Fehlende Transparenz über die Studienergebnisse
Obwohl die Ergebnisse klinischer Versuche von öffentlichem Interesse sind und daher öffentlich zugänglich sein müssten, beharren die Pharmaunternehmen darauf, dass diese Daten ein Geschäftsgeheimnis seien und Patient*innen identifizierbar wären. Dies sind jedoch Vorwände, um ihr Geschäftsmodell zu schützen. Entgegen diesen Ausreden handelt es sich bei der Veröffentlichung der Berichte nicht um vertrauliche Informationen rund um Zusammensetzung und Produktion des Medikaments. Die Berichtsergebnisse werden ausserdem anonymisiert und ihre Veröffentlichung erlaubt es nicht, die Versuchspersonen zu identifizieren. Die fehlende Regulierung und deren mangelhafte Durchsetzung führt indessen dazu, dass die Ergebnisse der Hälfte aller klinischen Versuche, die weltweit durchgeführt werden, nie veröffentlicht werden. Schlimmer noch, negative Ergebnisse werden verfälscht oder beschönigt. Diese selektive Veröffentlichung führt zum Vertrieb oder zur Aufrechterhaltung des Vertriebs von Medikamenten, die entweder nicht nützlich oder sogar gefährlich für Patient*innen sind.
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Tamiflu oder der Profitvirus
Weltweit entschlossen sich Regierungen - auch die Schweizerische - aufgrund einzelner Studien für das vorsorgliche Einlagern des Roche-Grippemittels Tamiflu, für den Fall einer Grippe-Epidemie. Acht von den zehn Studien, die zu diesem Entscheid beigetragen haben, wurden aber nie für die Öffentlichkeit zugänglich publiziert. Weitere Ergebnisse von klinischen Studien wurden ausserdem vom Basler Pharmakonzern unter Verschluss gehalten. Es brauchte vier Jahre und eine öffentliche Kampagne des British Medical Journal, bis unabhängige Forschende des Netzwerkes Cochrane 2013 endlich Zugang zu sämtlichen Daten der 74 klinischen Versuche von Roche zu Tamiflu erhielten.
Erstmals konnten Forschende aufgrund einer vollständigen Dokumentation die reelle Wirksamkeit und Toxizität von Roches Grippemedikament evaluieren. Die Ergebnisse dieser im April 2014 publizierten Evaluation sind klar: Entgegen den Beteuerungen von Roche verringert die Einnahme von Tamiflu weder die Anzahl Behandlungen im Krankenhaus noch die Risiken von schweren Komplikationen im Falle einer Grippe. Bestenfalls beobachtet man eine Verkürzung der Grippesymptome von einigen Stunden, doch verhindert Tamiflu auch nicht die Übertragung des Virus.
Genau dies waren aber die Argumente, welche die Weltgesundheitsorganisation WHO während der sukzessiven Krisen der Vogelgrippe H5N1 (seit 2004) und der Schweinegrippe (im Jahr 2009) zur Empfehlung an Staaten und grosse Unternehmen verleitet haben, einen grossen Vorrat des Medikaments anzulegen. Diese falschen Versprechen haben die Kassen der Basler Firma gut gefüllt. Das Medikament hat Roche riesige Profite beschert, und das grösstenteils auf Kosten der Steuerzahlenden.
Die EU weist den Weg - die Schweiz hinkt hinterher
Laut der WHO stellt die Erfassung aller klinischen Versuche eine wissenschaftliche, ethische und moralische Verpflichtung dar. Sie fordert, dass alle Ergebnisse eines klinischen Versuchs, unabhängig davon, ob dieser positiv oder negativ ausgefallen ist, innerhalb von 12 Monaten nach Abschluss des Versuchs veröffentlicht und zugänglich gemacht werden. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hat eine neue Politik implementiert, wonach vollständige klinische Studienberichte (Clinical Study Reports) derjenigen Studien veröffentlicht werden müssen, welche für einen Zulassungsantrag eingereicht werden. Die Schweiz verpflichtet die Zulassungsinhaberin hingegen nur pro forma zur Veröffentlichung einer Zusammenfassung der Ergebnisse klinischer Versuche, die im Hinblick auf die Entwicklung eines zugelassenen Arzneimittels durchgeführt wurden und überprüft diese nicht (Heilmittelgesetz, HMG Art. 67b; Arzneimittelverordnung, VAM Art. 71). Auch in der Datenbank der in der Schweiz durchgeführten klinischen Versuche muss nur eine Zusammenfassung der Ergebnisse veröffentlicht werden (Verordnung über klinische Versuche, KlinV Art. 65a) wohingegen die EU die Veröffentlichung der vollständigen Berichte der in EU-Ländern durchgeführten Versuche vorsieht. Neben der Möglichkeit einer wissenschaftlich unabhängigen Zweitmeinung erlaubt es die vollständige Publikation von Versuchsberichten Ärztinnen und Ärzten, aufgrund einer soliden und verlässlichen Grundlage die richtige Behandlung zu verschreiben.
Geschäftsgeheimnis oder öffentliche Daten? Die Pharmaindustrie bekämpft Transparenz
Pharmakonzerne hatten gegen die Transparenzregulierung der EMA geklagt und argumentiert, dass mit der Publikation klinischer Versuche kommerziell vertrauliche Informationen preisgegeben würden. Berichte über klinische Versuche müssen die unabhängige Beurteilung der Wirksamkeit oder der Sicherheit des geprüften Produkts möglich machen. Entgegen den Ausreden der Pharmaindustrie handelt es sich dabei nicht um vertrauliche Daten oder Geschäftsgeheimnisse. Die Berichtsergebnisse werden ausserdem anonymisiert und ihre Verbreitung erlaubt es nicht, die Versuchspersonen zu identifizieren.
Public Eye hatte sich zusammen mit anderen Organisationen der Zivilgesellschaft für Transparenz über klinische Versuche eingesetzt. Der Gerichtshof der EU hatte die die Transparenzregulierung der Europäischen Arzneimittel Agentur als rechtlich gültig und legitim bekräftigt.