Intransparente Forschungs- und Entwicklungskosten
Aufgrund stetig steigender Preise haben über 2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Medikamenten, und die Gesundheitskosten in Ländern mit einem System der öffentlichen Kostenübernahme im Gesundheitswesen steigen kontinuierlich. Dies gefährdet das Recht auf Gesundheit für alle und birgt sogar in reichen Ländern wie der Schweiz die Gefahr einer Zweiklassenmedizin. Pharmakonzerne können solch hohe Preise festlegen, weil sie sich auf patentbasierte Monopole stützen, womit eine hohe Preissetzungsmacht einhergeht. Sie argumentieren, dass diese hohen Preise die risikoreiche Forschung und Entwicklung (F&E) von Medikamenten absichern müssten – verweigern aber jegliche Transparenz über die tatsächlich getätigten Investitionen. Diese Investitionen zu schätzen ist für Wissenschaftler*innen und NGO-Fachorganisationen eine Herausforderung; sowohl Datensätze als auch Methode werden intensiv debattiert. Dabei geht es für die Industrie und ihre Lobby um nicht weniger als die Legitimität ihres Geschäftsmodells.
Die Blackbox der Forschungs- und Entwicklungskosten
Ein Standardargument der Pharmakonzerne und ihrer Lobbyverbände lautet, dass sich F&E-Kosten nicht genau eruieren lassen. Tatsächlich können jedoch die klinischen Versuche, die den grössten Kostenblock innerhalb der F&E-Aufwendungen darstellen, sehr genau spezifischen Medikamenten zugeordnet werden. Dafür hat Public Eye die gesamten klinischen Versuche, bei denen der Pharmakonzern Hauptsponsor war, für alle zugelassenen Indikationen des jeweiligen Medikaments in internationalen Datenbanken gesucht.
Viele Medikamente werden von Pharmakonzernen zuerst für eine Indikation (zum Beispiel eine bestimmte Art von Lungenkrebs) zugelassen, dann aber noch für weitere Indikationen getestet. Die Zulassung zum Beispiel für andere Formen von Lungenkrebs oder andere Arten von Krebs, die mit dem gleichen Wirkungsmechanismus des Medikaments bekämpft werden können, wird dann in den folgenden Jahren beantragt.
Die Anzahl der Versuche hat Public Eye mit Angaben aus existierenden Publikationen über durchschnittliche Kosten pro klinischen Versuch und Phase multipliziert. Da die klinischen Versuche zwar den grössten Anteil, aber nicht die gesamten Kosten für F&E ausmachen, wurde die so eruierte Zahl um in der Literatur geschätzte 30% erhöht. Diese zusätzlichen Kosten fallen in der Entdeckungsphase, für vorklinische Studien und für Gebühren für die Marktzulassung an. Die so geschätzten Kosten sind also die getätigten Investitionen der Industrie. Mit zwei Argumenten versucht die Pharmaindustrie, diese Schätzungen künstlich um über das Doppelte zu erhöhen und die hohen Margen auf einzelne Produkte zu rechtfertigen:
- Der erste Faktor sind die sogenannten Opportunitätskosten. Gemeint ist damit eine Kompensation für entgangene Einnahmen jener Rendite, die an der Börse hätte erwirtschaftet werden können, wäre das ins F&E-Projekt geflossene Kapital stattdessen dort investiert worden. Opportunitäts- bzw. Kapitalkosten für F&E-Schätzungen zu verwenden, ist höchst umstritten. So macht es aus Konzernperspektive Sinn, die Opportunitätskosten eines neuen Projektes zu evaluieren. Das Argument, dass diese Kosten für keineswegs risikofreie Investitionen an der Börse von der Öffentlichkeit getragen werden müssen, ist aber absurd. Dies insbesondere, da nicht nur enorme öffentliche Subventionen in die F&E von Medikamenten fliessen, sondern da Pharmakonzerne auch die eigenen Investitionen dafür von den Steuern abziehen können.
Der zweite Faktor, der von der Industrie immer wieder angeführt wird, ist, dass ihre hohen Margen auf einzelnen Produkten das Risiko in der Entwicklung von Behandlungen kompensieren müssen. Damit sind all jene Produkte gemeint, in deren Entwicklung investiert wird, die es aber nicht bis zur Marktzulassung schaffen und damit keinen Umsatz generieren. Auch dieser Faktor ist höchst umstritten. Viele Wirkstoffe durchlaufen nicht die aufwendigen und teuren klinischen Versuche, sondern werden in Hochgeschwindigkeitsscreenings aussortiert. Nur ein kleiner Prozentsatz wird weiterentwickelt und getestet. Zudem können viele Wirkstoffe, die als «Misserfolg» deklariert werden, eher als «zu- rückgezogen» beschrieben werden. Behandlungen werden nämlich auch aus kommerziellen Gründen nicht weiterentwickelt, währenddessen andere Wirkstoffe trotz grossen Risiken weiter getestet und zugelassen werden. Schliesslich können grosse Pharmakonzerne das Risiko für Misserfolge auf verschiedene Projekte verteilen.
Trotz dieser Vorbehalte hat sich Public Eye entschieden, eine Schätzung mit Erfolgswahrscheinlichkeiten zu machen, um das systemische Risiko im Pharmasektor miteinzubeziehen und um zu zeigen, dass selbst mit Rücksicht auf diese Schutzbehauptung noch riesige Gewinnmargen erzielt werden.
Profitmargen von 40 bis 90%
Um von den so geschätzten Kosten für F&E auf die Gewinnmargen in der Schweiz zu kommen, wurden die Kosten für F&E entsprechend dem Anteil der Verkäufe in der Schweiz (Kosten für die Krankenversicherungen aus den Hochrechnungen von Helsana für die gesamte Schweiz) am globalen Umsatz mit einem Medikament (öffentliche Jahresberichte der Konzerne) für die Schweiz heruntergebrochen. Diese Methodologie wurde bereits 2019 in einer datenjournalistischen Recherche des Westschweizer Fernsehens RTS für die Sendung «Mise au point» angewandt. Diese Kosten wurden zusammen mit den Distributionskosten und den geschätzten Produktionskosten vom Verkaufspreis der Behandlung in der Schweiz abgezogen. Marketingkosten wurden nicht berücksichtigt, denn bei den ausgewählten Krebsbehandlungen handelt es sich um lebensrettende Medikamente, die keine grosse Auswahl zwischen verschiedenen Produkten zulassen und deshalb auch nicht der werbegetriebenen Marktlogik unterliegen.
Wenn man also die geschätzten F&E-Kosten für alle zugelassenen Indikationen sowie die Distributions- und Produktionskosten vom Verkaufspreis abzieht, erhält man die Gewinnmarge: Pro verkauftes Medikament lag sie in der Schweiz im Jahr 2022 bei 40 bis 90%. Dies mit einer steigenden Tendenz für insbesondere diejenigen Behandlungen, die noch nicht lange auf dem Markt sind und zurzeit am unteren Ende der Profitskala liegen, aber noch viele Jahre von einer Monopolstellung profitieren und die investierten Kosten amortisieren werden. Es ist eine für die Industrie grosszügige Schätzung der F&E- Kosten: Sie wurde um die Kosten für Misserfolge und zusätzliche Kosten erhöht, und mit öffentlichen Subventionen und zahlreiche Steuererleichterungen dürften die tatsächlichen Profite noch höher sein.
Eine weitere zentrale Erkenntnis der Recherche von Public Eye sind die enormen Ressourcen, die aufgrund fehlender Transparenzregulierungen von Regierungen und unüberprüfbaren Angaben der Industrie selbst investiert werden müssen. Nicht nur zeigt sich ein stark umkämpftes Feld zwischen pharmanahen Instituten und unabhängigen Wissenschaftler*innen, sondern es werden auch die Anstrengungen sichtbar, die Akademiker*innen und Fachorganisationen leisten müssen, um fundierte und nachvollziehbare Schätzungen vorzunehmen. Viele dieser Anstrengungen an Universitäten und von Non-Profit-Organisationen werden durch öffentliche Gelder und freiwillige Spenden finanziert.
Aktuelles System infrage gestellt
Solche Margen stellen das aktuelle System infrage. So sollte die Monopol- und Preissetzungsmacht die risikoreiche F&E von Medikamenten absichern. Die Profitmargen auf den Krebsbehandlungen, bei denen die risikoreiche F&E bereits eingerechnet wurde, zeigen jedoch, dass Pharmakonzerne mit hohen Preisen nicht ihre F&E absichern, sondern übermässige Profite abschöpfen. Mit Angstmacherei argumentieren die& Industrie und ihre Lobby, dass Versorgungslücken drohen und solch hohe Gewinn notwendig seien, da beispielsweise die Antibiotikaentwicklung weit weniger rentabel sei als die Behandlungen für Krebs. Pharmakonzerne ziehen sich aber tatsächlich aus diesen weniger rentablen Bereichen zurück und es gibt entsprechend keine Quersubvention.
Die im Vergleich zu anderen Sektoren fast doppelt so hohen Gewinne der Pharmakonzerne von über 20% und fehlende Investitionen in Bereichen wie Antibiotika zeigen jedoch, dass trotz verfügbaren Ressourcen die Priorität der Industrie nicht die Patient*innen, sondern ihre Aktionär*innen sind. Funda- mental problematisch an diesem Modell ist, dass mit dem Leben von Menschen und ihrem Grundrecht auf Gesundheit gespielt wird. In der Schweiz tragen die hohen Preise von Krebsmedikamenten massgeblich zur Explosion der Gesundheitskosten bei. Es stellt sich die Frage, wie profitorientierte Konzerne ihre Preise setzen. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Unternehmen ihre tatsächlichen F&E-Ausgaben bei der Preisgestaltung schlicht ignorieren, aber diese gegenüber Behörden und Öffentlichkeit im Bedarfsfall als unüberprüfbaren Vorwand für übertriebene Preisforderungen einsetzen. Pharmaunternehmen verlangen, was sie vom Markt abschöpfen können.
Damit die Regierung und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ihre Aufgabe zum Schutz und der Gewährleistung des Rechts auf Gesundheit für alle wahrnehmen und ihrer Rechenschaftspflicht über die Ausgaben für Gesundheitskosten nachkommen können, braucht es Transparenz in der Preisfestsetzung - und dazu gehört die Transparenz über die F&E-Kosten.