Preisfestsetzung: Die Macht der Pharmaindustrie

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Dank des Patentschutzes profitieren die Pharmamultis von einem Quasimonopol und von einem undurchsichtigen Markt, ohne die tatsächlichen Kosten für Forschung und Entwicklung (F&E) offenlegen zu müssen. So können sie Preise fast nach Belieben festlegen und saftige Nettogewinne einstreichen – zum Nachteil der Patient*innen und des Sozialversicherungssystems.

Der Preis von Behandlungen ist entscheidend für einkommensärmere Länder, in denen die Gesundheitsbudgets begrenzt sind und das häufige Fehlen einer Krankenversicherung die Patient*innen zwingt, Medikamente aus eigener Tasche zu bezahlen. Aber auch in reichen Ländern sind die Kosten ein wichtiger Faktor, da sie die Krankenversicherungsprämien in die Höhe treibt, zu Rationierungsentscheidungen führen und so die allgemeine Gesundheitsversorgung gefährden können.

Das Hauptargument der Pharmaindustrie für die Notwendigkeit dieser Preissetzungsmacht sind die grossen Investitionen, die in Forschung und Entwicklung getätigt werden müssen und die nur so rentabel seien. Gleichzeitig verweigern sie aber jegliche Transparenz über die tatsächlichen Kosten. Im Jahr 2022 haben wir daher eine aufwendige Schätzung der Forschungs- und Entwicklungskosten für sechs Krebsbehandlungen vorgenommen und die Profitmargen für die Schweiz berechnet. Diese Studie hat gezeigt: Sogar wenn zusätzliche Kosten für die Kompensation von Misserfolgen einberechnet werden, haben die Konzerne Profitmargen von 40 bis 90%. Und das auch bei Behandlungen, die noch viele Jahre vom Patentschutz profitieren und deren Margen weiter steigen werden.

Auch wenn die Preise von einem Land zum anderen stark variieren, so gilt der für den amerikanischen Markt festgelegte (nur ungenügend kontrollierte) Preis als Massstab.

Da während der Gültigkeit des Patents keinerlei Konkurrenz existiert, setzen die Pharmamultis damit «Einheitspreise» für die ganze Welt fest. Dieses Geschäftsmodell baut auf rentablen Vorzeigeprodukten auf, die bei den Investoren hoch im Kurs stehen. Mit solchen Flaggschiffprodukten wird jährlich ein Umsatz von über einer Milliarde Dollar erwirtschaftet.

Medikamente machen einen Viertel der Kosten der obligatorischen Krankenversicherung in der Schweiz aus. Insgesamt entfielen 2023 rund 10 Milliarden Franken auf Medikamente, die von der Grundversicherung übernommen wurden, wobei diese Zahl stetig steigt.

Im Gegensatz zu den Behauptungen der Pharmakonzerne und ihrer Lobby sind die Preise für neue Medikamente und ihre exzessiven Margen also tatsächlich eine treibende Kraft hinter der Explosion der Gesundheitskosten in der Schweiz. Der Bundesrat gibt selbst zu, dass insbesondere patentgeschützte Produkte 75% der Medikamentenkosten in der Grundversicherung ausmachen. Während im Bereich der Generika zweifellos gespart werden kann, besteht das grösste Sparpotenzial bei den patentierten Medikamenten. Aber gerade hier passiert nichts (oder nur wenig). Es sind die ständig steigenden Kosten in diesem Bereich, die unsere Versicherungsprämien in die Höhe treiben und die es dringend einzudämmen gilt. Obwohl es Lösungen gäbe, wagt es der Bundesrat jedoch nicht, dieses Problem offensiv anzugehen, da er befürchtet, die allmächtige Pharmaindustrie – darunter die Basler Riesen Roche und Novartis – zu verärgern. 

Die Preisfestsetzung in der Schweiz

In der Schweiz erstattet die obligatorische Krankenpflegeversicherung nur diejenigen Medikamente automatisch, die in der Spezialitätenliste (SL) und für die entsprechenden Indikationen eingetragen sind. Diese wird vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) erstellt und fortlaufend ergänzt. 

Um in die SL aufgenommen zu werden, muss ein Arzneimittel von Swissmedic, der Schweizerischen Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte, zugelassen sein und die gesetzlichen Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW-Bewertung) erfüllen. Diese Bedingungen müssen vom BAG für die Erstattung analysiert und alle drei Jahre überprüft werden. Der Antrag auf Aufnahme eines Medikaments in die SL wird vom Unternehmen beim BAG eingereicht, wobei für jede Änderung in der Formulierung eines Medikaments oder seines Preises ein neuer Antrag gestellt werden muss.

In der Regel entscheidet das BAG über die Zulassung nach Anhörung der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK), in der verschiedene Interessengruppen vertreten sind: Industrie, Versicherer, Patient*innen, Ärzt*innen, Spitäler, Apotheker*innen, Bundes- und Kantonsbehörden. Die EAK prüft, ob das Medikament die oben genannten Kriterien erfüllt. Anschliessend formuliert sie eine Empfehlung zuhanden des BAG, das diese Kriterien, besonders die Wirtschaftlichkeit, ebenfalls beurteilt und den definitiven Entscheid über den öffentlichen Höchstpreis, auf der Grundlage von zwei Bewertungen fällt:

  • einem geografischen Vergleich mit den offiziellen Preisen des Medikaments in neun Referenzländern (Deutschland, Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Grossbritannien, den Niederlanden und Schweden);
  • einem therapeutischen Vergleich mit anderen Präparaten, die zur Behandlung der gleichen Krankheit eingesetzt werden.

Die Aufnahme in die SL ist somit eine notwendige Voraussetzung für die automatische Rückerstattung durch die obligatorische Krankenversicherung, sofern alle in der sogenannten Limitatio festgelegten Bedingungen erfüllt sind, und hat daher erhebliche Auswirkungen auf dessen Zugang in der Schweiz. Die Erstattung von Arzneimitteln, die nicht in den SL enthalten sind, wird in einem separaten Rechtsrahmen geregelt und hängt komplett vom Entscheid der einzelnen Krankenversicherer ab.

Geheimrabatte

Im Mai 2019 hatte die Schweiz bei der Weltgesundheitsorganisation transparente Nettopreise unterstützt (WHA-Resolution 72.8). In starkem Kontrast zu diesem internationalen Engagement soll nun aber in der vom Bundesrat seit 2020 vorgeschlagenen Revision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG-Revision, Paket 2) die Geheimhaltung von Medikamentenpreisen verankert werden. 

Da neue und immer teurere Medikamente – insbesondere gegen Krebs – auf den Markt kommen, hat das BAG sogenannte Preismodelle eingeführt. Diese sollen die Modalitäten zur Aufnahme eines Medikaments in die SL festlegen, damit teure Behandlungen möglichst rasch von der Grundversicherung übernommen werden können. Das KVG schreibt nämlich in Artikel 32 vor, dass die von der Grundversicherung bezahlten Leistungen «wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein müssen».

Mit anderen Worten: Angesichts der immer horrenderen Preise, welche die Pharmabranche für ihre neu auf den Markt gebrachten Behandlungen verlangt, muss das BAG mit ihr einen Rabatt in Form einer Rückerstattung an die Krankenkasse der betroffenen Patient*innen (häufigstes Modell), eines jährlichen Höchstbetrags der Kostenübernahme oder einer Kostenübernahme durch den Pharmakonzern im Falle eines Therapieversagens aushandeln. Denn nur so erfüllen diese Medikamente noch die gesetzlichen Anforderungen, um von der Grundversicherung vergütet zu werden. 

Politik der vollendeten Tatsachen

Diese Preismodelle sind in der Schweiz auf dem Vormarsch. Waren es im Januar 2019 nur knapp 20, so gab es Ende 2024 schon über 180 Preismodelle für 129 Produkte – neunmal so viele. Zu Beginn waren all diese Preisnachlässe in der öffentlichen SL-Datenbank zu finden. 2024 bestanden für etwa zwei Drittel dieser Preismodelle Geheimrabatte.

Das BAG tendierte also schon stark dazu, geheime Rabatte auszuhandeln – noch vor dem parlamentarischen Entscheid über eine Änderung des KVG. Diese soll nun eine bereits bestehende Praxis legalisieren: eine Politik der vollendeten Tatsachen. Zusätzlich sollen mit diesem revidierten Gesetz nun aber auch die Höhe und die Berechnungsmodalitäten dieser Rabatte aus dem Geltungsbereich des Öffentlichkeitsgesetzes (BGÖ) ausgeschlossen werden können. Es wird also nicht mehr möglich sein, den Nettopreis einer Behandlung, d.h. den von der Krankenversicherung tatsächlich übernommenen Preis, zu eruieren. Das Öffentlichkeitsprinzip wird wirtschaftspolitischen Motiven geopfert und ein gefährlicher Präzedenzfall im Sozialversicherungswesen geschaffen, anstatt das eigentliche Problem zu bekämpfen: die Macht- und Informationsasymmetrie. Ein regelrechtes Geschenk für die Pharma.

Mittels Öffentlichkeitsgesetz hat Public Eye 2023 vom BAG offizielle Dokumente zur Preisfestsetzung von zehn Krebsmedikamenten erhalten, doch zahlreiche Stellen waren unbegründet geschwärzt, darunter die mit der Pharma ausgehandelten geheimen Rabatte.

Die Gesundheitskosten in der Schweiz sind ein Problem, immer mehr Menschen leiden unter den hohen Prämien. Die Schweiz schützt mit der Intransparenz einmal mehr ein System, das der Profitmaximierung der Konzerne dient und das Recht auf Gesundheit für alle torpediert. Ganz konkret wird der Schweizer Medikamentenpreis von über 30 Ländern weltweit als Referenz herangezogen, darunter auch von wirtschaftlich viel schwächeren Staaten. Wenn die Schweiz hierzulande den Preispoker hochtreibt, schadet sie damit nicht nur der eigenen Bevölkerung, sondern weiteren Millionen Patient*innen im Ausland. Der Ständerat muss daher dringend korrigierend eingreifen und die Ausnahme aus dem Öffentlichkeitsgesetz verhindern.

Die Macht der Pharmaindustrie

Unabhängige wissenschaftliche Analysen heben einen Hauptgrund für die Preisexplosion bei Medikamenten hervor: die Preissetzungsmacht (Pricing power) der Pharmaindustrie. In Europa ist die Preiskontrolle national geregelt, weshalb jedes Land einzeln mit den Pharmakonzernen über die Preise neuer Medikamente verhandelt – unter sehr intransparenten Bedingungen.

Bei diesen intransparenten Verhandlungen sitzt klar die Pharmaindustrie am längeren Hebel.

Erstens dient der für den amerikanischen Markt festgelegte – in der Regel sehr hohe – Preis als Grundlage. Zweitens drohen die Konzerne notfalls auch damit, das Produkt vom Markt zu nehmen (oder es von der Vergütung auszuschliessen), wenn die Behörden einen zu tiefen Preis fordern - oder auch damit, den Rechtsweg einzuschlagen, wobei sie oft gewinnen. Veröffentlicht werden schliesslich nur die Höchstpreise («Schaufensterpreise»), fiktive Grössen, die im internationalen Preisvergleich als Referenzpreise dienen, jedoch keinesfalls dem mit der Regierung real ausgehandelten Preis entsprechen.

Auch wenn die europäischen Länder neuerdings versuchen, sich zusammenschliessen, um gemeinsam angemessenere Preise auszuhandeln (vgl. die Beneluxa-Initiative), bleiben die Hebel unterschiedlich lang. Die Regierungen kommen im Rahmen des gegenwärtigen Preissetzungssystems nicht gegen die Preissetzungsmacht der Pharmaindustrie an.

De facto werden aber der staatliche Preisfestsetzungsmechanismus ausgehebelt und die Staaten gegeneinander ausgespielt. 

Unabhängige Studien und Erfahrungen im Ausland zeigen nämlich, dass mit intransparenten Preisen und geheimen Rabatten weder ein rascher Zugang noch eine langfristige Kostendämpfung garantiert sind. Vielmehr sichert eine schnellere Rückvergütung durch die obligatorische Krankenversicherung Absatzmärkte, und die Geheimhaltung vergrössert die Verhandlungsmacht der Industrie.

Das Machtungleichgewicht korrigieren

Um faire Preise zu erreichen, hätte die Schweiz viele andere, effektivere Mittel als Geheimrabatte, unter anderem:  

  • die internationalen Zusammenarbeit zu stärken (z. B. durch den vollständigen Beitritt zur BeNeLuxA-Initiative);
  • das Vorgehen bei der Preisfestlegung anzupassen: Von den tatsächlich getätigten Investitionen (F&E-Kosten), einschliesslich der staatlichen Unterstützung, auszugehen, anstatt die Preise für patentierte Medikamente auf der Grundlage von untauglichen und verzerrten Vergleichen festzulegen;
  • und gegen missbräuchliche Monopole vorzugehen, mittels vorhandener Instrumente, die im nationalen und internationalen Recht anerkannt sind, wie z. B. die Zwangslizenz.

Dazu bräuchte es allerdings den politischen Mut, der allmächtigen Pharmaindustrie und deren Lobby im Parlament die Stirn zu bieten, um die notwendigen Reformen durchzusetzen. Die Tatsache, dass lediglich eine ineffektive Massnahme wie Geheimrabatte vorgeschlagen wird, die noch dazu schädlich ist und einen gefährlichen Präzedenzfall für die demokratische Kontrolle schafft, zeigt jedoch eine Form der Resignation seitens unserer Behörden. Dies muss sich unbedingt ändern, wenn wir die finanzielle Nachhaltigkeit unseres Systems der solidarischen Kostenübernahme im Gesundheitswesen, das bereits heute ernsthaft gefährdet ist, gewährleisten wollen.