Industrie mit der PAN-Liste abgeglichen, um abzuschätzen, wo und in welchen Mengen hochgefährliche Pestizide verkauft werden. Und um mehr darüber zu erfahren, welche Rolle der Schweizer Multi Syngenta, der schon in zahlreiche Skandale um Pestizide verwickelt war, in diesem Geschäft spielt.
Eine Analyse auf Grundlage bisher unveröffentlichter Daten
Unsere Recherche stützt sich auf bisher unveröffentlichte Verkaufszahlen von Pestiziden. Die Informationen stammen aus der Datenbank von Phillips -McDougall, einem englischen Privatunternehmen, das sich als «Marktführer in der Geschäftsanalytik für die Saatgut- und Pflanzenschutzindustrie» präsentiert. Deren Datenbank – die umfassendste, die derzeit zur Verfügung steht – dient etwa der US-Umweltschutzbehörde und der Industrie als Referenz.
Phillips McDougall stützt sich auf Informationen von Pestizidherstellern und Landwirtinnen, auf Geschäftsdaten und Händlerumfragen. Die verwendeten Daten erfassen zwar nicht den gesamten Markt, doch sie sind genügend repräsentativ, um den weltweiten Absatz pro Substanz, die Volumina der wichtigsten Verbraucherländer und auch Syngentas Marktanteile schätzen zu können.
Unsere Recherchen zeigen: 12 der 20 weltweit meistverkauften Pestizide stehen auf der Liste der hochgefährlichen Substanzen des Pesticide Action Network (PAN). 2017 generierten sie Gesamteinnahmen von geschätzten 13,6 Mia. Dollar. Mit Abstand am meisten Umsatz wurde mit dem Herbizid Glyphosat erzielt. Der Verkauf aller 310 Pestizide, die auf der PAN-Liste rangieren, brachte gemäss unseren Schätzungen 2017 22 Mia. Dollar ein. Das sind fast 40% des globalen Pestizidmarkts, von insgesamt 54,219 Mia. Dollar. Betreffend Volumina schätzen wir den Anteil hochgefährlicher Pestizide gar auf 60%: 2017 wurden auf den Feldern der Welt ungefähr 1,8 Millionen Tonnen davon ausgebracht.
Auf den Feldern der ganzen Welt? Nicht wirklich…
Etwa drei Viertel der von PAN aufgeführten Pestizide werden in der EU nicht oder nicht mehr vermarktet. Dies liegt hauptsächlich an einer Verschärfung der Gesetze zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt ab den 1990er-Jahren. Nach unseren Schätzungen werden heute nur noch fünf Prozent des Weltvolumens hochgefährlicher Pestizide in der EU abgesetzt – etwa 90 000 Tonnen pro Jahr – während sich das Volumen an Pestiziden insgesamt auf 13% des Weltvolumens beläuft.
Ganz anders in Entwicklungs- und Schwellenländern, wo die Gesetzgebung oft schwächer ist und weniger strikt durchgesetzt wird. 70% des Volumens hochgefährlicher Pestizide, über 1,2 Millionen Tonnen, werden unseren Schätzungen zufolge jedes Jahr in Entwicklungs- und Schwellenländer eingesetzt – für circa 13,2 Milliarden Dollar.
Brasilien, China und Argentinien allein nutzen mehr als die Hälfte der hochgefährlichen Pestizide. Diese Länder verfügen auch über die grössten Landwirtschaftsflächen. Aber in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern ist ein erhöhter Einsatz dieser Substanzen zu beobachten; in Ländern wie Uruguay, Brasilien oder Kolumbien bspw. ist er 7 bis 10 Mal höher als in der EU.
Für den Toxikologen Peter Clausing von PAN Germany ist diese Situation bezeichnend für eine Industrie, die hohe Profite machen will, ohne wirklich in Innovation zu investieren:
«Da viele hochgefährliche Pestizide in der EU oder den USA verboten wurden, ist die einfachste Wachstumsmöglichkeit, neue Märkte in Regionen mit schwächerer Gesetzgebung zu erschliessen.»
Und auf Schweizer Boden?
Seit die Schweiz im Jahr 2005 analoge Rechtsvorschriften eingeführt hat, wurden hier mehr als 130 Pestizide vom Markt genommen. Wie die EU sieht auch die Schweizer Gesetzgebung «Ausschlusskriterien» nach dem Grundsatz vor, dass gewisse Risiken unabhängig vom Expositionsgrad zu schwerwiegend sind, als dass man sie eingehen sollte. Krebserregende, erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Substanzen sowie endokrine Disruptoren, also hormonaktive Stoffe, sind demnach wie in der EU auch auf Schweizer Boden unzulässig. Unsere Recherche zeigt allerdings, dass 68 der von PAN aufgeführten Pestizide in der Schweiz weiterhin zugelassen sind. 39 davon fallen im Prinzip unter die Ausschlusskriterien.