Patente und Zugang zu Medikamenten
Die Schweiz und andere Länder, die Sitz grosser Pharmafirmen sind, haben sich als deren Komplizen für eine Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums auf internationaler Ebene eingesetzt. Seit 1995 verpflichtet das TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) alle Mitgliedstaaten dazu, auf Medikamente einen Patentschutz von zwanzig Jahren zu gewähren, wobei ein gewisser Spielraum vorhanden ist, um einkommensärmeren Ländern den Zugang zu Medikamenten zu garantieren.
Patente sind eine Ausnahme der freien Marktwirtschaft.
Dank des Patentschutzes profitieren die Pharmamultis von einem Monopol und von einem undurchsichtigen Markt, ohne die tatsächlichen Kosten für Forschung und Entwicklung (F&E) offenlegen zu müssen. So können sie Preise fast nach Belieben festlegen und saftige Nettogewinne einstreichen – zum Nachteil der Menschen, die von den Medikamenten abhängig sind.
Der Kampf um den Zugang zu Medikamenten an den Beispielen AIDS und Covid-19
Mit der Gründung der WTO und im Zuge der HIV/AIDS-Krise in den 1990er und 2000er Jahren wurde die Problematik der Patente und des Zugangs zu Medikamenten offenkundig. Um die Verbreitung der Krankheit zu bremsen, waren Länder wie Südafrika gezwungen, Notmassnahmen zu ergreifen, um Patente zu umgehen. Sie wurden aber mit Klagen oder politischem Druck multinationaler Pharmakonzerne konfrontiert, welche einen Rückgang ihrer Gewinne befürchteten.
Dass die Unternehmen ihren Profit um jeden Preis maximieren wollten, rief in der Öffentlichkeit Empörung hervor und brachte eine politische Diskussion über den Zugang zu Medikamenten ins Rollen. Zentral war dabei vor allem die Frage des Preises antiretroviraler Medikamente. Die Mehrheit der AIDS-Patient*innen lebt in einkommensärmeren Ländern und hatte während langer Zeit keinen Zugang zu diesen neuen Behandlungen. Der Grund dafür: horrende Preise aufgrund von Patenten.
Dank Generika ist der Preis einer Behandlung von 10’000 US-Dollar auf weniger als 100 US-Dollar pro Jahr gesunken.
Durch diesen drastischen Preisrückgang ist es heute möglich, weltweit deutlich mehr Menschen mit antiretroviralen Medikamenten zu behandeln (von 2 Millionen im Jahr 2005 zu über 30 Millionen im Jahr 2023).
Der Preis von Behandlungen ist entscheidend für einkommensärmere Länder, in denen die Gesundheitsbudgets begrenzt sind und das häufige Fehlen einer Krankenversicherung die Patient*innen zwingt, Medikamente aus eigener Tasche zu bezahlen. Aber auch in reichen Ländern sind die Kosten ein wichtiger Faktor, da sie zu Rationierungsentscheidungen führen und so die allgemeine Gesundheitsversorgung gefährden können.
Die Covid-Pandemie hat ebenfalls Hindernisse aufgezeigt, die durch geistiges Eigentum, insbesondere Patente, entstehen. Angesichts der begrenzten Produktionskapazitäten und der weltweit grossen Nachfrage nach Impfstoffen, Behandlungen oder diagnostischen Tests gegen Covid hätte man die Produktionsstätten vervielfachen und dezentralisieren müssen, um Zugang zu Behandlungen für alle zu ermöglichen. Patente und Geschäftsgeheimnisse verhinderten dies jedoch. Schlimmer noch: Die Länder, in denen die grossen Pharmakonzerne angesiedelt sind, taten alles, um eine zeitlich begrenzte Ausnahmeregelung für geistiges Eigentum auf WTO-Ebene («TRIPS waiver») zu blockieren. Diese wurde im Oktober 2020 von Südafrika und Indien gefordert und von mehr als 100 einkommensärmeren Ländern, internationalen Organisationen wie der WHO und der Zivilgesellschaft weitgehend unterstützt.
Was ist ein Patent?
Ein Patent ist ein Exklusivrecht auf eine Erfindung, das Patentinhaber*innen berechtigt, andere während eines begrenzten Zeitraums (normalerweise 20 Jahre ab Antragstellung) an der gewerblichen Nutzung, Verteilung, Einfuhr und dem Verkauf der Erfindung zu hindern.
Ein Patent ist jedoch nur territorial gültig: Wenn ein Pharmaunternehmen sein Medikament in mehreren Ländern schützen will, muss es den Schutz in jedem einzelnen Land beantragen – ausser in Europa, wo das Europäische Patentamt (EPA), dem 39 Länder einschliesslich der Schweiz angehören, über ein zentralisiertes Verfahren verfügt, das in all diesen Gerichtsbarkeiten gleichzeitig gültig ist.
Voraussetzungen für die Patentierung einer Erfindung sind:
- Die Erfindung muss ein Element der Neuheit beinhalten.
- Die Erfindung darf nicht naheliegend sein und muss auf einer sog. «erfinderischen Tätigkeit» beruhen.
- Sie muss gewerblich anwendbar sein.
Eine Patentanmeldung für ein Medikament wird also nicht danach beurteilt, ob die Behandlung nützlich ist – es wird lediglich berücksichtigt, ob es sich um eine «neue Erfindung» handelt, selbst wenn es sich nur um eine geringfügige Änderung an einem bereits existierenden Produkt handelt, die keinen wirklichen therapeutischen Mehrwert bietet.
Der Patentschutz eines Produktes (in der Regel gibt es mehrere Patente pro Produkt) erlischt, wenn die Frist abgelaufen ist. Danach kann die Erfindung von allen kommerziell genutzt werden, ohne sich einer Patentverletzung schuldig zu machen.
Das TRIPS-Abkommen stützt sich auf Patente…
Um die aktuelle Debatte um Forschung und Zugang zu Medikamenten zu verstehen, ist das 1995 in Kraft getretene Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an Geistigem Eigentum (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights; TRIPS) zentral. Dieses internationale Abkommen verpflichtet die Mitgliedstaaten der WTO (166 im Jahr 2024) dazu, Patente auf alle Technologien, also auch auf neue Medikamente, zu erteilen – was in vielen Ländern, wie beispielsweise Indien oder Brasilien, zuvor nicht üblich war. Das Abkommen stellt somit einen bedeutenden Sieg für die Pharmaindustrie dar. Sie kann dadurch ihre neuen patentierten Medikamente zu hohen Preisen an eine Minderheit wohlhabender Patient*innen in Ländern mit tiefem oder mittlerem Einkommen verkaufen.
…statt Innovation zu fördern
Das TRIPS-Abkommen dient in erster Linie den Interessen der Pharmamultis, da es ihnen aufgrund der patentbasierten Monopolstellung langfristig hohe Verkaufspreise garantiert. Die Pharmaunternehmen rechtfertigen das Abkommen damit, dass die Ausweitung des Patentsystems neue Medikamente rentabel mache und Forschung und Entwicklung (F&E) begünstige.
Die Realität sieht aber anders aus: Tatsächlich ist das Patentrecht kein Garant für innovative Forschung, sondern viel eher für profitorientierte Innovationsanreize. Dies führt sowohl zu Hemmnissen für F&E als auch zu Einschränkungen beim Zugang zu Medikamenten.
Denn ein neues Medikament ist nicht nur durch ein einziges, sondern durch Dutzende, manchmal sogar durch über 100 Patente geschützt – ein wahrer Patent-Dschungel (auf Englisch «patent thicket»). Die Patente werden zeitlich gestaffelt eingereicht, was bedeutet, dass die Dauer des Monopols für ein Produkt oft weit über die 20 Jahre hinausgeht, die das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an Geistigem Eigentum (Trips) der Welthandelsorganisation (WTO) theoretisch vorsieht. Es handelt sich um eine Strategie der endlosen Anhäufung von Patenten, die im Englischen als «Evergreening» bezeichnet wird.
Es gibt zwei Arten von Patenten:
Primärpatente, die sich auf den Wirkstoff beziehen und früh in der Entwicklungsphase angemeldet werden;
Sekundärpatente, die kurz vor oder während der Vermarktungsphase angemeldet werden und die Dauer der Marktexklusivität verlängern, ohne einen echten therapeutischen Mehrwert zu bieten.
Während jedes Patent eine Ausnahme vom freien Markt darstellt, haben Sekundärpatente die grössten Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Preise – zumal Patente dieser Art in den letzten Jahren stark zugenommen haben, und das vor allem in den USA, wo sie leichter erteilt werden.