Ungenügende Ethik-Kontrollen
Als offizielle Zulassungsstelle für Medikamente spielt das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic eine zentrale Rolle bei der Kontrolle der Einhaltung ethischer Normen bei klinischen Studien, die in einkommensärmeren Ländern durchgeführt werden. Internationale Ethikstandards haben nur dann einen verbindlichen Charakter, wenn sie in einer nationalen Gesetzgebung explizit erwähnt oder umgesetzt werden. Das Gesetz in der Schweiz bezieht sich jedoch auf den schwächsten dieser Standards, der nicht eigentlich die Versuchsteilnehmenden schützt, sondern bloss ein Verfahrenskatalog ist. Doch selbst die Umsetzung dieser minimalen Regulierung in der Schweiz durch Swissmedic ist intransparent und nicht überprüfbar. In der Schweiz verkauften Medikamente könnten daher auf unethische Weise getestet worden sein..
Die wichtigsten internationalen Ethikstandards
Im Verlauf der Jahre wurden mehrere ethische Standards für die Durchführung klinischer Studien ausgearbeitet. Sie alle stellen das Interesse des Individuums und seinen Schutz über die Interessen der Wissenschaft oder der Gesellschaft.
Das Referenzwerk ist die Deklaration von Helsinki (DoH), 1964 vom Weltärztebund verabschiedet und seither mehrmals revidiert. Sie deckt alle von Public Eye und Partnerorganisationen aufgezeigten ethischen Verstösse ab.
Die internationale Konferenz zur Harmonisierung technischer Anforderungen für die Zulassung von Humanarzneimitteln, konstituiert aus den Behörden sowie der Pharmaindustrie in Europa, Japan und den USA, hat 1996 Leitlinien zur guten klinischen Praxis (ICH-GCP) veröffentlicht. Sie soll die gegenseitige Anerkennung der Daten aus den klinischen Versuchen durch die Behörden in diesen drei Gerichtsbarkeiten vereinfachen. Was die ethischen Standards betrifft, sind die ICH-GCP-Leitlinien aber weniger streng als die Deklaration von Helsinki.
In Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht der Rat für internationale Organisationen der medizinischen Wissenschaft (CIOMS) eigene Richtlinien, mit dem Ziel, universelle ethische Prinzipien, wie sie in der Deklaration von Helsinki festgelegt sind, umzusetzen – insbesondere in einkommensärmeren Ländern.
- Im Jahr 2005 verabschiedete der Europarat ein wichtiges Zusatzprotokoll zur Konvention über Menschenrechte und Biomedizin betreffend biomedizinische Forschung. Das Protokoll legt klare Grundsätze für ethische Fragen fest. Darüber hinaus wird darin präzisiert, dass die 47 Mitgliedstaaten die gleichen ethischen Grundsätze einhalten müssen, wenn klinische Versuche in Ländern stattfinden, die nicht Mitglied des Europarates sind. Die Schweiz hat dieses Zusatzprotokoll weder unterzeichnet noch ratifiziert, obwohl sie das dem Protokoll zugrunde liegende Übereinkommen von 1997 angenommen hatte.
Diese Texte haben keinen verbindlichen Charakter, es sei denn, sie werden in einem nationalen Gesetz explizit erwähnt oder umgesetzt. Länder, die die Bestimmungen in nationales Recht umgesetzt haben, beziehen sich alle auf die ICH-GCP-Richtlinien. Diese sind de facto zu einem neuen globalen Standard geworden, der von reichen Ländern und ihrer Pharmaindustrie allen Staaten auferlegt wird – obwohl sie kein Verhaltenskodex an sich sind, sondern lediglich ein Verfahrenskatalog. Auch in der Schweiz ist dies bei den ICH-GCP-Standards (Leitlinien zur guten klinischen Praxis) der Fall. Eine Erwähnung der Deklaration von Helsinki sucht man aber in den Schweizer Gesetzen vergebens. Im Gegensatz dazu bezieht sich die EU in ihren Gesetzestexten sowohl auf die ICH-GCP-Standards wie auch auf die Deklaration von Helsinki.
Ein schwaches Gesetz und eine passive Behörde in der Schweiz
In der Schweiz regelt das Heilmittelgesetz (HMG) die Marktzulassungsverfahren aller Arzneimittel sowie die formelle Genehmigung klinischer Versuche in der Schweiz. Das Humanforschungsgesetz (HFG) regelt die ethischen Prinzipien von Forschungsprojekten, ihre Überwachung, Transparenzfragen sowie die Koordination zwischen verschiedenen Gremien für klinische Versuche, welche in der Schweiz durchgeführt werden.
Das HMG und die dazugehörige Arzneimittel-Zulassungsverordnung (AMZV) fordern von den Pharmaunternehmen eine Selbstdeklaration, dass die Untersuchungen am Menschen nach den anerkannten Regeln der «Guten Praxis der klinischen Versuche» durchgeführt worden sind (AMZV Art. 5) sowie einen Risikomanagement-Plan (AMZV Art. 5a), und schaffen die Rechtsgrundlage zur Durchführung von Inspektionen im Ausland (HMG Art. 64a). Diese Selbstdeklaration wird jedoch nicht veröffentlicht und der Risikomanagement-Plan, dessen Zusammenfassung für die Öffentlichkeit zugänglich ist, erhält keine Kriterien, welche den Schutz der Versuchsteilnehmenden und die ethische Durchführung der klinischen Versuche im Ausland belegen. In ihren Geschäftsberichten berichtet Swissmedic über die im Ausland durchgeführten Inspektionen und hat 2023 begonnen, Inspektionen im Rahmen ihres eigenen internen Inspektionsprogramms durchzuführen. Zwar werden die Resultate in der Datenbank der EMA eingetragen, doch auch diese betreffen nur die «Good Manufacturing Practice» («GMP Certificate» und «Non-compliance Report») und beinhalten nicht den Schutz der Versuchsteilnehmenden während der klinischen Versuche, sondern mögliche Risiken in Bezug auf die Qualität des Produkts für die Patient*innen nach dessen Zulassung.